Volker Kitz: "Feierabend"

Niemand muss für seinen Job brennen!

Volker Kitz
Buchautor Volker Kitz © Deutschlandradio / Manfred Hilling
Volker Kitz im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 23.02.2017
Leidenschaft im Beruf? Das muss nicht sein, sagt Autor Volker Kitz und plädiert für mehr Gelassenheit. Dass Arbeit unbedingt der wichtigste Lebensinhalt sein müsse, sei ein Irrglaube.
Uns werde permanent vermittelt: "Wenn du nicht ständig vor Leidenschaft und Erfüllung im Job platzt, dann stimmt etwas nicht." Die Mehrheit der Menschen mache ihre Arbeit gut und finde ihren Job ganz okay. Trotzdem werde einem ständig eingeredet 'das reicht nicht'. Diese Vorstellung sei falsch und kontraproduktiv, sagt Kitz: "Das bringt Leid über die Menschen."
Sein Appell solle nicht heißen, dass man keinen Spaß bei der Arbeit haben soll. Er wehre sich nur dagegen, "dass man ständig alles ganz toll finden muss". Im Gegenteil - oft sei es notwendig, dass Menschen in ihrem Job eben nicht glühen: "Stellen Sie sich mal einen Staatsanwaltschaft vor, der mit Leidenschaft Verbrecher zur Strecke bringen will, das ist nicht gut."
Mit seinem Buch wolle er für mehr Ehrlichkeit sorgen, sagt Kitz. "Arbeit - das muss nicht unbedingt mein Lebensinhalt sein. Das kann es sein, muss es aber nicht - und wenn nicht, dann ist es auch okay. Wenn wir darüber ehrlicher sprechen können, auf Seiten der Arbeitgeber, aber auch bei den Beschäftigten, dann würden wir viel gelassener und meiner Meinung nach auch besser arbeiten."

Das Gespräch im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: Sie hören "Studio 9", möglicherweise auf dem Weg zur Arbeit, vielleicht noch beim Frühstück, vielleicht auch schon bei der Arbeit. Und wenn dem so sein sollte, dann sorgen Sie bitte kurz dafür, dass Ihre Chefin oder Ihr Chef nicht zuhört, denn wenn ich es richtig verstehe, dann will uns unser Gesprächsgast hier in "Studio 9" eins vermitteln: Es gibt Wichtigeres im Leben als den Job. "Feierabend. Warum man für seinen Job nicht brennen muss", heißt das Buch des Publizisten und Psychologen Volker Kitz. Herr Kitz, guten Morgen!
Volker Kitz: Guten Morgen!
Frenzel: Ist das ein Aufruf zum Faulenzen?
Kitz: Nein, überhaupt nicht. Mir geht es darum, dass die Arbeit gut gemacht wird, dass die Leute gut arbeiten, dass sie mit ihrer Arbeit einigermaßen zufrieden sind. Das, wogegen ich mich wende, ist, dass den Leuten eingeredet wird in unserer Gesellschaft: Wenn du nicht ständig vor Leidenschaft und Erfüllung platzt mit deiner Arbeit, dann stimmt irgendwas nicht. Denn ich glaube, die Mehrheit der Menschen macht ihre Arbeit gut und findet ihren Job ganz okay. Sie leidet nur darunter, dass wir ihnen ständig einreden, das reicht nicht, es muss mehr sein. Es muss die große Erfüllung, der große Lebensinhalt sein. Das bringt Leid über die Menschen.
Frenzel: Das heißt also, gut machen, aber nicht komplett darin aufgehen?
Kitz: Ja. Es gibt einen Unterschied zwischen seine Arbeit gut finden und sie gut machen. Und ich finde, wir konzentrieren uns zu sehr darauf, seine Arbeit gut zu finden. Und seine Arbeit gut zu machen, das kann ja auch was sein, was zufrieden macht. Das kann auch eine Lebensinhalt sein, worauf man stolz ist.

Leidenschaft nicht mit Können verwechseln

Frenzel: Da würde ich nämlich gerade anknüpfen. Das ist ja vielleicht nicht nur in der jüngeren Zeit, aber gerade in der jüngeren Zeit ganz klar die Erzählung: Wenn du eine Leidenschaft hast für deine Sache, dann macht sie erstens mehr Spaß, und zweitens machst du sie auch besser. Ist das nicht so?
Kitz: Das hören wir überall, dass man eine Sache gut macht, wenn man sie leidenschaftlich macht. Ich bezweifle das. Da müssen wir uns nur mal so eine Castingshow anschauen, wie "Deutschland sucht den Superstar". Da sind Leute, die vor Leidenschaft glühen. Deren Lebensliebe ist die Musik, Singen ist ihre Leidenschaft, und nicht nur als Hobby. Die bewerben sich ja um einen Plattenvertrag für die Aufnahme ins Profimusikgeschäft. Und wer so eine Sendung mal gesehen hat, der weiß, Leidenschaft und Können sind zwei unterschiedliche Dinge. Bloß, weil ich was leidenschaftlich mache, mache ich es nicht gut. Deswegen habe ich so dieses Kundenversprechen, das Unternehmen haben, die sagen, hier wird alles mit Leidenschaft gemacht – damit wollen sie ja sagen, damit wird es offenbar gut gemacht –, das habe ich noch nie verstanden.
Frenzel: Muss man da unterscheiden zwischen unterschiedlichen Berufen? Ich könnte mir vorstellen, dass ein mäßig motivierter Müllfahrer wahrscheinlich nicht unbedingt ein Problem ist. Aber wenn ich dann an einen mäßig motivierten Lehrer denke, das ist erstens traurig für ihn, aber natürlich auch vor allem für seine Schüler.
Kitz: Es gibt gewisse Abstufungen. Motivation ist noch mal ein anderes Wort als Leidenschaft. Ich plädiere jetzt nicht dafür, dass man keinen Spaß bei der Arbeit haben soll, oder dass man seine Arbeit total doof finden soll. Aber dass man seine Arbeit irgendwie gut findet, ganz okay findet, bloß dieses ständige Brennen, dass man ständig das ganz toll finden muss, das ist was, was ich problematisch finde, denn das ist bei der Masse der Menschen nicht der Fall. Und ich glaube schon, dass auch ein Lehrer, um das Beispiel aufzugreifen, seine Arbeit besser macht mit etwas Distanz.

Es reicht auch seinen Job ganz okay zu finden

Frenzel: Wie kriegen wir das denn hin, was Sie da beschreiben? Brauchen wir da klare Regeln? Es gibt so ein Stichwort in Ihrem Buch, den Nine-to-five-Job, der ja insgesamt nicht so den besten Ruf hat, also gerade, wenn man eben für seinen Job brennt. Aber Sie sagen, das ist eigentlich ein ganz gutes Raster.
Kitz: Ja, ich möchte mit meinem Buch auch ein bisschen mehr Bewusstsein wieder für die Masse der arbeitenden Bevölkerung schaffen, die wir so nicht wahrnehmen. Wir nehmen fast nur die Extreme wahr. Auf der einen Seite die Leute, die ihre Jobs ganz toll finden, für die der Job wirklich ein Lifestyle-Objekt ist. Also, die hippe Berlin-Mitte-Bloggerin, der berühmte Schauspieler und so weiter. Und auf der anderen Seite Leute, die ihre Jobs ganz furchtbar finden und ganz arg darunter leiden.
Und die breite Masse der Leute, die ihren Job ganz okay finden, die blenden wir völlig aus, und die ihn auch ganz gut machen. Wir sagen, das reicht nicht. Wir nennen das Dienst nach Vorschrift. Aber was sollen die Leute denn machen? Sollen sie Dienst gegen Vorschrift machen? Ich verstehe das nicht, wie wir mit der Masse der Menschen umgehen, die jeden Tag - in Anführungszeichen - einfach nur ihre Arbeit machen, die gut machen, zuverlässig machen. Die treten wir mit Füßen.
Frenzel: Macht Ihnen Ihre Arbeit Spaß?
Kitz: Das macht sie. Allerdings ist der Beruf des Buchautors auch nicht so glamourös, wie ihn sich manche Leute vorstellen. Er besteht halt darin, dass man schreibt.

Falsche Vorstellungen von nächtlichen Mails und Teamarbeit

Frenzel: Ein Thema, das Sie aufgreifen, ist auch diese Frage, wie wir erreichbar sind. Das ist ja ein großes Thema, das in den letzten Jahren immer wieder eine Rolle gespielt hat durch die ganzen schönen kleinen Geräte, die wir bei uns haben. Die E-Mail Sonntagabend, zehn Uhr, ist das schon Ausdruck der narzisstischen Störung, wenn man die an seine Kollegen schreibt?
Kitz: ich habe ein Problem damit, dass die E-Mail abends um zehn mehr Wert ist als die E-Mail morgens um zehn. Dabei bedeutet ja, wenn jemand abends um zehn eine E-Mail schickt, bedeutet das einfach nur, dass er sie tagsüber nicht geschickt hat. Das kann unterschiedliche Gründe haben. Vielleicht hat er wirklich zu viel zu tun gehabt. Vielleicht war er aber auch einfach schlecht organisiert oder hat den Tag vertrödelt, während andere ihren vielgescholtenen Dienst nach Vorschrift gemacht haben. Also bloß, dass eine E-Mail abends um zehn verschickt wird, macht sie nicht automatisch besser, als wenn sie morgens um zehn verschickt worden wäre.
Frenzel: Spannend finde ich auch noch einen anderen Aspekt, den Sie aufgreifen, nämlich den Aspekt der Teamarbeit. Das ist ja auch die goldene Kuh unserer Zeit. Wenn man im Team arbeitet, ist das besser, weil es gemeinsam ist, weniger egoistisch. Und Sie sagen jetzt, das ist eigentlich auch Augenwischerei.
Kitz: Die Arbeitswelt sendet verschiedene Botschaften. Die eine lautet, du bist wichtig, auf dich kommt es an, du machst hier den Unterschied. Und was die Leute dann im Alltag erfahren, das ist genau das Gegenteil. Da ist eben nur noch das Team. Alles wird nur noch im Team erledigt. Das ist das fantastische Team, dem bei der Weihnachtsfeier pauschal gedankt wird. Und es wird so getan, als würden da alle unterschiedslos an einem Strang ziehen, als hätte der Pförtner und der Vorstandsvorsitzende gleich viel zum Erfolg dieses Teams beigetragen.
Dabei war es vielleicht einer der beiden mehr, vielleicht hat der Pförtner mehr beigetragen als der Vorstandsvorsitzende, oder umgekehrt. Aber es ist nicht gewollt, dass der Einzelne wahrgenommen wird, dass die Leistung des Einzelnen heraussticht, dass die kritisiert oder gelobt wird. Und das irritiert die Leute natürlich, weil dieses Versprechen von Wichtigkeit, das sie bekommen, steht im krassen Gegensatz zu der Erfahrung, die sie machen.

Mit etwas Distanz macht man bessere Arbeit

Frenzel: Herr Kitz, ab heute machen wir es besser. Viele hören uns jetzt zu, und ich habe es anfangs gesagt, möglicherweise auf dem Weg zur Arbeit. Haben Sie einen Rezeptkasten?
Kitz: Ich möchte mit meinem Buch mehr Ehrlichkeit anstoßen. Dass wir ehrlich darüber reden, dass wir sagen, Arbeit, das ist meistens Routine, die wiederholt sich halt sehr oft. Das sind nicht jeden Tag die tollen, spannenden Herausforderungen. Arbeit, das bedeutet, nicht nur mit netten Menschen zu tun zu haben, so wie das in den Stellenanzeigen steht. Sondern die weniger netten Menschen müssen ja auch irgendwo ihr Geld verdienen. Arbeit bedeutet auch, mit der Bandbreite der Bevölkerung zu tun zu haben.
Und Arbeit, das muss nicht unbedingt mein Lebensinhalt sein. Das kann es sein, muss es aber nicht, und wenn nicht, dann ist es auch ganz okay. Wenn wir darüber ehrlicher sprechen können, auf beiden Seiten, vonseiten der Arbeitgeber, aber auch bei den Beschäftigten, dann würden wir viel gelassener und meiner Meinung nach auch besser arbeiten. Das ist nicht der Schlüssel zu dem kurzen, schreienden Glück, aber ich glaube, es ist der Schlüssel zu einer dauerhaften Zufriedenheit.
Frenzel: "Feierabend. Warum man für seinen Job nicht brennen muss". Volker Kitz hat das Buch geschrieben, das heute im Fischer-Verlag erscheint. Herr Kitz, vielen Dank für das Gespräch, vielen Dank für den Besuch hier im Studio!
Kitz: Danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Volker Kitz: Feierabend! Warum man für seinen Job nicht brennen muss
Fischer Taschenbuch 2017, 96 Seiten

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