Kleidung aus Bangladesch

Durch Rana Plaza sterben weniger Arbeiter

Das ist die Nähfabrik, die in Bangladesh eingestürzt ist.
Das ist die Nähfabrik, die in Bangladesh eingestürzt ist (Bild: picture alliance / dpa) © picture alliance / dpa
Von Silke Diettrich · 24.04.2017
Am 24. April 2013 stürzte in Bangladesch der marode mehrstöckige Gebäudekomplex Rana Plaza ein, in dem mehrere Textilfabriken untergebracht waren. Mehr als 1100 Menschen starben, über 2400 Menschen wurden teils schwer verletzt. Danach hat sich in vielen Textilfabriken vor Ort Einiges getan: Die Sicherheit wurde zum Teil deutlich verbessert.
Allerdings beteiligen sich westliche Konzerne nicht an den Kosten. Und Bangladeschs Fabrikbesitzer versuchen immer noch, ihre Mitarbeiter auszupressen. Wie geht es den Opfern heute ? Wie ist es den Textilarbeitern in Bangladesch seit der Katastrophe vor genau vier Jahren ergangen? Wurden Lehren gezogen ? Haben sich Arbeitsbedingungen und Lohn verbessert ? Kann man heute guten Gewissens ein T-Shirt aus Bangladesch kaufen? Antwort auf all diese Fragen hat unsere Korrespondentin Silke Diettrich vor Ort gesucht und gefunden.
April 2014, in der Nähe von Dhaka:
Rosina: "Ich sagte den Helfern: Gebt mir eine Säge, damit ich meinen Arm abschneiden kann. Das Fleisch war längst verrottet. Mein Arm stank fürchterlich. Aber es war nicht einfach. Der Knochen war so hart. Als ich es geschafft hatte, zogen mich die Helfer heraus."
Ein Jahr nach dem Einsturz des Fabrikgebäudes Rana Plaza konnte Rosina Begum noch über ihre Erlebnisse sprechen. Heute möchte sie es nicht mehr. Es bereite ihr Kopfschmerzen und Alpträume, wenn sie an den Tag zurückdenke, sagt sie.
Rosina, die sich den Arm abgesägt hat, um aus den Trümmern des Rana Plaza zu entkommen
Rosina, die sich den Arm abgesägt hat, um aus den Trümmern des Rana Plaza zu entkommen© Deutschlandradio Kultur / Jürgen Webermann
Sie saß im dritten Stock, als das Gebäude einstürzte. Mehr als 1100 Menschen ließen darin ihr Leben, Rosina Begum ist eine von mehr als 2000 Menschen, die das Unglück überlebt haben. Am liebsten möchte sie diesen Tag vergessen, aber ihre Schmerzen und ihre Einschränkungen erinnern sie fast täglich daran:
"Ich kann nur ganz kleine Arbeiten machen, eben das, was man mit einem Arm so machen kann, Staub wischen zum Beispiel, aber schon die einfachsten Sachen kann ich nicht machen, ich kann keine Wäsche falten, ich kann kein Gemüse schneiden, ich kann nicht einmal anständig den Boden wischen, ich kann eigentlich gar nichts richtig machen."
Rosina Begum sitzt im Schneidersitz auf ihrem Bett und hat ein großes gelbes Tuch um sich herum geschlungen, so dass man ihren Armstumpf nicht sehen kann. Vor acht Monaten ist sie mit ihrer Familie zurück in ihr Heimatdorf gezogen. Die irische Modefirma Primark hat ihr eine Entschädigung gezahlt, umgerechnet rund 30.000 Euro. Davon hat sie ein Stück Land gekauft und ein Häuschen gebaut.
Von der Regierung bekommt sie im Monat um die 120 Euro überwiesen. Aber die eigentliche Schuld an dem Unglück hätten vor allem die Fabrikbesitzer, sagt Rosina Begum:
"Sie waren zu nachlässig. Wenn die mehr auf die Sicherheit im Gebäude geachtet hätten, wäre es nicht zu diesem großen Unfall gekommen. Noch einen Tag vorher haben sie uns nach Hause geschickt, weil plötzlich ein großer Riss in den Wänden des Gebäudes zu sehen war.
Aber der Besitzer des Gebäudes, Rana, der meinte, es sei alles sicher. Also haben sie uns gesagt, wir sollten wieder arbeiten gehen und dann ist das Gebäude zusammengebrochen."
Rosina Begum konnte aus dem eingestürzten Gebäude gerettet werden, verlor dabei aber einen Arm.
Rosina Begum konnte aus dem eingestürzten Gebäude gerettet werden, verlor dabei aber einen Arm.© Deutschlandradio - Silke Diettrich

Fabrikbesitzer plädiert auf unschuldig

Sohel Rana, der Besitzer des Gebäudekomplexes, hatte nach dem Unglück versucht, aus dem Land zu fliehen. Die Polizei hatte ihn zuvor aber aufgreifen können, heute sitzt er in Haft, angeklagt wegen Mordes. Der Gebäudebesitzer ist der Hauptangeklagte in dem Fall, weitere 38 Menschen sind auch des Mordes angeklagt. Sie alle plädieren auf unschuldig.
Der Unglücksort Rana Plaza liegt rund drei Autostunden von Rosina Begums Heimatdorf entfernt. Eine große Lücke klafft zwischen mehreren Gebäuden. Der Boden ist übersät mit Müll und dichtem Gestrüpp. Am Straßenrand erinnert nur eine kleine Gedenktafel an das Schicksal von Tausenden von Textilarbeitern, die hier ihr Leben verloren haben oder verletzt wurden. Darauf steht geschrieben:
Opfer von Rana Plaza
Ruhet in Frieden.
Unsere Erinnerungen sind mit Milliarden von Tränen behaftet.
Wir werden es nie vergessen
Die größte Tragödie im Textilsektor hat in der Tat niemand vergessen in Bangladesch. Nicht nur Angehörige oder Opfer, auch Arbeiter, Fabrikbesitzer, Gewerkschafter, die Regierung oder die ausländischen Moderhersteller. Keiner von ihnen möchte, dass sich eine solche Katastrophe jemals wiederholt, wenn auch aus unterschiedlichen Motiven.
"Unsere Erinnerungen sind mit Milliarden von Tränen behaftet", steht neben dem Mahnmal für die getöteten ArbeiterInnen von Dhaka geschrieben.
"Unsere Erinnerungen sind mit Milliarden von Tränen behaftet", steht neben dem Mahnmal für die getöteten ArbeiterInnen von Dhaka geschrieben.© Deutschlandradio - Silke Diettrich
Einige von ihnen fürchten um ihr Image, andere um ihr Leben. Ob eine solche Katastrophe heute, vier Jahre danach noch in einer Textilfabrik in Bangladesch geschehen kann? Das beantworten die meisten mit einem "wohl eher nicht".
Am weitesten lehnt sich überraschenderweise dabei die Arbeitsrechtlerin Kalpona Akter aus dem Fenster:
"Solch ein Desaster soll nie mehr passieren, nicht mal in meinen Albträumen, ich glaube, in der Textilindustrie wird das nicht mehr vorkommen. Die Fabriken, die so unsicher waren, sind geschlossen worden. Ich würde so weit gehen und sagen, solch ein Desaster kann hier nicht mehr passieren in den Textilfabriken."
Kalpona Akter hat schon als Kind in einer Textilfabrik gearbeitet. Sie kennt die Situation der Näherinnen und der Fabriken in Bangladesch seit Jahrzehnten. Als sie vor über 20 Jahren eine Gewerkschaft für die Arbeiterinnen und Arbeiter gründen wollte, verlor sie ihren Job. Keine Fabrik wollte sie mehr anstellen, Akter galt als Unruhestifterin.

Bündnisse der Modefirmen sollen für Sicherheit sorgen

Heute leitet sie eine Hilfsorganisation: Zentrum für die Solidarität der Arbeiter in Bangladesch. Das Unglück von Rana Plaza, sagt Akter, habe Druck auf alle Beteiligten der Textilindustrie ausgeübt:
"Im Bereich Sicherheit hat sich viel geändert. Vor dem großen Unfall in Rana Plaza hatten wir um die 200 tote Arbeiter im Jahr, die durch Feuer oder Gebäudeeinstürze ums Leben gekommen sind. Heute sind es weniger als fünf bis zehn Menschen, die durch Unfälle dort sterben. Das ist wirklich eine große Verbesserung."
Zahlreiche Modelabels, die in Bangladesch ihre Kleidung herstellen lassen, haben nach dem Unglück von Rana Plaza Bündnisse gegründet, die die Sicherheit der Fabrikgebäude gewährleisten sollen. Den Vorsitz hat die Internationale Arbeitsorganisation inne. Bei der Initiative Alliance sind vor allem US-amerikanische Firmen dabei, wie Walmart, North Face oder Gap. Zu der Initiative ACCORD gehören vor allem europäische Unternehmen, wie H&M, Adidas oder Benetton.
220 Markenhersteller aus Europa haben sich ACCORD angeschlossen. Sie allein lassen in 1650 verschiedenen Fabriken produzieren und es kommen immer wieder neue dazu. Für ACCORD produziert fast die Hälfte aller Fabriken in Bangladesch. In dem Abkommen geht es vorrangig um Feuer- und Gebäudeschutz. Seit November 2013 prüfen Ingenieure, wie sicher die Fabrikgebäude sind. Dabei mussten einige Fabriken evakuiert werden, andere mussten ihre Produktion unterbrechen, wieder andere wurden geschlossen.

Mehr als 100.000 Sicherheitsmängel

Mehr als 100.000 Sicherheitsmängel haben die Prüfer festgestellt, mindestens 80.000 seien davon behoben worden, sagt Rob Wyass. Er ist der Geschäftsführer von ACCORD. Innerhalb von sechs Monaten müssen die Fabriken, die für die europäischen Firmen produzieren wollen, alle Mängel beheben. Wer die Inspekteure nicht auf das Gelände lässt oder die Fabriken nicht auf den Stand der internationalen Gebäudeordnung bringt, darf nicht mehr für die lukrativen Modemarken arbeiten. Das gilt dann für zwei Jahre und für sämtliche Fabriken, die dem Besitzer gehören.
Die Sicherheit in den Fabrikgebäuden habe sich enorm verbessert, sagt Rob Wyass, aber er räumt ein, dass die Überprüfungen schleppender voran gehen als geplant:
"Wir sind weit hinter unserem eigentlichen Zeitplan. Wir haben die meisten Fabriken im Januar 2015 überprüft und haben erwartet, dass alles schneller umgesetzt würde, wie beispielsweise der Einbau von Sprinkleranlagen. Einiges sollte in einem halben Jahr fertig sein, andere Mängel in wenigen Monaten behoben sein. Wir wollten mit allen Kontrollen Ende 2015 fertig sein und jetzt sind wir im ersten Viertel des Jahres 2017 und sind mit 80 Prozent unserer Arbeit durch."
Rob Wyass sitzt in einem geräumigen Großraumbüro in der achten Etage hoch über Dhaka, mit vorgeschriebenen Notausgängen und Feuermeldern. Die Modefirmen aus 20 verschiedenen Ländern, die sich seinem Bündnis angeschlossen haben, sind auf der Internetseite von ACCORD gelistet. Die Verbraucher in den westlichen Ländern könnten sich bei diesen Modelabels auf Folgendes verlassen:
"Wenn du ein T-Shirt von einer dieser Firmen kaufst, kannst du mit ziemlicher Sicherheit davon ausgehen, dass es in einer Fabrik gefertigt wurde, die dabei ist, die gesetzlichen Sicherheitsstandards einzuhalten."
Ein in Bangladesch produziertes T-Shirt.
Ein in Bangladesch produziertes T-Shirt. © picture alliance / Lars Halbauer

Es gibt immer noch Schlupflöcher

Insgesamt aber gibt es rund 4.000 Textilfabriken im Land, die für ausländische Firmen arbeiten. Das heißt, dass nur rund die Hälfte der Fabriken im Land von ACCORD kontrolliert wird. Und selbst dort gibt es noch Schlupflöcher.
Shabbir Mahmood zum Beispiel besitzt eine Fabrik, in der rund 400 Menschen arbeiten. Bei einer weiteren ist er Teilhaber, mit rund 500 Arbeitern. Für die Verhältnisse in Bangladesch sind das sehr kleine Fabriken.
Shabbir Mahmood kann nicht mehr für die europäischen Käufer produzieren, die das Abkommen von ACCORD unterschrieben haben. Seine Fabriken entsprechen nicht den Sicherheitsstandards. Und doch hat er in den letzten vier Jahren auch für Firmen gearbeitet, die Mitglieder bei ACCORD sind, wie er nach mehrmaligen Nachfragen zugibt.
"Yes, I did."
Aber unter der Hand, als inoffizieller Subunternehmer:
"Subunternehmen heißt, wenn eine große Fabrik einen Auftrag angenommen hat und ihn nicht ganz erfüllen kann, dann lässt sie zum Beispiel 20 Prozent woanders produzieren. Diese kleinen Firmen werden nicht von ACCORD kontrolliert, weil sie ja offiziell gar nicht für den großen Auftraggeber arbeiten. Manchmal wissen die Auftraggeber nicht einmal, dass ein Teil ihrer Produktion ausgelagert wurde. Der Fabrikbesitzer nimmt das Risiko dann auf sich, weil er den großen Auftrag haben will, sonst würde er einen großen Verlust machen."
Offiziell verdient er das meiste Geld mit seinen Kunden aus Brasilien, die, wie er sagt, nur auf die Qualität der Kleidungsstücke schauen und sonst keine Bedingungen stellen würden:
"Ja, die Brasilianer fragen nicht danach, ob wir die Vorschriften einhalten, sie kaufen gerne die billigen Produkte. Übrigens zum gleichen Preis wie die Europäer. Die Käufer aus Europa allerdings verlangen zugleich sehr viel mehr von uns."
Dennoch plant Shabbir Mahmood eine neue Fabrik zu bauen, die den Standards von ACCORD entspricht. Europa als Markt sei trotz des Preisdrucks der Lukrativste, sagt er. Und die großen Modemarken seien zuverlässiger, da sie beständiger seien. Die Nachfrage nach billiger Kleidung hat nicht im Geringsten nachgelassen in den westlichen Ländern, es ist immer noch ein Geschäftszweig mit Zukunft.

Die niedrigsten Löhne auf der ganzen Welt

Aber auch wenn sich die Mehrheit der Fabrikbesitzer sich den internationalen Gebäudeverordnungen beugt, sagt das nichts darüber aus, wie sicher die Lebensumstände der Textilarbeiter sind. In Bangladesch werden mit die niedrigsten Löhne auf der ganzen Welt gezahlt.
Immer mal wieder trauen sich die Arbeiter auf die Straße, um für höhere Löhne zu demonstrieren. Aber dann müssten sie leider oft mit harten Konsequenzen rechnen, sagt die Arbeitsrechtlerin Kalpona Akter:
"Wenn wir unsere Stimme erheben, bekommen wir Probleme. Vergangenes Jahr sind nach Demonstrationen rund 2000 Arbeiter entlassen worden, 160 stehen auf schwarzen Listen, sie bekommen keine Jobs mehr, 35 sind im Gefängnis gelandet..."
Erst Ende Februar sind die verhafteten Gewerkschafter und Arbeiter frei gekommen. Der Arbeiter Masud Rana saß fast drei Monate im Gefängnis, dabei sei er nicht einmal bei den Protesten dabei gewesen. Ob er das aus Angst vor Konsequenzen sagt oder ob es tatsächlich stimmt, lässt sich nicht nachprüfen.
"Sie haben mir vorgeworfen, ich hätte auf den Straßen Autos zerstört an einem Tag, an dem ich aber in der Fabrik gearbeitet habe. Und sie haben gesagt, ich hätte Kleidungsstücke aus der Fabrik geklaut…"
Kurz vor seiner Festnahme habe Masud Rana nach einer Lohnerhöhung gefragt. Das sei wohl nicht so gut angekommen bei seinen Chefs, vermutet er.
"Meine Firma hatte zu der Zeit nicht so viele Aufträge, also ich denke, sie wollten auf diese Weise einfach ein paar Arbeiter loswerden, damit sie sie nicht bezahlen müssen. Das machen viele so in der Branche. Aber wenn es viel zu tun gibt, dann arbeiten wir bis Mitternacht."
Die Arbeiter in den Textilfabriken von Bangladesch zählen zu den am schlechtesten bezahlten der Welt. 
Die Arbeiter in den Textilfabriken von Bangladesch zählen zu den am schlechtesten bezahlten der Welt. © AFP / Munur Uz Zaman
Die rund fünf Millionen Textilarbeiter in Bangladesch verdienen mit am wenigsten weltweit. Der monatliche Mindestlohn liegt bei rund 60 Euro. Die lokale Textilindustrie will daran bis 2019 nichts ändern.
Menschen außerhalb Bangladeschs könnten die Bedürfnisse der Arbeiter nicht nachvollziehen und hätten den falschen Blick auf das Land, sagt David Hasanat, Präsident der Textilgruppe Viyellatex. 17.000 Menschen arbeiten in seinen Fabriken und produzieren Kleidung für Firmen wie Hugo Boss, Calvin Klein oder Tommy Hilfiger.
Hasanat sitzt in einem makellosen Anzug in seinem klimatisierten Büro hoch über den Dächern von Dhaka und erklärt, dass Arbeiter in Bangladesch nicht viel Geld zum Leben bräuchten:
"Die Hilfsorganisationen sagen den Arbeitern, sie würden zu wenig verdienen. Das ist das Problem. Glauben Sie mir, meine Arbeiter hätten das selber gar nicht so gesehen… Sie vergleichen die Löhne mit Kambodscha oder China, die vielleicht 300 Dollar im Monat verdienen…Unsere Arbeiter können ihre Familien sogar mit 25 oder 30 Dollar im Monat ernähren…"

"Keiner kann hier vom Mindestlohn überleben"

Massud Rana, der 32-jährige Arbeiter, der bis vor kurzem im Gefängnis saß, ist seit 15 Jahren in der Textilbranche tätig. Er macht eine andere Rechnung auf. Da er schon länger dabei ist, hat er mehr als den Mindestlohn verdient, ein Grundgehalt von umgerechnet rund 70 Euro, bei vielen Überstunden bis zu 130 Euro.
"Für meine Miete zahle ich rund 50 Euro, für Kleidung und Essen umgerechnet 70 Euro, für meine Frau und meinen Sohn und mich. ... Keiner kann hier vom Mindestlohn überleben."
Ranas Familie lebt wie die meisten Textilarbeiter in Dhaka in einem kleinen Raum, sie teilen sich das Bad und die Küche noch mit einer anderen Familie. Auch wenn ein Fabrikbesitzer und ein Arbeiter beide aus Bangladesch kommen, sind ihre Leben weit voneinander entfernt. Ohne Druck von außen, so befürchtet die Arbeitsrechtlerin Kalpona Akter, würde weder die Regierung den Mindestlohn bald erhöhen noch würden die Fabrikbesitzer mehr Gehalt zahlen.
"Oft sind unsere Gesetzgeber selbst Fabrikbesitzer. Ich vergleiche unser Parlament mit einem Geschäftsclub, weil die Mehrheit der Mitglieder selber Fabriken besitzt oder mit der Textilindustrie verbandelt ist. Der Außenminister zum Beispiel besitzt eine Gruppe von Textilfabriken. Und in einer seiner Fabriken gab es vor einigen Jahren mächtig Ärger, er hat Gewerkschaftsführer gefeuert, die versucht hatten, Gewerkschaften in seiner Fabrik zu organisieren."

Abkommen der EU mit Bangladesch hilft indirekt den Arbeitern

Wenn die europäischen Modefirmen sich nicht für die Rechte der Arbeiter einsetzen, könnte auch noch die Europäische Union Druck ausüben, sagt Kalpona Akter. Denn sie haben ein wichtiges Abkommen mit Bangladesch: der so genannte EBA Vertrag. Der gewährleistet, dass Bangladesch alles außer Waffen zollfrei in die EU exportieren darf. Aber er ist an Bedingungen geknüpft:
"Das Gute ist ja, dass das Abkommen auf Einhaltung der Menschenrechte besteht und das betrifft dann direkt auch die Lebensbedingungen unserer Arbeiter. Das ist DAS Druckmittel, dass Europa hat, damit unsere Regierung und die Fabrikbesitzer unseren Arbeitern zuhören. Das ist der einzige Weg. Meine Mitarbeiter machen immer einen Witz: Unsere Fabrikbesitzer und unsere Regierung fürchten nicht einmal Gott, sie fürchten nur die internationalen Firmen und um die Geschäftsbeziehungen mit ihnen."
Nicht nur in Bangladesch haben sich in überfüllten Textilfabriken folgenschwere Unfälle ereignet. In dem asiatischen Land wird über die Entschädigung der Opfer und Angehörigen und über die Sicherheitsbedingungen der Textil-Industrie diskutiert.
Nicht nur in Bangladesch haben sich in überfüllten Textilfabriken folgenschwere Unfälle ereignet. In dem asiatischen Land wird über die Entschädigung der Opfer und Angehörigen und über die Sicherheitsbedingungen der Textil-Industrie diskutiert.© Imago Stock & People
Die Arbeitsrechtlerin möchte unter keinen Umständen, dass das Abkommen aufgekündigt wird. Das wäre fatal für die Wirtschaft im Land und auch für die Arbeiter. Kalpona Akter appelliert auch an die Verbraucher in Europa. Das Etikett "Made in Bangladesh" sei kein Grund, das Kleidungsstück in den westlichen Läden nicht zu kaufen, sagt Akter:
"Kauf es bitte, aber sei ein verantwortlicher Käufer. Frag, ob die Arbeitsbedingungen ok sind, werden die Arbeiter anständig bezahlt. Ihr könnt auf jeden Fall Sachen aus Bangladesch kaufen, aber kauft es mit Verantwortung."
Höheres Gehalt oder Mindestlohn, darüber macht sich Rozina Begum in ihrem Dorf keine Gedanken mehr. Mit 13 Jahren hatte sie angefangen, in einer Textilfabrik zu arbeiten. Auch wenn sie ihr eigenes Geld hatte verdienen können, es war ein harter Job. Ihre beiden Töchter sind zwei und acht Jahre alt und sie sollen es mal besser haben:
"Mein größter Wunsch ist, dass meine beiden Töchter gut aufwachsen können und eine vernünftige Bildung erhalten. Denn wenn das nicht klappen sollte, was wird dann aus ihnen? Ich will nicht, dass sie wie ich, jemals in einer Nähfabrik arbeiten müssen."
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