Verzichten für die Seele

Von Peter Kaiser · 07.03.2009
Etwa drei Millionen Menschen in Deutschland legen regelmäßig eine Fastenperiode ein. Viele davon halten sich dabei an die christliche Regel. Die Zeit des Essenverzichts, so die Überzeugung von vielen Fastenden, ist Nahrung für die Seele. Und das ist nun auch wissenschaftlich untermauert worden.
Anatoli Shahar: "Ja, also an Ostern fasten wir, und normalerweise male ich Ikonen an Ostern."

Die Fastenzeiten sind Teil meines Wesens.
Ich kann auf sie ebenso verzichten wie auf meine Augen.
Was die Augen für die äußere Welt sind,
das ist das Fasten für das Innere.
(Mahatma Gandi)

Shahar: "Und unabhängig vom Feiertag ist es üblich bei russischen Mönchen, die Ikonen malen, dabei zu fasten. Das ist dringend erforderlich. Es ist so, Ikonenmalerei ist eine feine Miniaturenmalerei, und fordert viel Konzentration und Hingabe. Also insofern, wenn wir Ikonen malen, müssen wir fasten. Also nach dem Essen und so was geht das nicht einfach."

Auch wenn Anatoli, der Ikonenmaler aus Nowosibirsk, kein Mönch ist, steht ihm die Konzentration und die Hingabe während des Malens ins Gesicht geschrieben. Seit vier Tagen fastet Anatoli jetzt. Und malt.

Shahar: "Also ich fühle mich ganz ausgeglichen. Ich faste eine, zwei Wochen, aber das ist auch mein normaler Lebenslauf."

Fasten ist populär geworden. Nicht nur aus ästhetischen Gründen wird heute wieder gefastet, um also die schöne Figur für das Kleid oder die Hose zu bekommen. Vielmehr ist das Fasten, wird betont, wegen der religiös-spirituellen Seite ein tiefes Erlebnis.

Rainer Stange: "Absolut. Das Fasten hat sehr starke spirituelle Wirkungen. Gerade, wenn es länger ausgeübt wird, gerade wenn es in der Gemeinschaft ausgeübt wird, gerade wenn Rituale damit hinzukommen. Es ist völlig klar. Und alle großen, zumindest die monotheistischen Religionen kennen alle das Fasten."

Rainer Stange ist Chefarzt am Berliner Immanuel-Krankenhaus. Dort leitet er das Zentrum für Naturheilkunde.

Stange: "Wir starten gerade eine Doktorarbeit, sehr interessant, zu dem Thema gesundheitliche Vorteile des regelmäßigen religiösen Fastens, und das bedingt natürlich auch die psychische Gesundheit, nicht nur die körperliche, also die mentale Gesundheit, die Fähigkeit sich zu konzentrieren, Wesentliches von Unwesentlichem zu unterscheiden, zu meditieren, zu höheren spirituellen Erkenntnissen und Erlebnissen zu gelangen, das alles ist ganz spannend, völlig unerforscht."

Beim Fasten wird die innere Verbrennung aktiviert. Der Hormonspiegel steigt an, und das Stresshormon Adrenalin wird ausgeschüttet. Schon etwa 24 Stunden später setzen die Muskeln ihre Energievorräte frei, die Fettdepots entleeren Fettsäuren. Ab dem dritten Tag, berichten Fastende, stellen sich Glücksgefühle ein. Die Mediziner registrieren das nüchtern als Anstieg des Serotoninspiegels, auch Glückshormon genannt.

"Wenn ihr fastet, macht kein finsteres Gesicht wie die Heuchler. Sie geben sich ein trübseliges Aussehen, damit die Leute merken, dass sie fasten. (…) Du aber salbe dein Haar, wenn du fastest, und wasche dein Gesicht, damit die Leute nicht merken, dass du fastest …" (Bergpredigt)

Jetzt gewinnt der Körper drei Viertel der Energie aus den Fettsäuren, 10 bis 14 Tage lang, der Fastenidealzeit. Doch die Selbstverbrennung von Fetten, sagt Dr. Stange vom Immanuel-Krankenhaus, ist nicht alles.

Stange: "Wir wissen inzwischen eigentlich mehr über die segensreichen Wirkungen des Fastens bei bestimmten Erkrankungen. Zum Beispiel einmal bei entzündlich rheumatischen Erkrankungen, hier haben wir die besten Erkenntnisse. Neuerdings auch bei Arthosen, also bei nicht entzündlichen degenerativen abnutzenden Erkrankungen, dann bei Bluthochdruck, bei metabolischen, also Stoffwechselstörungen, bei leichten psychischen Befindlichkeitsstörungen, leichten bis mittleren Depressionen, bei den starken Depressionen sind wir uns noch nicht ganz sicher, aber das wird eine spannende Frage in der Zukunft sein. Bei Erschöpfungen setzen wir es ein. Erstaunlicherweise können auch viele erschöpfte Patienten hinterher über mehr Energie, über Kraft berichten."

Die spirituelle Seite ist für viele Menschen der eigentliche Grund des Fastens. Denn die Abkehr vom Essen kann eine Zuwendung zum Inneren sein. Und mache sagen, sie wären in dieser Zeit Gott näher als sonst.

"Fasten erreicht das, was dem Gebet allein unmöglich ist." (Matthäus 17, Vers 17)

Shahar: "Das kann ich nicht beurteilen, weil ich denke, ich bin immer näher zu Gott. Und ob ich noch näher bin oder weniger näher, das kann ich nicht feststellen."

Was heute die Wissenschaft in aufwändigen Studien erforscht, ist so oder ähnlich seit über 2000 Jahren bekannt. In allen Religionen hat das Fasten eine zentrale Bedeutung. Im Buddhismus, Hinduismus wie auch im Islam die Ramadan-Zeit. Und es ist irrig anzunehmen, dass der Ramadan keine Fastenzeit ist, weil nach dem Sonnenuntergang ja gegessen werden darf.

Stange: "Das wird von den Christen immer übersehen, dass der Rhamadan keineswegs Völlen nach Sonnenuntergang bedeutet. Das ist eine Variante, die von den meisten Muslims, nach meinen Informationen auch nicht sehr geschätzt wird.
Im Christentum ist es das christliche Vorbild, die Besinnung in der Wüste. Es ist gleichzeitig auch im Judentum die Identität mit dem Geben, also der soziale Ausgleich, würde man heute sagen. Das ist ein ganz elementares Motiv für wohlhabende Schichten zu fasten. Sie verzichten auf etwas, worauf der Arme möglicherweise notgedrungen sich einlassen muss. Eine gewisse Annäherung an diese Lebensbedingungen unter freiwilligen Bedingungen. Aber immerhin, man erlebt mal was es heißt, tagelang nichts zu essen."

Mehr und mehr beleuchten die Wissenschaftler, was für Fastende seit Jahrhunderten schon längst bewiesen ist: das Fasten ist nicht nur gesund, sondern auch ein wichtiger Teil des spirituellen Lebens. Denn wenn man sich mehr Ruhe gibt, wie heute die Ärzte raten, so auch deswegen, weil in dieser Zeit die "inneren Ohren" viel hören und wahrnehmen. Auch in der Nacht noch, sagt der Ikonenmaler Shahar. Und manchmal sieht er.

Shahar: "Visionen auch. Das kommt vor. (…) Zum Beispiel ich habe geträumt, dass ich Jesus Christus getroffen habe. Und normalerweise so ein Traum (…) bedeutet eine Erleuchtung, eine gute Nachricht."