"Verzichtsumweltschutz hat noch nie funktioniert"

07.12.2010
Georg Nüßlein, CSU-Bundestagsabgeordneter und Obmann der Union in der neuen Enquete-Kommission Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität, setzt zur Lösung der drängenden Zukunftsprobleme konsequent auf den technischen Fortschritt.
Marietta Schwarz: Die Forderung nach Wachstum hält sich vor allem unter konservativen und liberalen Politikern seit vielen Jahrzehnten: ohne Wachstum keine Zukunft, keine Arbeitsplätze, keine Bildung, keine Chance im internationalen Wettbewerb. Auch die schwarz-gelbe Bundesregierung setzt in ihrer Regierungserklärung auf Wachstum. Dennoch gibt es spätestens seit der weltweiten Finanzkrise auch Zweifel, ob wir so weitermachen können wie bisher. Und dieser Zweifel, der drückt sich auch in der Enquetekommission zu Wachstum, Wohlstand und Lebensqualitätaus, die in der letzten Woche eingesetzt worden ist. Der CSU-Politiker Georg Nüßlein ist Obmann für die Union in dieser Kommission, und ihn begrüße ich, guten Morgen, Herr Nüßlein!

Georg Nüßlein: Guten Morgen!

Schwarz: Es geht in dieser Enquetekommission ja um die Frage, wie man unser Sozialstaatsmodell auch mit geringerem Wachstum bewältigen kann. Wie groß sehen Sie, Herr Nüßlein, die Herausforderung, die da vor uns liegt?

Nüßlein: Also ich halte sie für relativ groß, diese Herausforderung, weil wir natürlich insbesondere unter dem Eindruck des demografischen Wandels und eines immer stärker werdenden Wettbewerbsdrucks uns überlegen müssen, wie wichtig ist Wachstum an bestimmten Stellen, was heißt das in der Konsequenz für unsere Sozialsysteme, wie gehen wir mit solchen Situationen um, wo Wachstum sich nicht in der Weise einstellt, wie wir das gewohnt sind, wie wir das erwarten – Sie haben die Krise angesprochen.

Und das werden spannende Themen werden, die wir da gemeinsam diskutieren wollen. Sie haben aber auch zu Recht gesagt, wir gehören nicht zu den Wachstumspessimisten, zu denen, die sagen, so was wie Wachstum wird es nicht mehr geben. Der Club of Rome hat das in den 70er-Jahren schon prophezeit: Diese Prophezeiungen waren alle falsch.

Schwarz: Trotzdem kann man ja auch die ganz große Frage stellen, denn: Kann es in einer börsengetriebenen Welt überhaupt noch geringes nachhaltiges Wachstum geben?

Nüßlein: Ja das wird sich natürlich dann in anderen Börsenentwicklungen niederschlagen. Aber ich glaube auch da, dass die Börse da deutlich übersteuert. Also zumindest in der näheren Vergangenheit hat sie das überzogen, diese Bewertung von Wachstum, wir denken an den neuen Markt, wo da Erwartungen da waren, die niemals realistisch oder erfüllbar waren. Und unter dem Gesichtspunkt glaube ich, dass wir einfach ein bisschen wieder die Realität in den Blick bekommen werden.

Schwarz: Herr Nüßlein, 1989 haben wir noch so viel verbraucht wie wir produziert haben, jetzt ist es das Eineinhalbfache. Wie verträgt sich denn diese Logik, dass morgen mehr verbraucht werden muss als heute, mit dem Begriff der Nachhaltigkeit?

Nüßlein: Also zunächst mal müssen wir Nachhaltigkeit zunächst mal auch sehen im Zusammenhang mit Generationengerechtigkeit. Und unter dem Gesichtspunkt bin ich vollständig bei Ihnen, dass wir uns ernsthaft Gedanken machen müssen, was wir an Lasten der nächsten Generation ökonomisch, ökologisch überlassen können. Das ist mal eindeutig. Das andere ist: Wir sind auf einem ganz guten Weg, glaube ich, wenn es um die Frage geht, die Dinge wirklich voneinander zu entkoppeln, das heißt so zu wirtschaften, dass wir mit weniger Ressourcenverbrauch mehr produzieren und intelligenter produzieren, dass Ökologie und Ökonomie Hand in Hand gehen und weniger Gegensätze sind.

Und unter dem Gesichtspunkt werde ich mich gegen die wehren, die versuchen, da einen Gegensatz zu konstruieren, und die sagen, man müsste auf Wachstum verzichten. Überhaupt hat dieser ganze Verzichtsumweltschutz noch nie funktioniert, weil die, die verzichten könnten, die Grünen-Wähler meinetwegen in den Villenvierteln, die tun es nicht, und die anderen, die nicht verzichten können, nehmen wir die Leute in Schwellen- und Entwicklungsländern, die können es natürlich nicht tun. Das heißt, diese ökologische Nachhaltigkeitsthematik, die kann man aus meiner Sicht nur durch Hightech lösen.

Schwarz: Aber diese Wachstumskritiker, die müssen wir ja gar nicht nur bei den Grünen suchen, sondern die finden wir ja auch in Ihrer eigenen Partei, zum Beispiel CDU-Politiker wie Kurt Biedenkopf sagen, Wachstum und Wohlstand für alle kann es einfach nicht mehr geben. Hat diese Außenseiterposition in der Union Chancen, konsensfähig zu werden?

Nüßlein: Glaube ich weniger. Weil uns muss klar sein, dass wir natürlich auf einem bestimmten Wohlstandsniveau leben und dass es Ziel der Politik sein muss, dieses Wohlstandsniveau mindestens zu halten. Und wenn wir für die, die noch nicht auf dem Level sind, etwas tun wollen, dann wird es einfach nur gehen, wenn wir ein gewisses Maß an Wachstum – das ist immer die Frage der Erwartung, gewisses Maß an Wachstum – auch vorweisen können, weil es die Verteilung einfacher macht, wie wenn es nur darum geht, für alle den Status quo zu verteidigen.

Schwarz: Aber immerhin hat die Union ja einen Arbeitskreis unter der Führung von Generalsekretär Gröhe gebildet, der sich genau mit diesem Thema auseinandersetzt. Also es scheint doch da ein Bedürfnis auch zu geben in Ihrer Partei, darüber zu reden, um neue, über Alternativen?

Nüßlein: Ja genau das tun wir ja. Das ist ja auch Sinn und Zweck dieser Enquetekommission über die Frage zu reden, wie kann man beispielsweise so eine Entkoppelung herbeiführen, wie können wir beispielsweise ökonomisch vorankommen auf der einen Seite und auf der anderen Seite das alles nachhaltig und von der Umwelt her sinnvoll machen?

Schwarz: Aber Sie sind da mit Herrn Biedenkopf oder mit Herrn Gröhe nicht d’accord?

Nüßlein: Ich gehöre nicht zu denen, die ganz generell infrage stellen, ob es wieder Wachstum gibt, weil wir diesen Versuch lange kennen und es immer wieder Wachstumsphasen gegeben hat. Ich bin auch jemand, der sehr viel stärker glaubt an einen technischen Fortschritt, als es der eine oder andere tut, weil wir erlebt haben, dass die Entwicklung von bestimmten Schlüsseltechnologien immer wieder zu Fortschrittssprüngen geführt hat, und ich kann einfach nicht nachvollziehen, warum das in Zukunft nicht mehr sein soll. Es gab einen gewissen Herrn Duell, das war 1899 der Chef des amerikanischen Patentamtes, der hat damals behauptet, alles, was man erfinden kann, ist schon erfunden. 1899!

Jetzt sind wir ein gutes Stück weiter. Er konnte sich damals nicht vorstellen, was in einem Jahrhundert sich alles technisch tut und ich glaube, das geht so weiter. Nur wir müssen es intelligent machen, wir müssen überlegen, was können wir insbesondere dazu beitragen, dass diese Entwicklung, dieser Wohlstand weniger zulasten der Ressourcen geht, sondern bekommen wir nicht nur in Deutschland, sonst bekommen wir weltweit durch das Bevölkerungswachstum ein Riesenproblem. Weil wir dann alle Anspruch haben auf Energie, auf Fortschritt, auf mehr Nahrung ... Da müssen wir uns was einfallen lassen und wir versuchen, hier Ideen für die Welt zu entwickeln als Ingenieure für die Welt.

Schwarz: Haben Sie konkrete Vorschläge im Kopf?

Nüßlein: Also was ich ganz spannend finde, ist diese Diskussion, die wir in diesem Land über die Energiepolitik führen. Wir müssen die noch stärker unter dem Gesichtspunkt der Forschung und Entwicklung führen. Ich sage zwar, die Richtung stimmt, aber da muss sich noch Etliches tun, Beispiel Speicherung von Energie, solche Themen, die müssen wir stärker nach vorne bringen, um da auch wirklich entscheidende Beiträge leisten zu können.

Schwarz: Der CSU-Politiker Georg Nüßlein, Unionsobmann der Enquetekommission zu Wachstum, Wohlstand und Lebensqualität. Herr Nüßlein, vielen Dank!

Nüßlein: Ich bedanke mich auch!
Dr. Georg Nüßlein (CSU), MdB
Dr. Georg Nüßlein (CSU), Unionsobmann der Enquetekommission zu Wachstum, Wohlstand und Lebensqualität© Deutscher Bundestag/Lichtblick/Achim Melde