Vladimir Nabokov: "Briefe an Véra"

"Gestern hab ich von Dir geträumt"

Der russisch-amerikanische Schriftsteller und Schmetterlingsexperte Vladimir Nabakov und seine Ehefrau Vera trinken 1962 auf der Terrasse ihres Hotels in Genf in der Schweiz Tee.
Der russisch-amerikanische Schriftsteller und Schmetterlingsexperte Vladimir Nabakov und seine Ehefrau Vera trinken 1962 auf der Terrasse ihres Hotels in Genf in der Schweiz Tee. © dpa / picture-alliance
Von Olga Hochweis · 11.11.2017
Muse, Sekretärin, Geldverdienerin – der russisch-amerikanische Schriftsteller Vladimir Nabokov schrieb seiner Frau Véra über eine Zeitspanne von mehr als einem halben Jahrhundert einige hundert Briefe. Erstmals erscheinen sie nun auf Deutsch.
Vladimir Nabokov – 24-jähriger Spross einer privilegierten Politiker-Familie und Absolvent des Trinity-College in Cambridge mit literarischen Ambitionen – lernte die knapp drei Jahre jüngere Véra Slonim 1923 in Berlin kennen. Die Tochter eines wohlhabenden jüdischen Händlers aus St. Petersburg kannte Nabokovs Werke. Zwei Jahre später heirateten die beiden und blieben bis zu seinem Tod 1977 ein Paar. Véra wurde zur wichtigsten Konstante in Nabokovs rastlosem, von Orts- und Sprachwechseln geprägten Leben: seine Muse, Lektorin, Sekretärin, Geldverdienerin und Gefährtin bei der Schmetterlingsjagd. Früh bringt er das Verhältnis in einem Brief vom Januar 1924 in ein bezeichnendes Bild:
"Gestern hab ich von Dir geträumt – dass ich Klavier spielte und Du mir die Seiten umblättertest..."
Während der seltenen räumlichen Trennungen der beiden geht es in den Briefen vorrangig um die Weiterführung der sonst mündlichen Kommunikation – mal minutiös protokollierend, dann wieder in lustvoll-spitzem, geradezu ekstatischen Ton: Informationen zu Förderern oder Honoraren, Bitte um Erledigung von Aufgaben rund um die Manuskripte, die Beschreibung von Wetter, Tagesablauf, Kleidung, Art und Qualität der Mahlzeiten, Selbstdarstellung. Vor allem in den ersten Jahren liest man zudem viele phantasievolle Liebeserklärungen an Véra:
"Ich liebe Dich, meine Sonne, mein Leben, ich liebe Deine Augen – geschlossen – all Deine Gedankenstummel, Deine langgezogenen Vokale, Deine ganze Seele von Kopf bis Fuß. Ich bin müde. Ich lege mich hin. Ich liebe Dich." (30.12.1923)
Zwei Drittel der Briefe stammen aus den ersten 15 Jahren der Berliner Zeit, als die schwermütige Véra zu längeren Kuraufenthalten verreiste oder Vladimir seine Mutter in Prag besuchte bzw. bei längeren Aufenthalten in Paris und London seine literarische Karriere voranzutreiben versuchte. Kaum findet man in den Briefen aus diesen politischen Schlüsseljahren Kommentare zu Nazi-Deutschland oder zur Sowjetunion, auch wenn die Verachtung des anglophilen und seit 1939 auf Englisch schreibende Romancier gegenüber beiden Regimes ganz vereinzelt um so schärfer aufblitzt:
"Ich bin so froh, dass wir endlich mit Deutschland fertig sind. Niemals, niemals werde ich dorthin zurückkehren. Verflucht soll es sein – das ganze kalte Pack." (10. Mai 1937)
Bis zur Ausreise von Frankreich in die USA 1940 sind auch die Bemühungen um eine stabile Existenz, die Geldsorgen, der wachsende literarische Ruhm Nabokovs wiederkehrendes Thema. Einige wenige Briefe spiegeln dabei Zeitgeschichte auf Vortragsreisen in Südstaaten wie in Atlanta 1942:
"Der schwarze Fachmann für russische Literatur hier hat mich gefragt, ob es in Russland möglich sei, darüber zu sprechen – und überhaupt zuzugeben, dass Puschkin Negerblut hatte."
Man hätte sich mehr solcher Briefe gewünscht, die über das Privat-Organisatorische hinausgingen. Vermutlich hätte der große Perfektionist Nabokov selbst diese Briefe niemals veröffentlicht. Die Zustimmung erfolgte erst nach seinem Tod durch Véra. Ihre Antwortbriefe ließ sie dabei ausgespart.

Vladimir Nabokov: "Briefe an Véra"
Herausgegeben von Brian Boyd und Olga Voronina
Übersetzt aus dem Englischen von Ludger Tolksdorf
Gesammelte Werke, Band 24, Rowohlt, Reinbek bei Hamburg, 2017
1147 Seiten, 40 Euro

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