Volker Weiß: "Die autoritäre Revolte"

Warum das Abendland ein Mythos ist

Volker Weiß: Die autoritäre Revolte
Volker Weiß: Die autoritäre Revolte © picture alliance / Uwe Dettmar / Deutsches Filminstitut / dpa / Klett-Cotta (Promo)
Von Christian Rabhansl · 11.03.2017
Das Abendland sei nichts weiter als ein konservativer Mythos. Diese These vertritt Volker Weiß in seinem Buch "Die autoritäre Revolte". Etwas trocken, aber deshalb nie polemisch, demontiert Weiß wissensreich neurechtes Gedankengut.
Das Abendland ist eine eigentümliche Konstruktion: Seit beinahe einem Jahrhundert wird sein Untergang beklagt – ohne das es je endet. Beschworen wird und wurde das Abendland vor allem von jenen, die es in ständiger Gefahr sehen: Angefangen bei Oswald Spengler, der vor 99 Jahren das Copyright aufs Untergangsraunen erwarb, weiter bei den Pessimisten der Weimarer Republik und später Adolf Hitler, vorbei an den abendländischen Bolschewismuswarnern im Kalten Krieg bis in die Dresdner Straßen, auf denen heutige Abendlandbeschützer marschieren.
Dabei, schreibt Weiß, war und ist das Abendland ein bloßer Mythos. Keine politische Realität, sondern ein konservativ-romantischer Wunschtraum, der ständig mit neuem Inhalt gefüllt wurde und vor allem einen Zweck erfülle: sich abzugrenzen. Wer heute vom Abendland spricht, das analysiert Volker Weiß sehr deutlich, meint damit: nicht Morgenland, und vor allem: nicht muslimisch. Das Abendland sei primär eine Positionsbestimmung in Einwanderungsfragen.

Traditionen hochhalten, die es nie gab

Das Buch "Die autoritäre Revolte. Die Neue Rechte und der Untergang des Abendlandes" ist eine sehr klare, kühle, sachliche Beschreibung der neurechten Vorstellungen, ihrer historischen Vorbilder und internationalen Verknüpfungen. Weiß belegt die gedanklichen Wahlverwandtschaften zu den Vordenkern und Köpfe der Nazizeit. Er weist geschichtsvergessene Denkfehler nach. Er zeigt, dass Traditionen hochgehalten werden, die es teils nie gegeben hat.
Volker Weiß durchkämmt die befreundeten und verfeindeten Netzwerke der Neuen Rechten und beschreibt eine trübe Melange: aus Journalisten und Publizisten von Junger Freiheit und compact, aus der Straßenfraktionen rund um Pegida, aus offenen Neonazis, aus Politikern von AfD und NPD, aus den Schleusenöffnern wie Thilo Sarrazin, aus Intellektuellen rund um den Verleger Götz Kubitschek, der ihnen allen eine Aura der Bildung verpassen will. Sie alle eint laut Weiß ein "heroisch-maskulines Weltbild, gepaart mit Frauenverachtung und Homophobie". Ihr Feind sei jede Liberalität. Ihr Ziel: eine autoritäre Revolte gegen 1968.

Zusammenhänge herausgeschält

In den vergangenen Monaten sind etliche Bücher zu solchen Themen erscheinen, aber die meisten Autoren picken sich einen Aspekt heraus: hier ein Buch zur AfD; dort eins über die Rhetorik von Populisten; dann eins über den Einfluss Moskaus. Volker Weiß dagegen verbindet diese Themen, er schält jene Zusammenhänge heraus, die die Akteure der Neuen Rechten lieber raunend verdeckt halten.
Volker Weiß ist kein Straßenreporter. Er recherchiert vom Schreibtisch aus. Entsprechend trocken fällt die Sprache aus – selbst in der Beschreibung von Szenen kommt Weiß nicht ins anschauliche Erzählen. Doch sein zurückgenommener Stil hat einen großen Vorteil: Die Analyse ist nie polemisch, was oft einfach wäre, sondern gründlich, was manchmal mühsam ist. Umso härter trifft seine Kritik.
Die liberale Demokratie hat in der Neuen Rechten einen gefährlichen Gegner, das ist nach der Lektüre dieses Buches klar. Dieser Gegner ist weniger aus eigener Stärke erwachsen, sondern aus der Schwäche der Mitte und der Linken. Deshalb fordert Weiß am Ende eine kämpferische, feindliche Auseinandersetzung mit der Neuen Rechten. Die wahre Gefahr sei das "Schweigen in der Komfortzone".
Und das Abendland? Es wird wohl auch künftig nicht untergehen, sondern als Kampfbegriff immer neu erfunden.

Volker Weiß: Die autoritäre Revolte. Die Neue Rechte und der Untergang des Abendlandes
Klett-Cotta
304 Seiten, 20 Euro

Mehr zum Thema