Verleger regt europäische Austauschbibliothek an

Moderation: Marie Sagenschneider · 13.03.2008
Der österreichisch-bosnische Verleger Lojze Wieser regt eine europäische Austauschbibliothek an. Er wünscht sich mehr Anstrengungen bei Übersetzungen der bulgarischen, mazedonischen, kosovarischen oder albanischen Literatur. Der in Klagenfurth ansässige Wieser hat sich mit Buchreihen wie "Europa erlesen" verdient gemacht.
Marie Sagenschneider: So richtig geht’s natürlich heute erst los, so langsam werden sich die Messehallen jetzt füllen. Und der Klagenfurter Verleger Lojze Wieser ist freundlicherweise für uns ganz früh schon aufgestanden. Gruß nach Leipzig, Herr Wieser!

Lojze Wieser: Schönen guten Morgen!

Sagenschneider: Für jemand wie Sie, der nun schon so lange, ja seit fast 30 Jahren Literatur aus Slowenien übersetzt und verlegt, natürlich nicht nur aus Slowenien, sondern auch aus anderen ost- und südosteuropäischen Ländern, für jemanden wie Sie ist die Leipziger Buchmesse natürlich Pflicht. Ist sie denn auch ein Vergnügen?

Wieser: Vor allem ist es ein Vergnügen. Die Pflicht kommt sozusagen daneben mit. Aber es ist ein großes Vergnügen, hier in Leipzig zu sein.

Sagenschneider: Ist es für Sie auch eine Gelegenheit, neue Autoren zu verpflichten?

Wieser: Ja, die Kontakte mit den Autoren und mit den öffentlichen Medien zu verstärken, weil die Kontakte zu den Autoren versuche ich, vor Ort zu vertiefen bzw. zu pflegen.

Sagenschneider: Da fahren Sie dann immer hin. Wir hatten gestern hier im "Radiofeuilleton" den kroatischen Verleger Nenad Popovic zu Gast, und er hat uns davon erzählt, wie er seinen Autoren ja doch immer vergleichsweise wenig zahlen kann. Zum Ausgleich dafür geht er mit ihnen immer ordentlich einen trinken, um das sozusagen ein wenig auszugleichen. Kennen Sie das auch so?

Wieser: Ja, es ist in der Tradition dessen, was … (Anmerk. d. Red.: Autorenname unverständlich) in den "Artischockenherzen und Mandelkern" beschreibt, wo Bauern zum Beispiel früher einmal durch Mandelkerne und durch einen Liter Wein abgefertigt wurden, ihnen dadurch das Sold gezahlt wurde, indem sie 15 Kerne Mandeln bekommen haben und dann einen Wein drauf getrunken haben. Ich denke, diese Tradition ist gut, und in der Literatur macht sich das auch oft einmal gut, dass man einen Warentausch betreibt, weil die Literatur selber muss erst ins Bewusstsein gerückt werden, damit sie auch verkauft werden kann und damit große Honorare damit verdient werden können. Und insofern verstehe ich meinen Freund Nenad Popovic sehr gut.

Sagenschneider: Sie haben immer wieder gesagt, Herr Wieser, gerade Mittel- und Osteuropa sei einer der aufregendsten Kulturräume Europas. Was ist für Sie das Besondere, was vor allem fasziniert Sie daran?

Wieser: Wir haben hier in diesem Raum eine unwahrscheinliche Nähe von Verschiedenheiten, obwohl sie sich so ähnlich sind. Und gerade diese Verschiedenheiten versuchen sich und haben sich in den letzten 100, 200 Jahren versucht, auch in der Tradition von Goethe, von Herder und von der Aufklärung herauszuarbeiten, wo sie unterschiedlich sind, und haben oft einmal daneben vergessen zu betonen, wo sie gemeinsam existieren. Nehmen wir nur die Grundlage zum Beispiel der Küche auch her. Es ist eine osmanische Grundlage, die aber dann aufgrund religiöser und kultureller Entwicklungen, aufgrund der Bedingungen, unter denen angebaut wurde zum Beispiel unterschiedlich geworden sind. Es gibt in Serbien den Prebranac (Anmerk. d. Red.: Wort wie gehört), das sind Bohnen, die gebacken werden. Und es gibt in Makedonien eine ähnliche Speise, die rein durch eventuell eine Zutat, durch Lorbeer oder durch Thymian oder durch eine Kleinigkeit verändert werden oder durch eine scharfe Peperoni, und sie bekommen eine eigene Note. Und diese Gemeinsamkeit ist es auf der einen Seite. Auf der anderen Seite aber auch dieses Beachtet-werden-Wollen und nicht von der Geschichte immer wieder an den Rand geschoben zu werden.

Sagenschneider: Ist man denn dabei, diese Gemeinsamkeiten wieder zu entdecken, denn wir reden ja auch über einen Kulturraum, in dem bis vor wenigen Jahren noch Kriege geführt worden sind, wo ausgeprägter Nationalismus an der Tagesordnung war, teilweise noch ist, wo man sich auf ganz merkwürdige Art und Weise abgegrenzt und gesagt hat, jetzt gibt es nur noch Serbisch und nur noch Kroatisch, und früher kannten wir mal Serbokroatisch. Ist man wieder dabei, sich da aufeinander zuzubewegen?

Wieser: Ich habe jetzt während meiner Reise durch den Balkan eine unwahrscheinlich spannende Erfahrung gemacht, nämlich diese Erfahrung, dass die Menschen nicht gegeneinander im Grunde genommen böse sind, sondern dass sie aufgrund von bestimmten politischen Verhältnissen und Entwicklungen dazu fast getrieben werden, aufeinander böse zu sein. Nehmen wir nur die Frage jetzt der Neugründung des Kosovo-Staates. Ich habe während der Fahrt in Belgrad unwahrscheinlich traurige und apathische Augen gesehen aufgrund dieser Unabhängigkeit. Ich bin auch in Demonstrationen hineingekommen von Ultranationalisten, die dort einen Aufschrei getan haben. Ich komme dann nach Makedonien, wo ich die feiernden Albaner sehe und die ratlosen Makedonier. Ich sehe in Plovdiv, in Bulgarien zum Beispiel, dann die Ratlosigkeit, was wird passieren. Wir haben acht Minderheiten. Wird es jetzt bei uns auch so losgehen? Ich komme in die Türkei, sehe die strahlenden Augen der Türken, die Kosovo als Erste anerkannt haben, komme dann nach Ohid in Makedonien wiederum zurück, wo eine gewisse Gleichgültigkeit existiert, sehe in Thessaloniki und im Norden Griechenlands eine unverhohlene eher Ablehnung, weil hier die Griechen ja bis heute nicht fertig sind mit der Behandlung der makedonischen Frage und der bulgarischen und der türkischen Frage. Und komme dann nach Tirana, wo ich zwar eine gewisse Freude sehe, aber eine Zurückhaltung. Das heißt, der gesamte Raum ist in Bewegung gekommen, und den Kosovaren wurde eine Freiheit gegeben, die aber durch die Nationalstaatsgründung im Grunde genommen den gesamten Raum in Unruhe versetzt hat, weil Albaner leben ja in Makedonien, in Montenegro. Sie leben zum Teil in Griechenland, sie leben zum Teil noch auch in Bulgarien. Das kann sein, dass hier durch die europäische und amerikanische Politik etwas in Unruhe versetzt wird, was die Menschen gar nicht haben wollten. Würden diese Menschen alle in der EU sein, würde es diese Notwendigkeit der Nationalstaatlichkeit nicht geben.

Sagenschneider: Nun reden wir mal über unseren Blick auf diese Region. Sie haben ja diverse große Projekte auf den Weg gebracht, ganz ausdrücklich eben mit dem Ziel, die Grenzen wieder zu lockern, dass eben die politischen nicht auch die kulturellen Grenzen sind, u.a. mit den Reihen "Europa erlesen" oder der "Enzyklopädie des europäischen Ostens". Wie viel wird denn eigentlich inzwischen übersetzt? Ist das wirklich deutlich mehr oder gibt es auch noch so was wie blinde Flecken, Länder, die gar nicht vorkommen?

Wieser: Wenn ich zurückschaue, zum Beispiel auf das Jahr 1980, und mir vorstelle, dass es kein einziges slowenisches Buch auf Deutsch gegeben hat und wir heute gut 150 Werke aus der slowenischen Literatur und über die slowenische Literatur auf Deutsch haben, die mehr als die Hälfte von uns gemacht wurden, aber auch viele andere Verlage hier aktiv geworden sind. Wenn ich zurückdenke, dass in der gesamten Geschichte aus der kroatischen Literatur keine 90 Werke übersetzt worden sind und heute, hier auf der heutigen Buchmesse in Leipzig, 40 Titel vorgestellt werden, wo wir 19 davon gemacht haben. Oder wenn ich daran denke, dass serbische Literatur einst einmal über Andrić, der ja in diesem Raum Bosnien, Kroatien, Serbien zu Hause war, den Nobelpreis bekommen hat, allein von ihm 39 Werke übersetzt worden sind und heute kaum etwas von ihm als Literaturnobelpreisträger vorliegt, dann hat sich hier etwas verändert. Aber zum Beispiel aus der bulgarischen Literatur oder auch aus der makedonischen Literatur, auch der kosovarischen oder albanischen Literatur ist kaum noch etwas unterwegs. Hier muss eine viel größere Anstrengung noch gemacht werden. Und wir können uns auch nicht zufrieden geben mit dem, was aus den anderen Sprachen herausgekommen ist. Es müsste eine viel größere, systematischere, auch durch die Unterstützung der EU geförderte Übersetzungspolitik in dieser Richtung hin geben.

Sagenschneider: Wir sind doch ziemlich weit davon entfernt, so was wie ein gesamteuropäisches literarisches Bewusstsein zu entwickeln?

Wieser: Wir haben wahrscheinlich gar keines noch oder sind sehr sanft erst auf dem Weg dorthin, wie die Katzen so auf sanften Pfoten. Aber eine Austauschbibliothek zum Beispiel, eine europäische, würde hier eine große Abhilfe schaffen.

Sagenschneider: Der Verleger Lojze Wieser im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur. Herr Wieser, ich danke Ihnen und wünsche Ihnen noch viel Spaß in Leipzig!

Wieser: Ich danke Ihnen! Einen schönen Tag auch!

Sagenschneider: Ihnen auch! Danke, tschüss!
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