Villagers: "The Art of Pretending to Swim"

"Ich bin verliebt in Gott"

Der irische Musiker Conor J. O'Brien
Früher zog es ihn textlich eher in Fantasiewelten. Heute greift Conor O'Brien auf Erlebtes zurück. © picture-alliance / dpa / Rich Gilligan
Conor O'Brien im Gespräch mit Christoph Reimann · 20.09.2018
"Villagers" – das klingt nach singender Dorfgemeinschaft. Tatsächlich steckt dahinter nur der Ire Conor O'Brien. Auf seinem neuen Album spielt Religion eine große Rolle. Im Gespräch erzählt er wie er zur Spiritualität fand und seine Smartphonesucht bekämpfte.
Christoph Reimann: Sind Sie ein religiöser Mensch?
Conor O’Brien: Kommt drauf an, was Sie damit meinen. Religiös bin ich in der Hinsicht, dass ich jeden Tag zur selben Zeit aufstehe und nach einem festen Zeitplan anfange, Musik zu machen. Das ist meine Religion – und das entspricht ja auch dem ursprünglichen Wortsinn. Dass ich im Song "Again" das Wort "Gott" in den Mund nehme, hat etwas Befreiendes für mich. Ich habe damit das Wort für mich neu besetzt, es befreit von all den negativen Konnotationen, die es für mich als Kind, als Jugendlicher und junger Erwachsener hatte. Ich bin in Irland aufgewachsen, einem Land, das sich nur langsam von der katholischen Kirche löst. Jetzt kann ich das Wort endlich so benutzen, wie ich es möchte.
Reimann: Was war das für ein Druck, dem Sie als Heranwachsender ausgesetzt waren?
O’Brien: Ich bin in einem katholischen Bildungssystem aufgewachsen. Ein System, das ganz offensichtlich voll internalisierter Homophobie steckt, da muss man nur mal an die vielen schwulen Priester denken. In diesem Umfeld groß zu werden, war sehr frustrierend. Es gab einfach wahnsinnig viel, worüber nicht gesprochen werden durfte. Heute bin ich Mitte 30 und verliebt in Gott.

Der Glaube an das Leben und sich selbst

Reimann: Es gibt einige Textzeilen auf dem neuen Album, die auf die christliche Religion anspielen. In einem Song erklären Sie, dass Sie ein Mann des Glaubens sind, ein anderes Lied heißt "Sweet Saviour", süßer Erlöser. Damit könnte ein Liebhaber gemeint sein, aber auch Jesus.
O'Brien: In dem Song geht es darum, den Glauben an das Leben und sich selbst verloren zu haben. Ich habe eine schlechte Zeit hinter mir, eine Zeit, in der ich mich kaum aufraffen konnte, morgens aufzustehen. Am liebsten wollte ich gar nichts mehr machen. Auch als Songwriter habe ich mir nichts mehr zugetraut. Damals hatte ich gerade eine ziemlich schlechte Erfahrung in einer Beziehung gemacht. Aber mit dem Song will ich auch erzählen, dass man den Glauben an sich selbst zurückgewinnen, dass man heilen kann. Und ob Sie diese heilende Kraft nun Gott nennen wollen, Musik oder Liebe …
Reimann: Wie nennen Sie es?

O’Brien: Ich will einfach nur singen. Das Bibelvokabular interessiert mich, weil es etwas Befreiendes an sich hat. Das Gefühl der Freiheit empfinde ich zum Beispiel, wenn ich Gospels höre. Solche Momente sind die Gegenthese zu meiner ansonsten so angstgetriebenen Seele, der Gegenentwurf zu unserer technikversessenen Gesellschaft. Der Gegenentwurf dazu, alle zwei Minuten das verdammte Smartphone in die Hand zu nehmen. Das ist ja beinahe eine kultische Verehrung, allerdings getrieben von dem Hintergedanken, dass es sich für uns irgendwie direkt auszahlen würde. Das Gegenteil dazu ist meines Erachtens die Spiritualität.
Reimann: Ihr Smartphone liegt hier neben Ihnen auf dem Tisch.
O’Brien: Ja, ich weiß. Ich gucke die ganze Zeit nach Mails. Vor etwa anderthalb Jahren ist mir aufgefallen, dass ich seit fast zwei Jahren kein Buch mehr gelesen hatte, eben weil ich nur die ganze Zeit auf mein Handy geguckt habe, immer irgendwelche Dinge gecheckt habe, mir irgendwelche YouTube-Videos reingezogen habe. Ich habe dann gemerkt, dass mein Gedächtnis bereits anfing, nachzulassen. Also habe ich mein Handy beiseite gelegt und bin für einige Zeit mit einem Stapel Bücher unter dem Arm verschwunden. Dadurch habe ich überhaupt erst wieder gelernt, längeren Handlungssträngen zu folgen und meine Handyzeit zu kontrollieren.
Reimann: Vielleicht auch, wieder eine Verbindung zur eigenen Fantasie aufzubauen. Denn die kommt ja auch abhanden, wenn man sich die ganze Zeit mit schnellen Medien zuknallt, Netflix-Serien zum Beispiel.
O’Brien: Total. Und wir alle sind im Moment nach denselben Dingen süchtig: nach Twitter, Netflix, Facebook. Das verändert, wie wir unser Hirn benutzen, wie wir miteinander umgehen – und auch die geopolitische Landschaft, in der wir leben. Ich denke, wir müssen uns dagegen wehren. Und das kann zum Beispiel passieren, indem wir uns auch auf Dinge einlassen, die weniger Dopamin freisetzen, die nicht einen sofortigen Rausch zur Folge haben. Die dafür aber tiefsinniger sind. Für mich ist das die Kreativität. Und ich versuche zu meditieren. Aber ich bin nicht besonders gut darin.
Reimann: Dann sollten wir die Hörerinnen und Hörer darum bitten, das Album von vorne bis hinten zu hören, ohne Unterbrechungen.
O’Brien: Ja. Das Album ist zyklisch angelegt.
Reimann: Die Leute werden es trotzdem auf Spotify-Playlisten hören.
O’Brien: Ich weiß. Egal.

Ein lebensbejahendes Album

Reimann: Das Album ist im Vergleich zum Vorgänger viel reicher instrumentiert. Das meiste haben trotzdem wieder Sie allein gemacht: Instrumente eingespielt, die Aufnahmen gemacht, das Album produziert. Mit was für einer Sound-Idee sind Sie an das Album herangetreten?
O’Brien: Ich wollte etwas machen, das sich kosmisch anhört. Ich habe mir viel spirituellen Jazz angehört, Alice Coltrane und Pharoah Sanders. Dazu viel Funk-Musik von anderen afroamerikanischen Musikern wie Donny Hathaway und Ann Peebles. Lebensbejahende Musik. Und mein Album sollte ebenfalls lebensbejahend sein. Zum Teil ist es mir gelungen, zum Teil hat es doch etwas Depressives. Aber ich glaube, so bin ich einfach. Und mir gefällt das Spannungsverhältnis, das daraus entsteht.

Reimann: Neu sind die Störelemente in den Songs, immer dann zu hören, wenn es ansonsten zu schön klingen würde. Dann kommen Manipulationen Ihrer Stimme und kleine Irritationen. Wahrscheinlich machen Sie das ganz bewusst.
O’Brien: Ja. Mir gefällt das. Und ich habe mich für dieses Album echt viel mit Synthesizern und dem Einrichten eines vollwertigen Studios beschäftigt.
Reimann: Allein in Ihrem Zuhause in Dublin?
O’Brien: Ja. Ich bin in eine neue Wohnung gezogen und habe mir auf dem Dachboden ein Studio eingerichtet. Ich habe ein ganzes Jahr damit zugebracht, Bedienungsanleitungen zu lesen. Dann war das Studio fertig, und ich konnte anfangen, Songs zu schreiben.

Wie Technik unser Leben bestimmt

Reimann: Der letzte Song heißt "Ada". Wer ist Ada?
O’Brien: Der Song basiert auf Ada Lovelace, der Tochter des Dichters Lord Byron. Im frühen 19. Jahrhunderts traf sie auf den Ingenieur Charles Babbage. Er hatte gerade eine Maschine entwickelt, von der er behauptete, sie könne von allein rechnen. Lovelace hat sich intensiv mit dieser Erfindung auseinandergesetzt und ein Essay darüber verfasst. Es gilt heute als die erste festgehaltene Auseinandersetzung mit einem Algorithmus. Daher ist Ada Lovelace so etwas wie die Vordenkerin des Computers.
Für mich steht sie für den Anfang unser heutigen Welt. Denn auf dem Album geht es darum, wie die Technik unser Leben bestimmt, im Guten wie im Schlechten. In dem Song "Ada" singe ich, dass ich mich wie ein Untertan von Lovelace fühle, fast schon in einem spirituellen Sinn, etwa wie in diesem Bob-Dylan-Song, wo es heißt, "you gotta serve somebody" – "du musst jemandem dienen". Und ich habe das Gefühl, ein Untertan der Algorithmen zu sein, die mit Ada ihren Ursprung fanden.
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