Verhandlungen zur Wirtschafts- und Währungsunion

Extrem ambitioniert, enorm motiviert

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Kohl-Berater Johannes Ludewig: Die Anzahl der Übersiedler aus der DDR war beängstigend © Deutschlandradio - Matthias Dreier
Johannes Ludewig im Gespräch mit Dieter Kassel · 27.04.2015
Vor 25 Jahren begannen die Verhandlungen zur Wirtschafts- und Währungsunion mit der DDR. Der ehemalige Beauftragte für den Aufbau Ost, Johannes Ludewig, fühlt noch heute eine "Grundeuphorie" - und stellt einen der Beteiligten besonders heraus.
Johannes Ludewig, ehemals wirtschaftspolitischer Berater von Bundeskanzler Helmut Kohl und Beauftragter für den Aufbau Ost, hat die Verhandlungen zur Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion zwischen der DDR und der Bundesrepublik als außergewöhnliches Ereignis gewürdigt. Im Deutschlandradio Kultur sagte Ludewig anlässlich des Beginns der Gespräche vor nunmehr 25 Jahren, das Vorhaben sei besonders wegen der kurzen Verhandlungsdauer von rund drei Wochen sehr ambitioniert gewesen. Druck habe eine große Rolle gespielt, sagte Ludewig, denn die Anzahl der Übersiedler aus der DDR nach Westdeutschland sei beängstigend gewesen. "Das war das Hauptproblem", betonte er. Für den Aufbau Ost seien "die Besten" nötig gewesen. Diese in Ostdeutschland zu halten, habe die Verhandlungspartner sehr stark beschäftigt. Ludewig sagte, alle Verhandlungspartner seien enorm motiviert gewesen, eine "Grundeuphorie" habe sie getragen. Die Bereitschaft, gute Lösungen zu finden, sei ungeheuer groß gewesen. Den Verhandlungsführer der DDR, Günther Krause, bezeichnete Ludewig als "außergewöhnliche Persönlichkeit", der quasi im Alleingang entschied, die Verhandlungsführerschaft für die DDR-Seite zu übernehmen. "Er war fest entschlossen, das selber in die Hand zu nehmen offensichtlich, und da waren wir schon beeindruckt, denn normalerweise wartet man, bis eine Regierung eine Entscheidung getroffen hat zu solchen Dingen und dann spricht man darüber, aber das war bei Günther Krause dann doch etwas anders."

Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: "Die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion muss der nächste wichtige und eindeutige Schritt sein", das haben wir gerade noch mal gehört von Lothar de Maizière, der das damals sagte, unmittelbar nach der Volkskammerwahl vom 18. März 1990. Und genau zwei Monate später, witzigerweise auf den Tag genau zwei Monate später, wurde dann der Staatsvertrag zu dieser Union unterzeichnet.
Warum sage ich Ihnen das heute? Das ist vom Datum her ein bisschen kompliziert. Heute ist der 27. April, das war vor 25 Jahren der Tag, an dem, wenn ich es mal so nennen darf, die Verhandlungen zu dieser Union so richtig begannen, weil alle alle Unterlagen hatten. Offiziell war der Verhandlungsstart aber schon zwei Tage früher.
Das weiß einer ganz genau, der damals im Bundeskanzleramt hoher Beamter war, wirtschaftlicher Berater Helmut Kohls und Beauftragter für den Aufbau Ost. Inzwischen ist er der Vorsitzende des Nationalen Normenkontrollrats, zwischendurch war er auch mal Bahnchef und Sie wissen alle, von wem ich rede: Ich rede von Johannes Ludewig, der ein Buch geschrieben hat über seine Zeit damals, nicht nur die paar Wochen, sondern einige Jahre mehr, ein Buch mit dem Titel "Unternehmen Wiedervereinigung. Von Planern, Machern, Visionären", und er ist jetzt bei uns im Studio. Guten Morgen, Herr Ludewig!
Johannes Ludewig: Einen schönen guten Morgen!
Kassel: Wenn man jetzt auch mit Abstand noch mal guckt: Am 27. April ging es richtig los mit den Verhandlungen, gut drei Wochen später wurde der Vertrag unterschrieben – war das nicht eigentlich alles viel zu kurz? War das nicht ein Wahnsinn, das in so kurzer Zeit hinkriegen zu wollen?
Eine Verhandlungsdauer von nur drei Wochen - das war extrem ambitioniert
Ludewig: Das war schon sehr ambitioniert, aber auf der anderen Seite – das kann man sich vielleicht heute auch nicht mehr so richtig vorstellen – es waren auch alle enorm motiviert, und natürlich auch der Druck, der eine große Rolle spielte, durch die eben doch beängstigende Zahl der Übersiedler von Ost nach West. Das war eigentlich das Hauptproblem.
De Maizière hat es ja in den Vorworten da ja angesprochen. Das hat uns schon enorm beschäftigt, weil wir natürlich ein Interesse hatten, dass für den Aufbau Ost, der ja kommen musste, um die ganze ostdeutsche Wirtschaft wettbewerbsfähig zu machen, umzubauen und so weiter, dass dafür die besten, die es gibt, dass die auch da sind und nicht sich längst in den Westen und woanders hin abgesetzt haben.
Das hat uns sehr stark beschäftigt, und daher natürlich auch der Zeitdruck, möglichst bald zu einem Ergebnis zu kommen, um ein klares Signal zu setzen: Es lohnt sich, in Ostdeutschland zu bleiben.
Kassel: Ihre Gedanken, also die westdeutschen, begannen natürlich nicht erst am 25. April, bei diesen ersten Verhandlungen. Was hatten Sie denn aus den Ministerien, Wirtschafts- und Finanzministerium, im Gepäck? Mit was sind Sie überhaupt angereist?
Ludewig: Na, es hat eine ganze Reihe, Anzahl natürlich von Gesprächen gegeben, mit denen wir uns vorbereitet haben. Es hat vor allen Dingen natürlich auch eine ganze Reihe von Treffen auf dem obersten Level gegeben des Bundeskanzlers mit den zuständigen Ministern (und) der Bundesbank, die ja eine wichtige Rolle spielt, jetzt zu dieser Frage, die ja im Wahlkampf schon eine Rolle spielte hier, also im Wahlkampf für die Wahl zur Volkskammer, nämlich die Frage der Währungsunion, des Umtauschverhältnisses.
Das ist für jede Volkswirtschaft eine ganz sensible und sehr wichtige Frage. Und da hat es mehrere Gesprächsrunden gegeben. Insofern waren wir darauf vorbereitet, obwohl es das Ergebnis natürlich noch nicht gab, weil die Verhandlung, also mit den Partnern, mit denen wir ja abschließen wollten und mussten, ja noch nicht sozusagen gesprächsbereit war. Aber wir waren da ganz gut vorbereitet und waren selbst gespannt auf den Beginn dieser Verhandlung.
Kassel: Spannend war ja dann auch die Frage: Wer leitet die eigentlich? Also auf westdeutscher Seite war das nicht so kompliziert, da stand relativ schnell Hans Tietmeyer fest. Für die DDR hat am Ende diese Verhandlungen Günther Krause geleitet, den kennt man dann später auch als Verkehrsminister und aus anderen Funktionen. Und ich hatte in Ihrem Buch und auch schon bei anderen Berichten aus der Zeit das Gefühl: Der hat sich mehr oder weniger selbst zum Verhandlungsführer gemacht.
Günther Krause: eine "sehr ungewöhnliche, außergewöhnliche Persönlichkeit"
Ludewig: Ja, Günther Krause ist schon eine sehr ungewöhnliche, außergewöhnliche Persönlichkeit, und ich habe ihn zum ersten Mal kennengelernt, das war kurz vor Ostern 1990. Lothar de Maizière war gerade zum Ministerpräsidenten gewählt, die Bildung der ostdeutschen Regierung war noch im Gange. Und wir hatten ein Treffen hier in Berlin, wir meint Tietmeyer als designierter Verhandlungsführer auf der westlichen Seite und ich, mit Lothar de Maizière, und am Ende stellte er uns dann zwei Herren vor, Reichenbach, der Minister im Amt des Ministerpräsidenten, und Günther Krause. Und Günther Krause war damals ja parlamentarischer Staatssekretär beim Ministerpräsidenten für Fragen der deutschen Vereinigung, um das mal offiziell zu beschreiben.
Und wir hatten ein gutes Gespräch, und Tietmeyer fragte dann irgendwann mal, wer wird denn bei Ihnen die Verhandlungen führen, wobei er wohl davon ausging, wie es auch bei den vorangegangenen Expertengesprächen war, dass ein Minister dieser neuen Regierung diese Gespräche führen würde, und er hatte den Satz noch nicht ganz ausgesprochen, da sagte Günther Krause: "Das mache ich!", wobei nach unserer Information auf jeden Fall klar war, dass es dazu noch gar keine offizielle Entscheidung gab innerhalb der ostdeutschen, sich ja noch bildenden ostdeutschen Regierung.
Aber die Entschlossenheit, dass er ... Er hatte erkannt, dass das der entscheidende Punkt war für die ganzen Verhandlungen, der jetzt komme würde, und er war fest entschlossen, das selber in die Hand zu nehmen offensichtlich. Und da waren wir schon beeindruckt, denn normalerweise wartet man, bis eine Regierung eine Entscheidung getroffen hat zu solchen Dingen, und dann spricht man darüber. Aber das war bei Günther Krause dann doch etwas anders.
Kassel: In diesen Verhandlungen, die ja unter enormem Zeitdruck stattfanden – ich nehme an, Sie sind oft um zwei ins Bett und um sieben ging es wieder los oder so ähnlich zumindest: Was waren denn die wirklich schwierigen Punkte in Ihrer Erinnerung? Wo wollten wirklich Ost und West verschiedene Dinge?
Diskutiert wurde über den Währungsumtausch, Vermögens- und soziale Fragen
Ludewig: Na ja, ich sage mal, zwei Dinge waren klar, das erste lag auf der Hand, hat Lother de Maizière in dem Vorton ja angesprochen: die Frage des Währungsumtausches, denn eine Währung ist etwas ganz Sensibles, wie jeder weiß, wenn Sie da Fehler machen, hat das eben doch enorme Konsequenzen auf die Entwicklung der Volkswirtschaft. Und das Zweite waren, um mal ein Beispiel zu nennen, natürlich die Vermögensfragen, wie werden die eigentlich geregelt, also was alles geschehen ist seit 1945 in puncto Vermögen, kann das zurückgegeben werden, geht das nicht, haben Investitionen Vorrang vor der Rückgabe von Eigentum und ähnliche Dinge mehr.
Das waren, um mal zwei Beispiele zu nennen, wichtige Punkte, aber auch soziale Fragen. Deswegen ist man ja sehr schnell weggekommen eigentlich dann: Wir machen nicht nur eine Währungs- und Wirtschaftsunion, sondern auch eine Sozialunion. Denn auch die soziale Marktwirtschaft besteht ja nicht nur aus Wirtschaft, sondern auch aus den sozialen Aspekten, die hier eine wichtige Rolle spielen. Aber das waren, sage ich mal, so die wesentlichen Punkte, mit denen wir uns in diesen Verhandlungen beschäftigt haben.
Kassel: Aber waren Sie da nicht auch teilweise mit der Quadratur des Kreises beschäftigt? Reden wir mal über den Umtauschkurs. Wir wissen: Am Ende wurde es eins zu eins. Heftig diskutiert wurde eins zu zwei. Eins zu eins war natürlich in manchen Punkten wirtschaftlich heikel, gerade aus westdeutscher Sicht, eins zu zwei wiederum hätte zum Beispiel bei den Löhnen, wenn ich mich richtig erinnere, bedeutet, dass der Durchschnittslohn eines Arbeiters oder Angestellten der DDR unter 600 D-Mark gelegen hätte, hätte man es gemacht – hat man ja nicht. Das heißt, Sie mussten eigentlich zwischen zwei Übeln auch manchmal wählen.
Die Beteiligten an den Verhandlungen wurden von einer Grundeuphorie getragen
Ludewig: Na ja, ich habe das nicht als Übel gesehen. Sie müssen auch nicht vergessen: Wir wurden ja alle von einer doch, sagen wir mal, Grundeuphorie getragen. Wir konnten über Dinge verhandeln, von denen hätten wir noch nicht mal vor einem halben Jahr geträumt. Und deswegen war eigentlich die Offenheit, die Bereitschaft, da jetzt wirklich gute Lösungen zu finden, die war eigentlich ungeheuer groß.
Wir hatten mal ein Ressortgespräch an einem Sonntagnachmittag in Bonn in Vorbereitung dieser Dinge. Und obwohl nur Wenige eingeladen waren – es erschienen 100 Beamte am Sonntagnachmittag, wo keine Pflicht bestand, weil man wirklich jetzt das Gefühl hatte: Es ist eine historische Möglichkeit! Und die Euphorie, die Begeisterung war doch wirklich sehr groß.
Und noch mal zurück zu dieser Umtauschgeschichte – Sie haben völlig recht: Wir haben uns sehr im Detail dann mit diesen Fragen beschäftigt, die Lohnhöhe, die nominalen Löhne waren ja relativ niedrig in Ostdeutschland, und wenn man die nominalen Löhne von Anfang 1990 nimmt und dann die Produktivität sozusagen dazu auch in Relation stellt, dann war – und das war ja unsere Schlussfolgerung auch in Westdeutschland – letztlich eine Umstellung eins zu eins vertretbar.
Die Probleme, die nachher entstanden sind, später, waren, dass nach Abschluss der Verhandlungen am 18. Mai dann sehr schnell sehr hohe Lohnsteigerungen verabredet worden sind zwischen Gewerkschaften und den jeweiligen Betrieben, die dann die Leistungsfähigkeit vor allen Dingen der ostdeutschen Industriebetriebe, die ja im internationalen Wettbewerb standen, dann doch überfordert haben.
Aber insofern war zum Zeitpunkt der Verhandlungen eins zu eins – und das haben wir uns auch selbst nicht leicht gemacht, weil wir ja auch eine Verantwortung hatten, dass es anschließend wirtschaftlich weitergeht – die war aus unserer Sicht vertretbar. Und deswegen haben wir da auch am Ende in den Verhandlungen eine entsprechende Einigung erzielt.
Kassel: Wir könnten noch Stunden darüber reden, ich glaube, das würden wir beide auch gerne tun, der Radiogott ist dagegen, deshalb sage ich an dieser Stelle vielen Dank und empfehle noch mal Ihr Buch, da werden natürlich nicht nur diese paar Wochen, sondern auch noch Jahre danach viel ausführlicher beschrieben: „Unternehmen Wiedervereinigung" heißt das Buch von Johannes Ludewig und im Osburg-Verlag ist es erschienen. Herr Ludewig, danke für den Besuch!
Ludewig: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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