Volkswirt: Europäische Agentur würde nicht anders urteilen

Moderation: Jan-Christoph Kitzler · 18.01.2012
Würde eine europäische Ratingagentur andere Urteile fällen als die Konkurrenz aus den USA? Wahrscheinlich nicht, meint Holger Schmieding vom Bankhaus Berenberg. Ansonsten laufe eine solche Agentur Gefahr, von den Märkten nicht ernst genommen zu werden.
Jan-Christoph Kitzler: In den USA ist man besorgt, und auch in Europa mehren sich die Zeichen, dass die Staats- und Regierungschefs arge Schwierigkeiten haben, die Krise in den Griff zu bekommen. Ich bin verbunden mit Holger Schmieding, dem Chefökonomen der Berenberg Bank. Schönen guten Morgen!

Holger Schmieding: Guten Morgen!

Kitzler: Hat Paul Krugman recht, tut Europa immer noch zu wenig in der Krise?

Schmieding: Allgemein gesprochen hat er durchaus recht. Europa tut bisher nicht genug, um die Krise einzugrenzen. Als Folge dessen sind wir in Europa jetzt in eine Rezession gerutscht.

Kitzler: Er spricht ja davon, dass Europa eine höhere Inflation braucht, das löst in Deutschland sicher keine Begeisterung aus. Muss Deutschland sich so langsam verabschieden von der Idee eines harten Euro?

Schmieding: Nein, überhaupt nicht. Was wir tun müssen, ist nicht, dass wir mehr Inflation brauchen, ganz und gar nicht. Wir brauchen zwar eine Zentralbank, die bereit ist, im Notfall einzuspringen – auch da ist was Wahres dran –, aber wir brauchen nicht mehr Inflation, wir brauchen einfach nur eine Zentralbank, die bereit ist, die Rezession mit dem Mittel zu bekämpfen, das notwendig ist. Und das Mittel, das derzeit das beste wäre, wäre, allen Staaten, die ihre Hausarbeiten machen in der Fiskalpolitik, zu sagen, wir werden euch nicht pleitegehen lassen. Das ist etwas ganz anderes, als Inflation zuzulassen.

Kitzler: Das heißt aber im Notfall, mehr Geld in den Markt pumpen, noch mehr Geld.

Schmieding: Es heißt tatsächlich, im Notfall an einigen Punkten mehr Geld in den Markt zu pumpen, ja. Aber es ist eben derzeit so, dass die Wirtschaft in die Rezession geht, nicht in die Hochkonjunktur. Wenn die Zentralbank in einer Rezession aktiv wird, dann führt das nur dazu, dass die Rezession beendet wird, es führt nicht – sofern sie es nicht völlig übertreibt – zur Inflation. Und völlig übertreiben müssen wir es nun weiß Gott nicht. Noch mal: Wir brauchen eine Zentralbank, die dazu beiträgt, die Rezession zu beenden. Inflation brauchen wir nicht, und dass wir Inflation bekommen, ist ausgesprochen unwahrscheinlich. Die Inflationsrate fällt ja derzeit richtig nett.

Kitzler: Ein Teil der Krise ist ja auch, dass Panik herrscht an den Märkten, und eine ganz besondere Rolle spielen daher die Ratingagenturen. Die sorgen immer wieder mit ihren Abwertungen für viel Unruhe. Wie sehen Sie denn eigentlich deren Rolle? Haben sie eine wichtige Funktion, indem sie vielleicht den Finger in die Wunde legen und der Politik sagen, ihr tut noch nicht genug, oder sind sie am Ende doch vielleicht Brandbeschleuniger, die alles nur noch schlimmer machen?

Schmieding: Erstens haben Sie völlig recht, das Problem bei uns kann man mit dem Wort Panik bezeichnen, und um die Panik zu beenden, ist die Zentralbank geeignet, ein Signal zu senden. Aber jetzt zu den Ratingagenturen: Die Ratingagenturen stellen ja eigentlich nur fest, was derzeit offensichtlich ist. Europa hat es nicht geschafft, bisher die Krise völlig in den Griff zu bekommen, entsprechend haben sich die Aussichten auch für die Staatsfinanzen in Europa verdüstert – das hat eine dieser Ratingagenturen jetzt ausgesprochen. Sie sind nicht wirklich Brandbeschleuniger zurzeit, sie sind eigentlich derzeit nur in der Lage, dass sie etwas sagen, was der Markt ja ohnehin schon gewusst hat. Und man kann durchaus argumentieren, dass Frankreich nicht exakt in die Klasse gehört bei den Staatsfinanzen, in der Deutschland ist, nämlich in die Bestklasse. Frankreich hat etwas größere Haushaltsprobleme als Deutschland, und das hat eine der Ratingagenturen jetzt offen ausgesprochen. Das ist nicht wirklich Brand beschleunigend.

Kitzler: Aber wenn die Ratingagenturen den Daumen senken, dann greifen ja bestimmte Automatismen, dann werden ja zum Beispiel massenhaft Staatsanleihen verkauft. Kann man, muss man das nicht verhindern?

Schmieding: Nein. Ratingagenturen haben eine Aufgabe. Ihre eigentliche Aufgabe ist es, ein Urteil abzugeben als Berater. Was wir tatsächlich überdenken müssen, ist, ob wir an das Urteil einer Ratingagentur direkt als Gesetzgeber Konsequenzen hängen, ob wir also beispielsweise Pensionsfonds, Rentenkassen vorschreiben, dass sie ihr Verhalten ausrichten müssen, ihre Auswahl von Finanztiteln, die sie kaufen können nach dem Urteil von Ratingagenturen. Wir sollten die Bedeutung der Ratingagenturen niedriger hängen, indem wir eben keine regulatorischen Konsequenzen an das Urteil der Ratingagenturen hängen, das ist richtig, aber das reine Urteil der Ratingagenturen, der Rat, den sie geben, die Wahrscheinlichkeit, die sie nennen, dass es zu Problemen kommen kann, das sollten wir nicht verhindern.

Kitzler: Das heißt, man muss dafür sorgen, dass die Ratingagenturen Berater, Analysten bleiben, aber nicht zu eigentlichen Entscheidern werden?

Schmieding: Ja, genau, das ist gut zusammengefasst. Zurzeit sind sie teilweise Entscheider, weil wir eben in der Regulierung der Finanzmärkte, in der Regulierung dessen, was Pensionskassen kaufen können, weil wir dort die Ratingagenturen drin haben. Wir machen Dinge am Urteil fest, wir sollten sie auf die Rolle der Berater zurückbringen, und ja, das wäre die richtige politische Konsequenz aus dem jetzigen Ärger um die Ratingagenturen.

Kitzler: Das klingt ziemlich plausibel, warum wird das nicht reformiert? Wer hat denn eigentlich ein Interesse daran, dass die Ratingagenturen diese, ich sage mal zwiespältige Rolle spielen, die sie jetzt spielen?

Schmieding: Nun, es gibt ja auch durchaus das Interesse der Allgemeinheit daran, dass beispielsweise Pensionskassen nicht in riskante Titel investieren, und bisher hat man eben die Definition, was ist ein riskanter Titel, ein riskanter Finanztitel oder nicht, den Ratingagenturen überlassen. Das macht durchaus auch Sinn, dass es dort Regulierung gibt, nur eben, wir müssen überdenken, ob diese Regulierungen nicht übertrieben sind, ob wir nicht die Rolle der Ratingagenturen dort niedriger hängen müssen. Das heißt aber eben auch, dass wir dann beispielsweise den Pensionskassen etwas mehr Freiheit überlassen, wie sie ihr Geld anlegen – mit dem Risiko, dass auch diese Freiheit gelegentlich mal danebengehen kann.

Kitzler: Es gibt großes Unbehagen an der Macht dieser drei großen Ratingagenturen und jetzt auch die Forderung ganz aktuell, wir brauchen eine neue Ratingagentur, eine europäische Ratingagentur. Was halten Sie davon?

Schmieding: Nun, ich denke, Konkurrenz belebt das Geschäft, insofern habe ich nichts dagegen. Ich glaube allerdings nicht, dass eine europäische Ratingagentur sehr viel anders urteilen würde als die anderen Ratingagenturen, die wir jetzt haben. Würde sie erheblich anders urteilen, würde das vermutlich vom Finanzmarkt gesehen werden als ein Zeichen, dass diese neue "europäische", in Anführungsstrichen, Ratingagentur ein politisch gefälliges Urteil spricht, und damit würde sie vom Finanzmarkt nicht ernst genommen.

Kitzler: Holger Schmieding war das, der Chefökonom der Berenberg Bank. Haben Sie vielen Dank für das Gespräch und einen schönen Tag!

Schmieding: Ihnen auch, danke!

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