Volker Hage - "Die freie Liebe"

Softporno vom Literaturkritiker

Zwei Männer und eine Frau
Einmal prüft die in der Mitte liegende Lissi tatsächlich, ob die links und rechts von ihr liegenden Männer eine Erektion haben. © picture alliance / dpa / Foto: Felix Kästle
Von Helmut Böttiger · 28.05.2015
Volker Hage, Ex-Kulturchef beim "Spiegel", erzählt uns in "Die freie Liebe" die Geschichte einer Dreiecksbeziehung in den 70ern. Zwischen Umsturz und Revolution probieren eine junge Frau und zwei Männer in Sachen Erotik alles Mögliche aus.
Mittlerweile wagen sich auch immer mehr Literaturredakteure an das prekäre Genre des Romans, das fällt auf. Und jetzt tastet sich auch Volker Hage vor. Das ist bemerkenswert, denn Hage war Literaturredakteur bei der "FAZ", dann Literaturchef bei der "Zeit" und zuletzt lange Jahre, bis zur Verrentung, Literaturchef beim "Spiegel". Von ihm wird auf jeden Fall bleiben, dass er um die Jahrtausendwende den Begriff des "neuen deutschen Fräuleinwunders" prägte. Er hat an Autorität und Einfluss eigentlich alles erreicht, was man im Literaturbetrieb erreichen kann. Was treibt ihn jetzt noch um?
Der einzige Kritiker, der nie zugab, dass er jemals primärliterarische Ambitionen gehabt haben könnte, war Reich-Ranicki. Überall sonst muss man mindestens frühe Jugendgedichte vermuten, denn "Schriftsteller", das klingt allemal am besten. Volker Hage ist zweifellos in die Reich-Ranicki-Schule gegangen, und wenn er nun einen Roman mit dem Titel "Die freie Liebe" vorlegt, merkt man auf: Reich-Ranicki war dafür bekannt, dass er in Büchern gern die erotischen Stellen aufsuchte, und beim "Spiegel" war Hages Vorgänger Hellmuth Karasek geradezu berühmt dafür, dass er diese Stellen hervorhob und genüsslich auskostete. Nimmt Hage jetzt auch hier Witterung auf? Es gibt da aber die Seniorenfalle. Manch einer, und die Beispiele liegen buchstäblich auf der Hand, scheitert an den Versuchungen der Alterserotik.
Hage ist gewitzt genug, das formal zu vermeiden, und lässt über weiteste Strecken seinen kaum 20-jährigen Protagonisten in Ich-Form ein Tagebuch schreiben. Allerdings ist dieser Protagonist Anfang der 70er-Jahre kaum 20-jährig, und das ist schon eine gewisse Weile her. Dadurch gehen Alter und Jugend untrennbar ineinander über, und in der Perspektive des jungen Tagebuchschreibers können die Dinge natürlich zwangsläufig unmittelbar und in berührender Weise naiv wahrgenommen werden. So ist "Die freie Liebe" durchaus eine Art Softporno geworden. Dafür gibt es ja bekanntlich potenziell ein großes Publikum, da kennt der Redakteur sich aus: "So etwas Schönes hatte ich noch nie gesehen, ihre dunkle Haut, ihr schmaler Körper, große Brüste, pechschwarzes Schamhaar. Alles im Kerzenlicht."
Links und rechts von ihr liegende Männer
Nun spielt das Ganze zwar in einer Zeit, in der alles Mögliche ausprobiert wurde, freie Sexualität, Umsturz, Revolution – doch viel merkt man davon nicht. Die Zeitumstände werden kurz mithilfe von Zeitungsüberschriften referiert, ansonsten geht es vor allem um eine kokett gestaltete Dreiecksbeziehung. Der Held fährt auch gleich etliche Referenzgrößen für dieses zwei Männer/eine Frau-Prickeln auf: Jules und Jim, Goethes Stella oder natürlich Max Frisch. Einmal liegen tatsächlich alle drei zusammen im Bett, und das geht fast ein bisschen zu weit: Da prüft die in der Mitte liegende Lissi tatsächlich, ob die links und rechts von ihr liegenden Männer eine Erektion haben. Aber sonst bleibt es einfach, da gibt es halt immer mal Geschlechtsverkehr, und danach ist der Held ganz glücklich: "Wir schauten uns dabei verwundert in die Augen. So hat der liebe Gott das gemeint, dachte ich nur, so soll es sein."
Natürlich ist das ein Trick, mit dem überschwängelnden 20-Jährigen als Ich-Erzähler, und Volker Hage weiß natürlich, was er da tut. Aber hat er wirklich alles im Griff? Heimlich schmuggelt er Philip Roth und John Updike ein, um einen literarischen Maßstab deutlich zu machen, und der Held freut sich immer, wenn in der "FAZ" zu Goethes Geburtstag eine Glosse steht. Es scheint eine Sehnsucht zu geben, die mitunter genauso groß sein kann wie die Sehnsucht nach Liebe: Es ist die Sehnsucht nach Literatur. Doch auch die kann sehr gefährlich werden.
Volker Hage: "Die freie Liebe"
Luchterhand Verlag, München 2015
159 Seiten, 16,99 Euro
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