Vietnam-Deutschland

Prozess gegen entführten Trinh Xuan Thanh beginnt

Trinh Xuan Thanh, ein Geschäftsmann und ehemaliger Funktionär von Vietnams Kommunistischer Partei (KP), sitzt in Berlin auf einer Parkbank
Der vietnamesische frühere Ölmanager Trinh Xuan Thanh soll mitten in Berlin vom Geheimdienst seines Landes verschleppt worden sein. Nun beginnt in Hanoi ein Prozerss gegen ihn © Privat/dpa
Phuong Le Trong im Gespräch mit Ute Welty · 08.01.2018
Die mutmaßliche Entführung des Vietnamesen Trinh Xuan Thanh mitten in Berlin hat für eine diplomatische Krise zwischen beiden Ländern gesorgt. Die Exilvietnamesen in Deutschland verfolgen den Korruptionsprozess in der alten Heimat mit Interesse, sagt der Soziologe Phuong Le Trong.
In Hanoi hat der Korruptionsprozess gegen den mutmaßlich aus Berlin entführten Vietnamesen Trinh Xuan Thanh begonnen. Dem ehemaligen KP-Funktionär und früheren Chef eines staatlichen Erdölförderanlagen-Unternehmens werden Missmanagement und Unterschlagung vorgeworfen. Bei einer Verurteilung drohen ihm eine langjährige Haftstrafe oder sogar die Todesstrafe. Neben Thanh mussten sich auch das ehemalige Politbüro-Mitglied Dinh La Thang und 20 weitere ranghohe Funktionäre vor Gericht verantworten.

Diplomatische Krise

Thanh, der in Deutschland Asyl beantragt hatte, soll Ende Juli vom vietnamesischen Geheimdienst in Berlin verschleppt und nach Vietnam gebracht worden sein. Der Fall löste eine Krise im diplomatischen Verhältnis beider Länder aus: Das Auswärtige Amt sprach von "Menschenraub" und "Entführung". Die vietnamesische Regierung bestreitet die Vorwürfe, sie betont, Thanh sei freiwillig zurückgekehrt, um sich dem Verfahren zu stellen. Die Bundesregierung hatte angekündigt, den Prozess beobachten.
Die Exilvietnamesen in Deutschland beobachteten die Entwicklung sehr aufmerksam, sagte der Soziologe Phuong Le Trong im Deutschlandfunk. Viele von ihnen stünden loyal zur Regierung in ihrem Heimatland. Allerdings begrüßten sie, dass die Regierung auf diese Weise gegen Korruption vorgehe. "Aber viele Leute fühlen sich nicht so sehr davon betroffen, denn sie denken, es betrifft schon die richtigen", sagte Phuong Le Trong. Viele staunten, "dass der Staat Vietnam seine Arme so weit strecken kann, ohne Rücksicht auf internationale Gepflogenheiten." Einige kritische Stimmen sähen in dem Verfahren vor allem Auswirkungen eines Machtkampfes innerhalb der Parteiführung.

Das Interview im Wortlaut:

Die Entführung und Verschleppung von Trinh Xuan Thanh sorgte in Deutschland für dicke Schlagzeilen und für diplomatische Verstimmungen, aufmerksam beobachtet auch von Phuong Le Trong. Der Soziologe ist Dozent für Südostasienwissenschaft an der Universität Bonn und Trainer an der Akademie für internationale Zusammenarbeit. Ich habe ihn gefragt, was sich seit diesen Schlagzeilen für Vietnamesen in Deutschland verändert hat. Und seine Antwort, die war dann doch überraschend.
Phuong Le Trong: Die Exilvietnamesen, die sind das, glaube ich, und die handeln auch gerne eine Art loyales Verhältnis zu ihrem Heimatland, Vietnam. Und diese Leute beobachten auch sehr aufmerksam die Entwicklung. Aber festzustellen ist, dass sie das Vorgehen der Regierung beziehungsweise des Staates gegen Korruption, gegen Machtmissbrauch, im Grunde begrüßen.
Dass Verstöße oder Verletzungen in diesen Dimensionen, es geht um hundert Millionen Euro oder so, gehörig bestraft werden, das erwarten sie. Weil die betroffenen Personen waren oder sind auch schon bekannt dafür, dass sie in ihrer Karriere sich etwas zu Schulden haben kommen lassen. Und dann gibt es auch kritische Leute, die sehen darin eine Art Machtkampf innerhalb der Führung.
Welty: Lassen Sie uns doch noch einen Moment bei den Exilvietnamesen in Deutschland bleiben. Erleben Sie da auch so etwas wie eine kritische Haltung, vielleicht sogar etwas wie Angst? Immerhin ist ja ein Mann verschleppt worden.
Le Trong: Aber viele Leute fühlen sich nicht so sehr davon betroffen, denn sie denken, es betrifft schon die richtigen. Wenn der Staat alles daran setzt, jemanden zu verhaften oder festzusetzen – Leute, die hier leben, die haben eigentlich auch keine große Angst davor, bis auf die Beunruhigung, dass sie vom Staat beobachtet werden. Und man staunt ja auch nur, dass der Staat Vietnam seine Arme so weit strecken kann, ohne Rücksicht auf internationale Gepflogenheiten. Das ist das große Staunen.

Ansehensverlust der Partei

Welty: Sie haben schon angesprochen den Machtkampf in der kommunistischen Partei Vietnams, in der Führung des Landes. Worum geht es da genau?
Le Trong: Dieser Machtkampf hat eine lange Geschichte. Innerhalb der Partei gab es und gibt es immer Machtkämpfe. Nur früher, zu früheren Zeiten, wurden sie subtiler ausgetragen. Der große Unterschied zu heute ist, der Machtkampf findet sichtbar statt dank des Internets, dank der sozialen Medien. Es wird lauter, es wird sichtbarer, es wird spektakulärer. Es wird intensiver und heftiger.
Die Partei hat in den letzten Jahren eine Art Ansehensverlust erlitten, und genau das war der Impuls, warum man diesen Machtkampf doch heftig führt. Seit dem letzten Parteitag gab es eine Verschiebung von Macht im ganzen Staatsapparat. Die Partei benutzt diese Antikorruptionskampagne deutlich dazu, um unliebsame Gegner zur Seite zu schaffen. Man hat auch schon in den letzten Monaten beobachtet, dass sehr viele führende Manager von Staatskonzernen verhaftet worden sind und auch sogar zum Teil verurteilt worden sind.
Welty: Aber was, würden Sie sagen, steht bei diesem Machtkampf innerhalb der kommunistischen Partei denn im Vordergrund? Ist das das Bedürfnis nach politischen Reformen, oder geht es tatsächlich um wirtschaftliche Verteilungskämpfe?
Le Trong: Es geht in erster Linie darum, das Ansehen der Partei wieder zu stärken, weil im Zuge der Reformpolitik bauten sich langsam zwei Lager auf, die Konservativen und die Reformorientierten. Es geht also um Machtstrukturen, die neu verteilt werden. Die Partei will zeigen, sie ist souverän. Interessant ist auch, dass man immer diesen China-Bezug noch ins Spiel bringt. Wir denken an den Konflikt um die Inseln im Südchinesischen Meer und an die Mengen an Investitionen, die China in Vietnam tätigt.
Botschaft der Sozialistischen Republik Vietnam in der Berliner Elsenstraße. Davor weht die Flagge des Landes.
Mehrere Male wurde der Botschafter Vietnams in Berlin ins Auswärtige Amt eingeladen, um über die diplomatische Krise beider Länder zu sprechen. © imago / Klaus Martin Höfer

Wenig Reaktionen aus Berlin

Welty: Das ist also der Hintergrund, vor dem dieser Prozesse in Hanoi stattfindet. Die Bundesregierung in Gestalt des Außenministeriums hat am Freitag noch einmal betont, dass man alles tun werde, um eben auch internationale Beobachter bei diesem Prozess einzusetzen. Wie zufrieden sind Sie mit dem Verhalten der deutschen Regierung in diesem Entführungsfall?
Le Trong: Man fragt sich schon immer, wie Deutschland sich verhalten wird. Die Bundesregierung hat den Botschafter Vietnams schon dreimal einbestellt. Aber es ist schon erstaunlich, dass von deutscher Seite immer noch nichts bedeutsames zu hören ist, denn die Rechtsanwältin von Trinh Xuan Thanh war nach Hanoi geflogen, wurde aber zurückgewiesen. Und bisher gab es noch keine Reaktion von der deutschen Bundesregierung.
Welty: Was bedeutet das alles für das deutsch-vietnamesische Verhältnis?
Le Trong: Politisch wenig, vor dem Hintergrund, dass China immer bedeutsamer wird mit der neuen Seidenstraße. Und Vietnam ist eher freundlich gegenüber dieser neuen Machtposition Chinas. Wenn das mit den Beziehungen zur EU, das heißt zur EU, nicht so gut laufen könnte, könnten wir immer noch auf China zurückgreifen. Ich vermute, das gehört zum Kalkül der jetzigen Führung Vietnams.
Welty: Einschätzungen des Soziologen Phuong Le Trong angesichts des Korruptionsprozesses, der heute in der vietnamesischen Hauptstadt Hanoi begonnen hat.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Asien-Korrespondent Holger Senzel berichtet vom Beginn des Korruptionsverfahrens gegen den früheren Öl-Manager Trinh Xuan Thanh in Hanoi: Audio Player

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