Verteilung von Asylbewerbern

Kein Kuhhandel bei Flüchtlingsfragen

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Keinen Kompromiss bei der Flüchtlingsumverteilung, meint unser Autor. © imago stock&people
Von Peter Kapern · 16.12.2017
Die Frage, wie Flüchtlinge innerhalb Europas verteilt werden sollen, sorgte diese Woche beim EU-Gipfel in Brüssel für massiven Streit. Doch in dieser Frage darf es keinen faulen politischen Kompromiss geben, meint Peter Kapern.
Ein echter politischer Nahkampf sei das gewesen beim EU-Gipfel, verkündete ein grinsender Victor Orban in einem Video auf Facebook. Und seine gehorsamen ungarischen Medien sekundierten mit der Schlagzeile: "Punktsieg für die Visegrad-Staaten."
Donald Tusk, der Ratspräsident war es, der für diesen Aufruhr gesorgt hatte. Mit einer Bemerkung zur Flüchtlingspolitik der EU. Die verbindlichen Quoten zur Aufteilung von Flüchtlingen auf alle Mitgliedstaaten sei höchst spaltend und unwirksam – so Tusk. Jubel im Lager der nationalistisch orientierten Regierungen im Osten der EU, schäumende Wut beim Rest.

Unredlich und falsch

Tusks Bemerkung ist inhaltlich falsch, weil es der EU gelungen ist, fast alle Flüchtlinge, die überhaupt die 2015 aufgestellten Kriterien erfüllt haben, auch tatsächlich aus Griechenland und Italien in andere EU-Länder zu bringen.
Tusks Bemerkung ist außerdem argumentativ unredlich. Denn wenn sich nicht vier Länder weigern würden, den Beschluss zur Flüchtlingsumverteilung, der nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs absolut rechtskonform ist, auch zu akzeptieren, dann wäre die Effizienz dieser Maßnahme zweifellos noch etwas höher.
Und Tusks Argument ist auch noch auf durchsichtige Weise politisch motiviert, da er sich ganz offensichtlich für eine Kandidatur bei den nächsten polnischen Präsidentschaftswahlen warm läuft. Sich gegen Migranten zu positionieren, scheint er dabei für hilfreich zu halten.
Durchsichtig ist auch das Kalkül der Regierungen in Budapest, Warschau, Prag und Bratislava. Sie instrumentalisieren ein Bild von der EU, in der die Runde der im Prinzip vernünftigen Staats- und Regierungschefs von den vermeintlichen Zwangsvereinigern in der EU-Kommission unter ein Joch gezwungen werden soll.
Es ist dasselbe Narrativ, das auch in der AfD und im Front National gepflegt wird. Als 2004 und 2007 die EU sich nach Osten erweiterte, da wurde dieses historische Ereignis als Heimkehr jener Länder nach Europa gefeiert, die jahrzehntelang hinter dem Eisernen Vorhang leben mussten.

Pflicht zur Solidarität

Mit ihrem Beitritt zur EU, mit ihrer Heimkehr nach Europa, haben diese Länder auch den Wertekanon der EU akzeptiert. Und zwar sehr gern. Dazu zählt die Pflicht zur Solidarität in Notlagen, Artikel 222 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU.
Die Regierungen, die damals für Polen, Ungarn, Tschechien und die Slowakei die Beitrittsverträge unterzeichnet haben, waren sich der damit akzeptierten Wertegrundlage bewusst.
Ihre Nachfolger, die wie Victor Orban in Ungarn unverhohlen mit islamophoben und antisemitischen Ressentiments spielen, oder die wie Mateusz Morawiecki in Warschau sich an der Zerschlagung des Rechtsstaats beteiligen, nehmen die in den EU-Verträgen verankerten Werte nur noch selektiv zur Kenntnis.
Geradezu schäbig war deshalb ihr Versuch beim Gipfel, sich mit einem Scheck über 35 Millionen Euro, die für den Schutz der EU-Außengrenze ausgegeben werden sollen, aus der Solidaritätsverpflichtung herauszukaufen.

Es geht ums Prinzip

Die Europäische Union hat in ihrer Geschichte den politischen Kompromiss zur Perfektion gebracht. Oft wird er dann als Kuhhandel, als fauler Kompromiss gebrandmarkt. Meistens zu Unrecht, weil es sich in der Regel um einen kunstvollen Interessensausgleich handelt.
In der Frage der Flüchtlingsumverteilung aber kann es keinen Kompromiss, keinen Interessensausgleich geben. Hier geht es ums Prinzip. Deshalb ist es richtig, dass die übrigen 23 Mitgliedstaaten in dieser Frage nicht vor den Visegrad-4 einknicken. Weiter das Gespräch zu suchen ist richtig. Ansonsten leibt der Weg, der in einer Rechtsgemeinschaft vorgezeichnet ist. Und das ist der Weg zum Europäischen Gerichtshof nach Luxemburg.

Peter Kapern, geboren 1962 in Hamm, Westfalen. Studium der Politikwissenschaften, der Philosophie und der Soziologie in Münster. Volontariat beim Deutschlandfunk. Moderator der Informationssendungen des Dlf, 2007 bis 2010 Leiter der Reaktion Innenpolitik, Korrespondent in Düsseldorf, Tel Aviv und Brüssel.

Peter Kapern
© Deutschlandradio / Bettina Fürst-Fastré
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