Volker Hauptvogel: "Fleischers Blues"

Vom Irrsinn, ein Punk zu sein

Graffitis auf der Westseite der Berliner Mauer am 29. April 1984
Graffitis auf der Westseite der Berliner Mauer © AFP / JOEL ROBINE
Von Ralf Bei der Kellen  · 14.03.2016
Im Hörbuch "Fleischers Blues" erzählt Volker Hauptvogel von seinen goldenen Zeiten als Punk im West-Berlin der Siebziger- und Achtzigerjahre. Hauptprotagonist Fleischer nimmt uns mit in ein Biotop aus Musik, Drogen, Sex und Gewalt - und zeigt gleichzeitig ein Stück deutsche Geschichte.
Remmler: "Die nun folgende Geschichte meines alten Kumpels Volker Hauptvogel wird Euch zurückversetzten in die späten Siebziger- und frühen Achtzigerjahre des alten West-Berlin."
Das Entré zum Hörbuch von "Fleischers Blues" gibt eine echte 80er-Jahre-Ikone: der ehemalige Trio-Sänger Stephan Remmler.
Remmler: "Ab dafür!"
Die Geschichte, die Volker Hauptvogel hier erzählt, ist an zwei historisch wichtigen Daten der alten BRD aufgehängt: Dem Selbstmord Ulrike Meinhofs 1976 in Stuttgart-Stammheim. Und dem 22. September 1981, als der Hausbesetzer Klaus-Jürgen Rattay bei einer Demonstration und einem anschließenden Polizeieinsatz überfahren wurde.

"Mit dem Überlebenswillen eines Slum-Kindes"

Beides steht symbolisch für eine Zeit als die Berliner Mauer noch stand und die Stadt selbst ein wundersames Biotop war – zumindest aus Sicht von Volker Hauptvogels Held Fleischer:
"Fleischer, im Arbeiterbezirk der Hafenstadt aufgewachsen, war weitgehend ohne Erziehung oder Wertevermittlung irgendeiner Art aufgewachsen und hatte so den Überlebenswillen eines Slum-Kindes entwickelt."
Fleischer stammt eigentlich aus Wilhelmshaven. Flieht aber nach Berlin als ihm die Einberufung zur Bundeswehr droht.
"Berlin rief schon lange: Komm her, steig ein, mach mit! Umherschweifende Haschrebellen, Bewegung 2. Juni, High sein, frei sein, Terror muss dabei sein, Tupamaros, das Rauch-Haus, das Tommy-Weisbecker-Haus. Und die Berliner Luft soll ja so gesund sein, dass man weniger Schlaf braucht."
Da Wohnraum knapp ist, landet Fleischer in einer basisdemokratischen WG, deren Dogmatismus ihn aber alsbald schon wieder vertreibt. Nach:
Remmler: "Neukölln."
Dort in einem der heruntergekommensten Viertel des alten West-Berlins zieht Fleischer in ein Loch von Wohnung. Seinen Lebensunterhalt verdient er mit dem Verkauf von illegalen Substanzen, bevor er eine Stelle als Schriftsetzer annimmt.

Und dann kommen Punker und Polizistin zusammen

Dazwischen bewegt er sich im linken Milieu mit den besetzten Häusern, den grandiosen Bars, den schrägen Frauen. Ein Leben in einer Endlosschleifen aus trinken, tanzen, philosophieren und verlieben – in Bella etwa:
"Grüne Augen, rotes Haar- puh! Aus Fleischers Augen drohten Atombombenpilze zu steigen. Schweiß lief seinen Rücken hinab."
Fleischer kommt dann aber mit Bellas Schwester Claudiana zusammen, und die ist – ausgerechnet – Polizistin. Das hat Sprengkraft. Und passt zum Punk, den Fleischer, sein Freund Ede und mit ihnen scheinbar die ganze Stadt für sich entdecken.
"Diese Musik wird die Welt verändern – beide waren sich sicher. Ganz sicher. Das war besser als alle Drogen, das war besser als Sex. Das war die göttliche Offenbarung, das war ein historischer Moment. Die Musik war neu erfunden worden. Das würde Folgen haben. Es war eine klare Botschaft."
Ihre Band nennen die beiden "Mekanik Destrüktiw Kommandoh" - die gab es wirklich und eines ihrer Mitglieder war Volker Hauptvogel.
"Ihre eigenen ersten Stücke ‚Tritt in den Arsch und Freie fahrt für die Bullen und den Staat’ sowie ‚Kreuzberg ist so wundervoll’ kamen gut an."
"Fleischers Blues" ist eine derbe, unprätentiöse Erzählung: Ein Feuerwerk aus Sex, Musik, Drogen und Gewalt inmitten linker Utopien und Verbohrtheiten und dem hemmungslosen Irrsinn des frühen Punk.

Als die U-Bahn noch Raucherwagen hatte

Und Guntbert Warms gibt der Erzählung mit seinen Berlinerischen Einsprengseln das nötige Lokalkolorit:
"Da kiekste, Alter, wa? Dit is ne Rollex Blue Oyster, hack billig jeschossen, wa?"
Auch wenn die Rahmenhandlung dem Werk einen literarischen Anstrich gibt, so sind es vor allem die – wie auch immer fabulierten – Erinnerungen Volker Hauptvogels, die dieses Hörbuch befeuern. Und genau das ist seine Schwäche wie auch seine Stärke: Hier erzählt ein in die Jahre gekommener Punk von seinen goldenen Zeiten.
Gleichzeitig wird dadurch aber auch ein Stück deutscher Geschichte wie auch deutscher Popkultur schlaglichtartig dargestellt – von Udo Jürgens bis Blixa Bargeld. ‚Fleischers Blues’ ist eine wilde Geschichte aus der Zeit, als die Berliner U-Bahn noch Raucherwagen hatte.
Remmler: "Es blitzt mal wieder über Kreuzberg, es donnert auch in ganz Berlin. Doch die Freiheit, die wir meinen, die gibt es nicht im Kleinen."

Volker Hauptvogel - Fleischers Blues
Deutsche Grammophon Literatur, 2016
4 CDs, Laufzeit 322 Minuten