Völkermord an Roma

"Porajmos muss in Schulbücher"

Gedenkstätte für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma in Berlin.
Gedenkstätte für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma in Berlin © dpa / picture alliance / Michael Kappeler
Von Arlette-Louise Ndakoze · 07.12.2015
500.000 Roma wurden während der Nazi-Zeit ermordet. Der Porajmos ist vielen Deutschen bis heute nicht bekannt. Darauf will die Dresdnerin Maria Schossig aufmerksam machen. Über Grenzen hinaus setzt sie sich gegen Diskriminierung von Roma ein.
"Selbst bis nach Prag ist es nicht so weit wie bis nach Berlin. Also es ist quasi um die Ecke – werden Leute angegriffen, Häuser angezündet, müssen Leute um ihr Leben fürchten."
Und da ist es klar für die Dresdnerin Maria Schossig auch nach Tschechien zu fahren und sich grenzüberschreitend zu engagieren:
"Wenn das jetzt nicht auf deutschem Boden passiert, sondern hinter der Grenze, natürlich geht uns das was an."
Antiromaismus in der Mitte der Gesellschaft
Sagt die Dresdnerin – während neben ihr auf dem belebten Postplatz eine Pferdekutsche vorbei rollt. Maria Schossig – Mitte 30 – Buchhalterin – engagiert sich nach dem Feierabend bei der "Soligruppe gegen Antiromaismus". Die fährt regelmäßig auch ins benachbarte Tschechien, um dort die Hassmärsche der dortigen Neonazi-Partei DSSS und deren Angriffe auf Roma-Wohnviertel durch Blockaden zu verhindern. Dabei verortet sie Antiromaismus nicht nur am Rand, sondern auch in der Mitte der europäischen Gesellschaften.
"Roma heißt für viele Leute: Das sind die, die auf Kosten aller anderen Leben, das sind die, die in die Sozialsysteme einwandern. Die, die, einfach arm sind, und einfach sich nur hier Leistungen erschleichen wollen, die Asylbetrug begehen, die wollen gar nicht arbeiten und so weiter."
Diese pauschalen Vorurteile kennt die Dresdnerin auch von den heimischen Pegida-Märschen. Gleich hier beim Postplatz um die Ecke. Die Parolen von den "arbeitsunwilligen" Roma hält sie für fatal.
"Auf der einen Seite sagt man, die Leute wollen nicht arbeiten, aber man gibt ihnen auch keine Arbeit, man gibt ihnen auch keine Chance. Man schließt sie halt einfach mal systematisch aus."
Trotz entsprechender Qualifikationen schwerer Einstieg in Arbeitsmarkt
Maria Schossig nennt eine Folge der strukturellen Diskriminierung, die nichts mit den Fähigkeiten der Menschen zu tun habe.
"In Kosovo sind hundert Prozent, also alle Roma, die da sind, arbeitslos, weil die einfach keinen Job bekommen."
Als größte Minderheit Europas erleben die Roma in vielen Staaten, dass sie es trotz entsprechender Qualifikation schwerer haben in den Arbeitsmarkt oder in ein politisches Amt zu kommen. Deshalb trifft für die Dresdnerin der Begriff "Wirtschaftsflüchtling" auch nicht zu. Wirtschaft ist für sie auch politisch. Und wer von der Wirtschaft ausgeschlossen wird, wird auch politisch diskriminiert – also sollte es keine unterschiedliche Behandlung der Flüchtlinge geben, meint Maria Schossig.
"Und das ist sozusagen auch das, was jetzt auch in der aktuellen Asyldebatte für unsere Begriffe wieder eine maßgebliche Rolle spielt – das halt unterschieden wird in sogenannte nützliche Einwanderung und die Leute, die eigentlich nur eine Belastung darstellen. Und das ist eigentlich ganz gefährlich, weil das ist genau die Nazi-Argumentation, mit der diese Leute vernichtet worden sind."
Pojarismus nach wie vor kein Thema in Deutschland
Schätzungsweise 500.000 Roma wurden während der Nazi-Zeit ermordet. Der Genozid, auch bezeichnet als Porajmos, ist dennoch vielen unbekannt. Deutschland sollte Verantwortung übernehmen, meint die Aktivistin, Reparationsleistungen ausreichend erbringen, den Porajmos zum Schulstoff machen.
"Aber was halt nicht sein kann, ist dass man sagt: Naja, es sind ja nur die Roma, ist ja egal. Das ist das, was uns stört, dass der Porajmos genauso wie auch andere Verbrechen auch später noch an Roma und Sinti, oder Verfolgung, Diskriminierung, Ausschluss, alles, was da passiert, nach wie vor kein Thema ist in der deutschen Gesellschaft."
Die Dresdnerin Maria Schossig bleibt trotz Entrüstung sachlich. Eine Aktivistin, die nicht provozieren will, aber ist sie zumindest ein Störenfried?
"Störenfried ist ein negatives Wort, und das sehe ich eigentlich nicht so. Das ist zwar an gewissen Punkten notwendig, den Frieden zu stören, aber eigentlich ist es ja grad gar nicht so friedlich. Ich würde eher sagen, ich will helfen zu vermitteln. Ich würde gerne Sachen übersetzen und Leute zusammenbringen, aber deswegen heißt das nicht, dass ich nicht auch Kritik übe."
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