Verschlingungen in Bogotá

15.10.2012
Verworren und rätselhaft: Evelio Rosero inszeniert ein schauerliches Theater aus Begierden, Leidenschaft und Scheinheiligkeit. Vom Pater enttäuscht und der Küstertochter bedrängt, lebt der bucklige Kirchendiener Tancredo in Bogotá ein bizzares Leben, in dem merkwürdige Dinge geschehen.
Dieser Welt sollte man ruhig mit schauerlichen Geschichten kommen. Für eine Schauergeschichte braucht man ein Ambiente, warum nicht die Gemäuer und Nebengelasse einer Kirche? Das alles in Bogotá, Kolumbiens Hauptstadt, wo der Kirchendiener Tancredo, ein noch junger, aber auffällig buckeliger Mann, in manchen Momenten befürchtet, zum rasenden Tier zu werden. Zu einem Zerstörer, der eine schwer zu bändigende Wut in sich trägt über die Zustände, wie sie sind. Dass ihn die Enthemmungsängste vor allem dann überkommen, wenn die bedürftigen Alten der Gegend in großer Zahl ins Gemeindehaus strömen, um ihr Wohltätigkeitsessen einzunehmen, ist insofern logisch.

Es bedeutet freilich nicht, dass dieser Tancredo ein irgendwie politisierter Kirchenmann wäre. Er nimmt die Welt hin, wie sie ist, er kennt sie nicht anders. Ihre Tücken erkennt er in dem Maße, wie er zu begreifen beginnt, dass aus dem vom Pater in Aussicht gestellten, von der Gemeinde finanzierten Theologiestudium nach drei Jahren des emsigen Dienens wohl doch nichts mehr werden wird.

Und in dem Widerwillen, den er zunehmend empfindet gegenüber den sexuellen Forderungen der Küstertochter Sabina, die ihm mit der Farbe ihres Kopftuches tagsüber anzeigt, wenn er sich nächtens einzufinden habe. Die drei Lilias, Schwestern, die als huschige Wesen (die eines zu sein scheinen) durch die Geschichte geistern und die nie richtig sichtbar sind, verstärken den Eindruck des Unwägbaren, des Schauerlichen, eines dumpfen Erahnens, dass hinter der Maske des Unscheinbaren eine gezielte Mechanik auf die Zeitläufte und Lebensläufe gerichtet sein könnte.

Aber worin mag sie bestehen? Das bleibt ein ungelöstes Rätsel bis zum Schluss. Denn dieser Text reiht eine Merkwürdigkeit an die andere, ohne je zu enthüllen, welcher Sinn, welches Ziel ihr eine Richtung gibt. Das flackernde, spärliche Licht der Kerzen, das Kirche und Pfarrhaus meist nur wenig erhellt, es ist wie eine Metapher, die dem gesamten Text seine Tongebung verleiht. Warum müssen Pater und Küster so überstürzt aufbrechen, um "Don Justiniano", offenbar ein betuchter Spender für die Gemeinde, aufzusuchen? Stammt die enorme Menge Geld, die Sabina aus einem geheimen Tresor holt, um Tancredo zu einer gemeinsamen Flucht zu überreden, von diesem Spender? Was hat es mit dem Vertretungspfarrer auf sich, der die Gemeinde mit seinem Gesang wie ein Popstar in schieres Entzücken versetzt, aber auch mit rätselhaften Sprüchen und einem nahezu unersättlichen Alkoholdurst aufwartet? Warum ertränken die drei Lilias plötzlich in mondbeschienener Dunkelheit die schon immer gefräßigen und räuberischen Katzen, die im Pfarrhaus wohnen?

Der Text liefert kaum Antworten, er entfaltet sich in all diesen Verschlingungen, Verworrenheiten, er inszeniert sich gleichsam selbst als eine unbändige Lust am Erzählen. Dass man schließlich das unabweisbare Gefühl hat, in ein Labyrinth gelockt worden zu sein, schmälert das Vergnügen keineswegs. Jede Wendung, jeder neue Gang eröffnet einen neuen Akt in diesem Spektakel, das in der Beengtheit einer lausigen Armenkirche in Bogotá wie ein großes Welttheater um Begierden und Leidenschaften, Geheimnisse und Absichten, Intrigen und Scheinheiligkeit verläuft.

Besprochen von Gregor Ziolkowski

Evelio Rosero: Gute Dienste.
Aus dem Spanischen von Matthias Strobel
Berlin Verlag, Berlin 2012
141 Seiten, 17,99 Euro