Vergangenheitsbewältigung in Polen

PiS-Partei verlangt patriotisches Geschichtsbild

Denkmal des Warschauer Aufstands am Krasinski Platz in Warschau am 04.07.14. Hier befand sich zur Zeit des Aufstands ein Einstiegsschacht in einen Kanal, durch den die Menschen vor den Deutschen flohen.
Denkmal des Warschauer Aufstands am Krasinski Platz in Warschau am 04.07.14. Hier befand sich zur Zeit des Aufstands ein Einstiegsschacht in einen Kanal, durch den die Menschen vor den Deutschen flohen. © imago stock&people
Von Florian Kellermann · 07.08.2016
Das "Instituts für das nationale Gedächtnis" in Polen hat Jaroslaw Szarek zu ihrem neuen Chef berufen. Die Personalie ist brisant: Szarek möchte ein positives Geschichtsbild etablieren - es geht vor allem um die Zeit des Zweiten Weltkrieges.
Die konservative polnische Presse feierte Jaroslaw Szarek, nachdem ihn der Parlamentsausschuss für Justiz und Menschenrechte befragt hatte. Drei Kandidaten hatten sich für den hohen Posten beworben. Jaroslaw Szarek zeigte am klarsten, dass er voll auf der Linie der rechtskonservativen Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit", kurz PiS, liegt. Auf die Frage, wie er das sogenannte Massaker von Jedwabne einordne, erklärte er:
"Diese Verbrechen haben Deutsche verübt, die dafür eine Gruppe von Polen benutzten, sie zwangen, Teil ihrer Terrormaschinerie zu werden. Die volle Verantwortung für dieses Verbrechen liegt beim deutschen totalitären System."
Die meisten polnische Historiker zeichnen ein wesentlich differenzierteres Bild von dem, was 1941 im Dorf Jedwabne geschah. Die polnischen Dorfbewohner trieben ihre jüdischen Mitbürger in eine Scheune, sperrten sie dort ein und legten Feuer. Etwa 340 Menschen starben. Angehörige der deutschen Besatzer waren anwesend, einige Historiker gehen davon aus, dass sie die polnische Bevölkerung angestiftet hatten. Belege für einen Zwang gibt es jedoch nicht.

Anderer Blick auf die polnische Geschichte gefordert

Verschiedene polnische Regierungen und Präsidenten erkannten die Mitverantwortung der polnischen Dorfbevölkerung an und entschuldigten sich. Die PiS-Regierung will einen anderen Blick auf die polnische Geschichte. Ministerpräsidentin Beata Szydlo hatte das in ihrer Regierungserklärung angekündigt:
"Wir müssen den polnischen Staat wieder zum Gegenstand unseres Stolz machen. Das betrifft unsere Kultur- und unsere Bildungspolitik. Sie muss den Patriotismus fördern. Schämen wir uns nicht, ein Ethos der polnischen Helden zu entwickeln, ihrer sollten wir immer gedenken."
Über Helden also, nicht über Verbrecher sollen polnische Historiker vor allem forschen. Jaroslaw Szarek ist inzwischen zum Chef des mächtigen IPN berufen worden, des "Instituts für das nationale Gedächtnis". Der 53-jährige Historiker begann seine Amtszeit konsequent: Er entließ sofort den Historiker Krzysztof Persak. Persak ist Co-Autor einer Sammlung von Dokumenten über das Jedwabne-Massaker und wirkte an einem Spielfilm mit, der die Ereignisse verarbeitet.
Rafal Grupinski, Abgeordneter der rechtsliberalen Oppositionspartei "Bürgerplattform", sagte den PiS-Abgeordneten im Parlament:
"Sie wollen in Polen wohl einen dauerhaften Krieg gegen die historische Wahrheit führen. Mit seiner Aussage über Jedwabne hat Herr Szarek den langjährigen Nachforschungen des IPN widersprochen. Wegen nationaler Interessen stellt er die Aussagen von 111 Zeugen in Frage. Der nächste Schritt ist dann wohl, dass Sie die Bücher verbrennen, in denen unangenehme Dinge über die polnische Geschichte stehen."
Dass er ein positives Geschichtsbild pflegen will, bekräftigte Jaroslaw Szarek mit der Ernennung seines Stellvertreters: Mateusz Szpytma hatte ein Museum im Dorf Markowa aufgebaut. Es ist einer polnischen Familie gewidmet, die im Zweiten Weltkrieg Juden versteckte, um sie vor der Vernichtung zu retten.

Das Holocaust-Museum in Washington ist beunruhigt

Die Versuche der PiS, das polnische Geschichtsbild zu ändern, stoßen nicht nur im Land auf Kritik. Das erfuhr Bildungsministerin Anna Zalewska. Auch sie hatte sich ähnlich wie Szarek zu den Ereignissen in Jedwabne geäußert. Dagegen protestierten jüdische Organisationen auch aus den USA. Das Holocaust-Museum in Washington zeigte sich beunruhigt.
Außenminister Witold Waszczykowski beschwichtigte: Er werde den Organisationen in den USA "geduldig erklären", dass sie die Aussagen der Ministerin nur falsch verstanden hätten.
Das IPN war schon bisher eine wichtige historische Behörde. Die PiS-Regierung will ihm noch mehr Bedeutung geben. Sie hat ein neues Gesetz beschlossen, wonach es sich künftig auch mit der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg befassen soll. Der IPN-Vorsitzende Szarek will sogar über historische Forschung hinausgehen:
"Die Geschichte ist ein wichtiger Teil unserer Identität. Ich will Gespräche mit Vertretern des Kulturbetriebs aufnehmen, mit jungen Regisseuren, jungen Dichtern. Ich weiß, die ältere Künstlergeneration und einige Junge haben eine Richtung gewählt, die ich als 'Flucht vor Polen' bezeichnen würde. Aber ein großer Teil der jungen Künstler will sich mit Polen identifizieren."
Und "identifizieren" - das heißt für Szarek und für die Regierungspartei PiS: sich als polnischer Patriot zu fühlen.
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