Vergessenes Komikergenie

Von Michael Laages · 04.03.2010
Unter Komikerkollegen wird er verehrt, vom Publikum ist er jedoch so gut wie vergessen: Heino Jaeger. Jaeger wurde durch satirische Sendungen im Radio bekannt, in denen er brillant bestimmte Klischeetypen parodierte und imitierte. Mit einer Revue erinnerte jetzt der Komiker Olli Dittrich in Hamburg an Jaeger.
Ein Lebenslauf ist das, so dramatisch und abenteuerlich wie nicht viele sonst: Heino Jaeger, geboren am Neujahrstag des Jahres 1938 in Harburg auf Hamburgs anderer Elbseite, aufgewachsen in Dresden, dort ausgebombt in der tödlichen Nacht des 13. Februar 1945, später Kunstschule in Hamburg und Broterwerb in der Brotfabrik und als Nachtschaffner; im Landesmuseum von Schleswig zeichnet er archäologische Scherbenfunde; und bis er es 1983 selber in Brand steckt, ist Jaegers Maler-Atelier in Hamburg-Altona eine Müllhalde voll von Fundstücken eines manischen Sammlers von allem und jedem.

Der legendäre Hanns-Dieter Hüsch entdeckt Jaeger bei einem Auftritt im Basler "Fauteuil", den Jaegers lebenslanger Freund, der Grafiker Jürgen von Tomei, organisiert hat; als Geschichtenerzähler und Rollenspieler lädt Hüsch in der Folgezeit diesen einzigartigen Sonderling Mitte der 70er-Jahre gelegentlich ein zu den Radioshows, den "Gesellschaftsabenden", die Hüsch beim Saarländischen Rundfunk bestreitet. So, und später beim NDR, haben viele, wenn nicht die meisten (der Autor inklusive) Heino Jaeger kennengelernt: als Radio-Phänomen, als stimmliches Chamäleon, der die verschiedensten Figuren seiner kruden Szenen selber mit gesprochenem Leben ausstatten konnte; Live-Auftritte waren wahr.

Insofern ist die Hommage des Musikers, Schauspielers und Fernsehstars Olli Dittrich durchaus auch eine Art Neuentdeckung – denn wer die Augen schließt, hört vermeintlich den originalen Jaeger-Ton (in den legendären Lebensberatungstelefonaten mit "Doktor Jaeger" oder in Klassikern wie Jaegers völlig abgedrehter Reportage vom Einzug der Nationen, inspiriert vermutlich von Olympia 1972 in München); doch Dittrich steigert die Intensität der Jaeger-Wirkung noch dadurch, dass er die Pointen genauer, konzentrierter erarbeitet. Ansonsten ist Dittrichs Hommage vor allem eine Lesung, ergänzt um Passagen aus der Jaeger-Biografie von und mit Joska Pintschovius sowie zwei kleine Film-Sequenzen, die ein knappes Bild geben vom Phantom namens Jaeger.

Der war, neben allem anderen Außergewöhnlichen, auch noch ein 70er-Jahre-Hippie wie aus dem Bilderbuch: mit Koteletten bis unters Kinn und wildem Kraushaar-Wuschelkopf. Als Maler aber erfand er Landschaften wie Ende des 19. Jahrhunderts, und zugleich spielte er ziemlich provokativ mit Ikonenmaterial aus der NS-Zeit.

Vor allem aber hat er lebenslang den einfachen Leuten zugehört, wo immer er sie traf, und er hat sie gnadenlos "nachgemacht". Nicht parodiert – imitiert! Ganze Generationen von Kabarettisten heute leben von dieser speziellen Nachahmungsmethode, die als erster Heino Jaeger anwendete.

Jaeger starb 1997 im Dementenheim in Bad Oldesloe, und nur unter Schwierigkeiten gelang es Pintschovius, Jaegers Freund seit Schleswig und Vormund in den letzten Jahren, Geld für die Beerdigung aufzutreiben.

Eine der letzten Jaeger-Geschichten, wie sie Jaegers Mitentdecker Jürgen von Tomei in Basel erzählt, geht so: Jaegers Arzt betritt das Zimmer in Oldesloe, und ansatzlos beginnt Jaeger in völliger geistiger Klarheit eben diesen Arzt zu imitieren – der Patient auf Visite beim Arzt. Wie das geht? Fragen Sie Doktor Jaeger ...

Zum Glück hat der kleine Verlag "Kein & Aber" das Fundament gelegt für eine mögliche Jaeger-Renaissance – mit der Werk-Ausgabe in Buchform, herausgegeben von Pintschovius und dem profunden Jaeger-Forscher Christian Meurer, und inzwischen einer Handvoll CDs. Dittrich macht großen Appetit darauf, diesen sehr besonderen Außenseiter ganz neu und von vorn zu erkunden: Heino Jaeger lebt.