Voluntourismus

Von Kinderschutz keine Spur

Mädchen in Mama Fatuma's Childrens Home im Stadtteil Eastleigh in Nairobi (Kenia), aufgenommen am 30.11.2007.
Kinder in einem Waisenhaus in Kenia: Nur langfristiges Engagement hilft wirklich, findet Ecpat © picture-alliance / dpa / Sandra Gätke
Ecpat-Sprecherin Dorothea Czarnecki im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 04.03.2015
Eine schöne Rundreise machen - und eben mal ein paar Tage im Waisenhaus helfen: "Voluntourismus" liegt im Trend. Ecpat-Sprecherin Dorothea Czarnecki warnt: Es geht dabei um die Interessen der Reisenden, nicht um die Kinder.
Die Kinderschutzorganisation Ecpat hält nichts davon, für kurze Zeit im Rahmen von Pauschal- und Rundreisen soziale Arbeit zu leisten. Damit würden die Freiwilligendienste zunehmend kommerzialisiert, sagt Ecpat-Sprecherin Dorothea Czarnecki: "Wenn wir sehen, da kommt jemand und möchte nur zwei bis drei Tage in einem Projekt möglichst mit Kindern irgendwo mitarbeiten - da geht es in erster Linie nicht ums Helfen, sondern das hat weniger altruistische Gründe."
Die Reisenden bekommen Zugang zu Schlafräumen von Kindern in Waisenhäusern
Viele Voluntourismus-Anbieter vereinfachten die Aufnahmekriterien für die Einsätze, um möglichst viele Freiwillige zu vermitteln. So entfalle unter anderem das polizeiliche Führungszeugnis. Besondere Sorge bereite Ecpat der Trend des so genannten "Waisenhaus-Tourismus". In den Häusern gebe es meist von Kinderschutzmaßnahmen "keine Spur", so Czarnecki: "Die Reisenden bekommen auch Zugang zu den Schlafräumen der Kinder, sie können Fotos von den Kindern machen, sie dann in sozialen Netzwerken posten."
Aktive Weltverbesserer, passive Hilfeempfänger
Seriöse Anbieter für Freiwilligeneinsätze ließen sich dennoch finden. Ein Hinweis sei, dass Reiseveranstalter kein "extremes Armutsmarketing" betrieben, "der die Reisenden zu aktiven Weltverbesserern stilisiert und die lokale Bevölkerung einfach als passive Hilfeempfänger darstellt". Auch sollte man fragen, wieviel von dem selbst gezahlten Geld tatsächlich bei der lokalen Organisation ankomme, ob es Vorbereitungsseminare und Betreuer vor Ort gebe, sagt Czarnecki.

Das vollständige Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: Helfen ist eine gute Sache. Jahr für Jahr gehen junge, aber auch Leute im besten Alter in die Welt hinaus, um freiwillige Hilfe zu leisten. Manche aus altruistischen Motiven, für manchen jedoch ist diese Hilfe auch eine ziemliche Abenteuerreise. Und so wundert es nicht, dass auch auf der ITB, der Internationalen Tourismusbörse, die heute in Berlin beginnt, Vertreter von Hilfsorganisationen anwesend sind, die vor dem "Voluntourismus" warnen, ein Wort, das aus sich Freiwilligkeit und Tourismus zusammensetzt. Helfen um jeden Preis? Darüber will ich jetzt mit Dorothea Czarnecki sprechen, Sie ist Projektkoordinatorin bei ECPAT Deutschland, einer Arbeitsgemeinschaft zum Schutz der Kinder vor sexueller Ausbeutung, und vertritt ihre Organisation eben auch auf der ITB. Schönen guten Morgen!
Dorothea Czarnecki: Guten Morgen.
von Billerbeck: Frau Czarnecki, dass es Sextourismus gibt, das ist bekannt. Aber warum ist Ihre Organisation auf der ITB auch, um vor den Folgen freiwilliger Helfer zu warnen?
Czarnecki: Weil wir Kinderschutz eben auch durch diesen – na ja, neu kann man den Trend ja nicht nennen - aber zunehmend auf dem Markt einen Platz findenden Trend des Voluntourismus auch bedroht sehen. Kinderschutz wird oft bei Voluntourismus-Einsätzen nicht mit gedacht, und deswegen möchten wir das Thema vor allem bei dieser schönen Gelegenheit der ITB, wo einfach viele relevante Akteure zusammenkommen, auch ansprechen und diskutieren.
Lokale Organisationen werden zu touristischen Leistungspartnern
von Billerbeck: Nun denkt man ja, da gehen ein paar Menschen im mittleren Alter, sagen wir, ein paar Wochen oder gar Monate im Jahr, nutzen ihren Urlaub dafür, irgendwohin, um zu helfen, in Kinderheime, in Projekte et cetera. Das ist doch eine gute Tat, zumal die ja auch teilweise noch Geld dafür bezahlen, also gar nichts verdienen. Was ist Ihr Problem damit?
Czarnecki: Unser Problem ist, dass wir eine Verschiebung sehen von den Freiwilligendiensten, die es ja seit vielen Jahren schon gibt und die wirklich eine sehr sinnvolle Sache natürlich sind. Der Markt wird aber zunehmend auch auf touristische Angebote angepasst, und diese Freiwilligendienste werden kommerzialisiert. Das heißt, von diesem eigentlich ursprünglichen Gedanken, von lernorientierten Einsätzen verschiebt sich das so ein bisschen zum erlebnisorientierten Einsatz. Das heißt, wir sehen eine gestiegene Nachfrage nach Projektbesuchen und kurzzeitigen freiwilligen Einsätzen auch im Rahmen von Pauschal- und Rundreisen. Und dadurch werden die lokalen Organisationen vor Ort mehr zu touristischen Leistungspartnern, die auch genauso zuverlässig sein sollen wie Hotels oder Restaurants.
Aber soziale Arbeit funktioniert so nicht. Soziale Arbeit ändert sich natürlich jeden Tag, stellt andere Herausforderungen, und bei dieser Verschiebung und Kommerzialisierung werden die Bedürfnisse der Touristen, der zahlenden Kunden sozusagen dann auch zunehmend in den Mittelpunkt gestellt, anstatt die Interessen der lokalen Bevölkerung, wie es der ursprüngliche Gedanke war, wirklich auch zu fokussieren. Das ist sozusagen unser Problem, wie Sie es ausdrücken, weil wir dann auch damit zusammenhängend sehen, dass Voluntourismus-Anbieter die Aufnahmekriterien vereinfachen für den Einsatz in Projekten vor Ort, um möglichst viele Freiwillige natürlich zu vermitteln.
Dadurch entfallen viele Sachen, die eigentlich als Aufnahmekriterien galten und bei längerfristigen Einsätzen ab sechs Monaten ja immer noch gelten: Lebenslauf, Motivationsschreiben, auch polizeiliches Führungszeugnis. All diese Dinge, die fallen zunehmend weg, und wir zweifeln natürlich auch den Sinn von solchen Einsätzen an, wenn wir sehen, da kommt jemand und möchte nur zwei, drei Tage in einem Projekt, noch möglichst mit Kindern, irgendwo mitarbeiten – da geht es in erster Linie nicht ums "Helfen", sondern das hat weniger altruistische Gründe.
Waisenhaus-Tourismus liegt im Trend
von Billerbeck: Das heißt, Sie befürchten da auch, dass da auch mögliche Sextouristen bei solchen Einsätzen kommen, oder ist es grundlegender, diese Angst, dass da die soziale Arbeit ausgehöhlt wird und zu so einem Ad-hoc-Freiwilligeneinsatz wird?
Czarnecki: Beides, tatsächlich beides. Was uns aber wirklich besonders Sorge bereitet, ist der Trend des sogenannten Waisenhaus-Tourismus, also wenn Touristen sich auf ihrer Rundreise Waisenhäuser angucken, und dort in den Waisenhäusern ist meistens von Kinderschutzmaßnahmen auch keine Spur. Die Reisenden bekommen auch Zugang zu den Schlafräumen der Kinder, sie können Fotos mit den Kindern machen und sie dann in soziale Netzwerke posten. Also, da wird Kinderschutz überhaupt nicht mitgedacht. Und was wir dann auch international sehen, ist, dass die Nachfrage nach Waisen, tatsächlich nach Kindern, die diese Waisenhäuser füllen, ja auch steigt.
Wir haben Studien – wenn wir uns zum Beispiel das Land Kambodscha anschauen: Da sehen wir, dass auch 70 Prozent der Waisenhäuser auch überhaupt gar nicht lizensiert sind, auch einfach von Privatleuten eröffnet werden können. Und 85 Prozent der Waisen, die in kambodschanischen Waisenhäusern sind, haben noch zumindest ein lebendes Elternteil. Also da geht es für uns auch zu sehr in die Richtung Kinderhandel.
Fehlende Transparenz bei den Veranstaltern ist ein Problem
von Billerbeck: Wie soll man denn aber nun gute Anbieter solcher Freiwilligendienste von den schwarzen Schafen unterscheiden? Oder wollen Sie prinzipiell nicht mehr, dass Freiwillige auch mit Kindern in anderen Ländern arbeiten?
Czarnecki: Nein, das wollen wir überhaupt nicht. Es macht tatsächlich viel Sinn, wenn auch Freiwillige sich engagieren. Wir begrüßen es sehr, dass auch ein Interesse ist, wenn es denn auch reflektiert ist. Vor dem Hintergrund der Arbeitserfahrung der Freiwilligen, vor dem Hintergrund ihrer verfügbaren Zeit auch. Wovon wir nur abraten möchten, sind sehr kurzfristige Einsätze, Kurzzeiteinsätze in Projekten mit Kindern. Das macht nicht so viel Sinn. Aber Reisende haben natürlich viele gute Möglichkeiten, sich auch einzubringen, wenn sie ein bisschen Zeit vor allem auch mitnehmen.
Man sieht das relativ schnell auch, wenn man sich Angebote der Reiseveranstalter bewusst anguckt. Reisende sollten einfach mal gucken, dass nicht so ein extremes Armutsmarketing benutzt wird vom Reiseveranstalter, der die Reisenden zu aktiven Weltverbesserern stilisiert und die lokale Bevölkerung einfach als passive Hilfeempfänger darstellt, die nur darauf warten, dass endlich jemand kommt und mal drei Tage mitarbeitet.
Man kann aber auch wirklich gute Angebote finden, und wir ermutigen da die Reisenden dazu, wirklich auch Fragen zu stellen beim Reiseveranstalter, um zu gucken, wie viel auch von dem, was ich als Reisende dann zahle, wie viel kommt eigentlich bei der lokalen Organisation an? Wohin geht das Geld? Weil die fehlende Transparenz ist ein großes Problem, gerade. Auch fragen Sie, wer betreut mich eigentlich vor Ort? Habe ich einen Ansprechpartner bei Schwierigkeiten? Gibt es Vorbereitungsseminare? Wie lange arbeitet die Organisation mit dem Reiseveranstalter schon vor Ort? All diese Sachen können ja vorab schon auch durchleuchtet werden.
von Billerbeck: Dorothea Czarnecki war das über das Problem des Voluntourismus. Sie ist von der Arbeitsgemeinschaft zum Schutz der Kinder vor sexueller Ausbeutung und auch auf der ITB, die heute eröffnet wird in Berlin. Frau Czarnecki, herzlichen Dank für das Gespräch!
Czarnecki: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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