Verschlungene Wege von Flora und Fauna

Von Ariadne von Schirach · 24.04.2011
Die Forsythie im Garten, der Wellensittich im Wohnzimmer, die Kartoffel auf dem Mittagstisch – heute selbstverständlich. Welche Reisen Pflanzen und Tiere hinter sich haben und aus welchen Gründen sie wann verschifft wurden – das erzählt das Buch "Tiger an Deck – die unglaublichen Fahrten von Tieren und Pflanzen quer übers Meer".
Löwen. Leoparden. Rhinozerosse. Neben den Gladiatorenkämpfen und den Wagenrennen war die Tierhatz das wichtigste römische Spektakel. Aber wie kamen die exotischen Tiere nach Rom? Mit dieser Frage beginnt Birgit Pelzer-Reith ihr neues Buch "Tiger an Deck", in dem sie ebenso unterhaltsam wie kenntnisreich die Verschiffung von Flora und Fauna von der Antike bis zu Gegenwart erzählt.

Im ersten Teil ihres Buches geht es um den Transport von Tieren des Vergnügens und der Schaulust willen, um die Anfänge und die Internationalisierung des Tierhandels und um die Rolle von Tieren im Krieg. In jedem dieser Segmente folgt die Autorin der Zeitachse von damals zu heute. Zugleich sind alle Informationen anschaulich eingebettet in lokale Preisbeispiele – im 18. Jahrhundert beispielsweise war ein hübscher Kanarienvogel soviel wert wie ein Drittel des Jahreseinkommens eines französischen Landarbeiters.

Manchmal hatte die Tierverschiffung auch ungeahnte Folgen – die im 19. Jahrhundert nach Australien importierten Kamele vermehrten sich rasant; mittlerweile bevölkern über eine Million Exemplare das Hinterland des roten Kontinents.

Aber nicht nur Nutz- und Haustiere, sondern auch Pflanzen, Blumen und Sträucher wurden übers Meer geschickt. Im zweiten Teil berichtet die Autorin von den weiten Reisen der Zitrusfrüchte, vom jemenitschen Kaffeemonopol und dem französischen Abenteurer Gabriel de Clieu, dem es gelang, Setzlinge außer Landes zu schmuggeln und in Martinique anzubauen – der Beginn der großen Kaffeeplantagen in den karibischen Inseln. Der Anbau von Tee hingegen war lange chinesisches Monopol. Erst im späten 18. Jahrhundert gelang es den Engländern, eigene Pflanzungen in ihren indischen Kolonien wie Assam und Sri Lanka (Ceylon) anzulegen.

Ob Gewürze, Brotbaum oder Kautschuk – gekonnt veranschaulicht die Autorin den üblichen Mechanismus kolonialer Expansion: Setzlinge wurden von kleinen Inseln gestohlen, in großen botanischen Gärten studiert und später in eigenen Überseeterritorien kultiviert. Mit den Nutztieren war es ähnlich: Durch verbesserte Kühlung gelang es schon im 19. Jahrhundert, Fleisch aus Amerika nach England zu transportieren. Im Jahre 2005 wurden weltweit 26 Millionen Tonnen Fleisch verschickt – Tendenz steigend.

Birgit Pelzer-Reith hat ein wunderbares Buch geschrieben, üppig, klug und voller skurriler Geschichten. Eines dieser Bücher, das man immer wieder weglegen möchte, um etwas im Atlas nachzuschlagen oder im Internet nach Bildern von Tieren, Pflanzen oder alten Zirkusschiffen zu suchen. Ein Buch, das den Leser staunen lässt über die verschlungenen Wege von Krieg und Handel und ihre Auswirkungen auf das globale Ökosystem.

Denn angesichts der mannigfaltigen Spuren, die der Mensch in allen Erdteilen hinterlassen hat, verwischt sich auch der Unterschied zwischen natürlich und künstlich, heimatlich und fremdartig, saisonal und allzeit verfügbar. Und wer wollte schon auf seinen Kaffee zum Frühstück verzichten?

Buchinfos:
Birgit Pelzer-Reith, Tiger an Deck. Die unglaublichen Fahrten von Tieren und Pflanzen quer übers Meer, mare Verlag, Hardcover, März 2011, 252 Seiten, 19,90 Euro