Verhaftungswelle in der Türkei

Türkei startet "Säuberungswelle" gegen mutmaßliche Putschisten

Zwei Polizisten patrouillieren vor der Blauen Moschee in Istanbul.
Zwei Polizisten patrouillieren vor der Blauen Moschee in Istanbul. © pa/dpa/
17.07.2016
6000 Beschuldigte in Militär und Justiz wurden festgenommen, meldet das türkische Justizministerium. Ihnen wird vorgeworfen, an dem gescheiterten Putschversuch vom Freitag beteiligt zu sein. Im Visier der AKP-Regierung sind insbesondere Staatsdiener, die in Zusammenhang mit der Gülen-Bewegung stehen.
Im Visier der AKP-Regierung sind dabei insbesondere Persönlichkeiten im Staats- und Justizdienstes, die mit dem Geistlichen Fetullah Gülen in Verbindung stehen sollen. Gülen selbst lebt in den USA, in Pennylvania.
Der türkische Präsident Erdogan hatte seinen Erzfeind Gülen für den Putschversuch verantwortlich gemacht und die US-Regierung aufgefordert, den Kleriker auszuliefern. US-Außenminister John Kerry sagte eine Prüfung zu, sofern ein Auslieferungsersuchen gestellt werde. Gülen weist die Anschuldigungen zurück.

Wer ist Fetullah Gülen?

Gülen ist ein Imam, "mit dem Erdogan jahrzehntelang eine enge Freundschaft, eine Partnerschaft praktiziert hat", wie der Journalist Osman Okkan im Deutschlandradio Kultur erläuterte .
Er betreibt ein großes internationales Netzwerk an Schulen, Gymnasium und sogar Hochschulen, in denen eine Bildungselite ausgebildet wird, von der Erdogan beziehungsweise sein Staatsapparat lange anhängig war. Gülen wird das Motto zugeschrieben: Lasst uns Schulen statt Moscheen bauen.
Die Gülen-Bewegung verfügt in der türkischen Gesellschaft über starken Einfluss und verfolgt das Ziel, die Gesellschaft in ihrem Sinne zu prägen. Dazu sagte die Journalistin und Islamismus-Expertin Claudia Damsche im Januar 2014 im Deutschlandradio Kultur:
"Ob sie eine gefährliche Sekte ist, das muss man schauen. Ein harmloses Bildungsnetzwerk ist es nicht. Die Gülen-Bewegung ist eine weltweite, sehr konspirativ arbeitende Bewegung. Sie ist in der Lage, durchaus Gesellschaften zu transformieren, (...). Sie sind eine türkische Bewegung, eine religiöse Bewegung.
(...) Die Gülen-Bewegung hat nichts mit Gewalt und Terror zu tun, das ist ganz, ganz wichtig.
(..) Die Gülen-Bewegung ist angetreten über Bildung, letztendlich, man sagt, so eine Art 'Islamisierung in Form von Religiösierung von unten'. Das heißt, sie haben ein bestimmtes Gesellschaftsideal, was sie über Erziehung und Bildung transportieren. Dadurch, dass sie Leute ausbilden zu qualifizierten Personen und sie auch auffordern, in Staat und Gesellschaft, in die Machtinstitutionen zu gehen, hat das natürlich von außen diesen Anschein von Unterwanderung."

Warum der Putsch scheiterte

Nach Informationen des ARD-Korrespondenten Reinhard Baumgarten scheiterte der Militärputsch in Istanbul, weil der Geheimdienst davon erfahren hatte und auch weil die Militärführung nicht geschlossen hinter dem Umsturz stand.
Der Putsch habe eigentlich in den frühen Morgenstunden am Samstag stattfinden sollen. Präsident Erdogan sollte von seinem Urlaubshotel in Marmaris abgeholt und in Gewahrsam genommen werden. Weil der Geheimdienst aber Erdogan bereits am frühen Freitagnachmittag informiert hatte, schlugen die Putschisten bereits am Abend zu.
Das vorzeitige Losschlagen habe zu großen Ausfällen und Fehlern beider Umsetzung geführt, meinte Baumgarten und zitierte einen türkischen Journalisten der Zeitung Milliyet:
"Mit 10 Panzern, 1000 Soldaten, 6 Kampfflugzeugen und 2 Hubschraubern kann man keinen Putsch machen."
Erdogan wurde nicht festgenommen, es wurde keine Kontrolle über die Fernsehkanäle und keine dauerhafte Präsenz an strategisch wichtigen Punkten erreicht.
Der Putschversuch kostete nach offiziellen Angaben 265 Menschen das Leben, darunter 104 Putschisten.

Hören Sie auch zum Thema das Interview mit unserem Hauptstadt-Korrespondenten Klaus Remme:
"Die Türkei bleibt ein wichtiger, aber auch ein schwieriger Partner."
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