Verrückte Symbiosen von Pflanze und Tier

19.10.2011
Die Aue, der Wald, die Obstwiese: Mit einer überbordenden Wissensfülle bescheibt der Münchner Zoologe Josef Reichholf natürliche Lebensräume - und erzählt zugleich die Geschichte des Naturschutzes mitsamt seiner Irrwege.
Große Entdeckungen muss man nicht in fernen Ländern suchen, man muss nur in den Garten, den nah gelegenen Park oder auf die nächste Wiese gehen und schon sind sie das: die Naturwunder, so Josef Reichholf in seinem neusten Buch "Das Rätsel der grünen Rose".

Es ist wohl sein persönlichstes Buch. Mit Staunen erlebte man die enorme Artenvielfalt im Auwald am Inn, wo der 1945 Geborene aufwuchs. Hier entdeckt Reichholf "grüne Rosen", also solche jungen Weidentriebe, die nicht weiterwachsen und deren Blätter stattdessen wie Rosenblüten zusammen stehen. Schuld daran sind die Larven der Weidengallmücken; sie nutzen die Pflanze für ihre Zwecke und lassen so bezaubernde Rosen entstehen. Für Reichholf ist diese Entdeckung die Initialzündung für sein weiteres Leben: die Natur und ihre verrückten Symbiosen von Pflanzen und Tier lassen ihn nicht mehr los.
Seit über 30 Jahren schreibt er darüber Bücher, fast schon im Sechsmonatsrhythmus erscheint ein neues: jedes für sich genommen lesenswert. Und jetzt eben "Das Rätsel der grünen Rose", diese Reise in Reichholfs Vergangenheit, die zugleich eine fächerübergreifende Naturgeschichte ist. Reichholf bezieht Geschichte, Chemie und sprachliche Herkunft in seine Forschungen ein, besticht mit der Privatheit seiner Gedanken und ist darum umso überzeugender. Hier schreibt ein Besessener – im besten Sinne.

Man riecht die Wälder, spürt den Sand zwischen den Zehen und riecht das würzige Kiefernharz. Fast so als wäre man dabei. Seite für Seite taucht man so tiefer ein. Die Aue, der Wald, die Obstwiese. Auf den über 300 Seiten entfalten sie ihren Lebensraum. Aber nicht nur das: anhand ihrer erzählt Reichholf auch die Geschichte des Naturschutzes – mitsamt seiner Irrwege. So setzten Reichholf und andere sich ehemals dafür ein, blühende Schneeglöckchen und Frühlingsknotenblumen vor den Waldbesuchern zu schützen, die sie pflückten und niedertraten. Ein Zufahrtsverbot und strenge Kontrollen halfen anfangs. Doch Jahre später war die Blütenpracht dennoch verschwunden: Wegen der fehlenden Weidetiere und Spaziergänger wuchs der Waldboden zu, erstickte jeden Keimling. Die Blüten hatten keine Chance mehr.

Was zeigt: Man muss immer das Ökosystem als Ganzes betrachten und Leben bedeutet Veränderung. Wenn ein Lebensraum schwindet, fassen neue Pflanzen und Tiere Fuß. Reichholf konstatiert aus seiner langen Erfahrung, dass schon heute nichts mehr so ist wie in seiner Kindheit. Und wie in all seinen Büchern fordert er auch diesmal seine Leser auf, mitzuentscheiden, welchen Naturzustand man fördern will. Denn nichts ist so falsch, als den Menschen gegen den Naturschutz zu stellen. Insofern sei es wichtig Lust zu machen. Lust auf Natur. Neugier auf die Wunder der Natur. Nur wer versteht, wie Natur funktioniert, kann mit ihr im Einklang leben und verstehen, dass industrielle Landwirtschaft, Kraftwerke und der Autoverkehr reale Bedrohungen sind. Mit "Das Rätsel der grünen Rose" geht Reichholf einen ersten Schritt in diese Richtung: mit seiner überbordenden Wissensfülle lädt das Buch zum Staunen ein.

Besprochen von Susanne Harmsen

Josef H. Reichholf: Das Rätsel der grünen Rose
oekom-Verlag, München 2011
332 Seiten, 19,95 Euro