Verkehrsdebatte in Baltrum

Mit der Seilbahn aus dem Sommerloch

Eine Fähre fährt zur ostfriesischen Insel Baltrum in der Nordsee.
Noch reist man per Fähre nach Baltrum. © picture alliance / dpa / Julian Stratenschulte
Von Almuth Knigge · 22.08.2017
Gibt es bald keine Sommerloch-Storys mehr? Wird es künftig noch die öden Wochen geben, in denen nichts passiert? Täglich werden wir mit Schlagzeilen aus den USA, der Türkei oder Nordkorea bombadiert. Doch eine letzte Sommerloch-Story gibt es: und die kommt aus Ostfriesland.
Manche behaupten, es gibt Firmen, die machen nichts anderes, als Sommerlochthemen zu entwickeln. Zum Beispiel Trauerschwan Petra, die sich in ein Tretboot verliebte, oder das Hotpants-Verbot, das war 2014 das Thema des Sommers. Diese Firmen sitzen in Deutschlands - wenn man so will - "Loch" – Ostfriesland – Kein Hügel und nur wenige Bäume stören die Fernsicht über Wiesen und Felder und lassen der Phantasie freien Lauf.
Das stimmt natürlich alles nicht. Es gibt sogar Menschen, die sagen so etwas wie:
"Ich glaube, das klassische Sommerloch gibt es nicht mehr."
Und dass das Sommerloch eine Chance sein kann - für begabte Tiere, vernachlässigte Ideen…
"Tiere gehen immer, Schiffe gehen immer."
Heiko Müller ist so ein Mensch. Heiko Müller ist seit 38 Jahren Lokalredakteur bei der Ostfriesenzeitung in Emden. Letzten Sommer landete er, kann man wohl so sagen, einen Riesencoup.

Wie die Seilbahn-Story beginnt

Baltrum am 27. Juli 2016. Seit dem Leitartikel aus der Ostfriesenzeitung "'Mit der Seilbahn' aufs Festland, ist Dornröschen aus dem Tiefschlaf erwacht."
Wachgeküsst von Heiko Müller.
"Das finde ich etwas hoch aufgehängt."
Da ist Heiko Müller aber etwas bescheiden. Er hat die Seilbahn-Story ausgegraben. Und die geht so: "Der Bürgermeister von Baltrum wollte eine Seilbahn vom Festland auf die Kleinste der Nordseeinseln, die immer noch recht schwer zu erreichen ist. Der Bürgermeister, Berthold Tuitjer, erzählte Müller bei einem Busausflug davon."
"Anstatt ca. 30 Minuten Fährzeit hätten wir nur acht Minuten Fährzeit - die Betriebskosten - wenn sie die Betriebskosten einer Seilbahn im Verhältnis zu fossil-betriebenen Schiffen stellen, dann sind die Betriebskosten eine Seilbahn wesentlich günstiger."
Heiko Müller witterte eine Story.
"Der hat den Vorschlag schon sehr, sehr ernst gemeint. Ist natürlich zunächst belächelt worden.
Nee - das kann ich nur für einen Aprilscherz halten."
Aber es war ja nun mal im Juli und da liegt es nahe, dass man vom Sommerloch spricht.
"Äh - ja das liegt natürlich nahe."
Aber - er beharrt darauf.
Es war eigentlich kein Sommerlochthema sondern eher Zufall, dass diese Idee mitten in den Sommer fiel. Und...
"Natürlich waren wir dankbar im Sommer für so ein Thema."
... Also...
"Wir haben da auch lange von gelebt von diesem Thema."

Bundesweite Aufmerksamkeit

Eine Seilbahn – mitten durch das Watt. Auch andere, überregionale Medien waren dafür dankbar. Das war die Geschichte der Ostfriesenzeitung, die bundesweit die meiste Aufmerksamkeit bekommen hat – in den letzten Jahren.
80.000 Funde im weltweiten Nachrichtennetz – für ostfriesischen Verhältnisse schon mehr als ein kleiner Sturm im Wasserglas. Und viel mehr als der Streit darüber, wo denn nun der Tiefpunkt Deutschlands liegt, geografisch gesehen. In Freepsum, in Ostfriesland, oder in der schleswig-holsteinischen Wilstermarsch, 3,54 Meter unter dem Meeresspiegel.
Wochenlang füllten Zeitungen und Fernsehstation kostbare Sendeminuten – so wie Baltrum TV:
"Quer durch alle Familien, Gruppen und Parteien geht die Diskussion um diese eine Frage: Meint unser Bürgermeister das ernst und wollen wir das wirklich."
Auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk schickte Reporter an die Küste.
"Das klingt alles so skurril, dass wir auf jeden Fall nochmal genauer nachfragen wollen - wir schalten jetzt live an die Küste, unser Reporter steht da, wo die Seilbahn ankommen könnte..."

Ob Dornröschen wachgeküsst wird?

Der NDR-Reporter, mit dem Rücken zur Fähre, schaffte es, fast eine Minute darüber zu reden, dass viel und gerne geredet wird, ob Dornröschen nun bald wachgeküsst wird oder eben nicht, und ob das von Touristen gemacht wird, die dann mit der Seilbahn kommen oder ganz konventionell mit dem Schiff.
"Wir werden das weiter beobachten, Matthias Schuch live aus Neßmersiel vielen Dank."
Große Ideen...
"Also ich finde, demnächst sollten sie eine Skihalle hier bauen dann würden die Leute mit der Gondel richtig am Ort sein."
Wechselten sie ab mit:
"Große, große, große Skepsis."
Und wieder großen Ideen...
"Das kann man machen, natürlich kann man das machen, man kann auch das Watt betonieren, man kann Tunnel bauen, man ´ne Brücke bauen man kann ´ne Magnetschwebebahn bauen."
Man könnte so viel machen.
"Aber ganz nebenbei ist hier auch noch ein Nationalpark im Hintergrund und das Weltnaturerbe."
"Wie belastbar ist denn dieser Unesco-Status, wenn die Leute sagen, ich fahre da lieber mit Seilbahn hin, und habe mein Erlebnis und was kann ich mir für den Unesco-Status kaufen."
Die Frage war noch nicht beantwortet, da war es auch schon wieder vorbei – und die Insel fiel wieder in den Dornröschenschlaf. Trump wurde amerikanischer Präsident und in ein paar Wochen ist Bundestagswahl. Keine Chance für Baltrum, die Seilbahn-Frage öffentlichkeitswirksam weiter zu diskutieren.
Schade.
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