Vereint und doch getrennt

Von Tobias Mayer · 22.05.2010
1990 wurde aus dem lange geteilten Deutschland wieder ein Staat. Im selben Jahr beschlossen auch die Regierungen der Arabischen Republik Jemen und der Demokratischen Volksrepublik Jemen, sich nach Jahrzehnten der politischen Teilung wieder zu vereinen.
"Wir freuen uns zwar, dass die deutsche und die jemenitische Einigung zur gleichen Zeit kamen. Beide Völker haben unter der Teilung gelitten, Deutschland und der Jemen. Aber die Teilung Deutschlands war viel umfassender als die des Jemen. Die Deutschen hatten die Berliner Mauer und all die Probleme, die damit zusammenhingen. Die Teilung des Jemen war lange nicht so schwerwiegend."

Muhammad Jafar az-Zain, der ehemalige Rektor der Universität Aden, war kurz nach dem Zusammenschluss von Nord- und Südjemen am 22. Mai 1990 noch optimistisch. Doch sollte der Prozess der Vereinigung zur Zerreißprobe werden. Bis heute sind die beiden Teile des Jemen nicht zusammengewachsen, auch weil sich die jemenitischen Stämme nur schwer in ein demokratisches System der Gewaltenteilung einfügen lassen.

"Alle Stämme im Jemen sind bewaffnet. Schon immer trugen die Stämme Waffen. Und das werden sie auch in Zukunft tun. Niemand kann uns verbieten, Waffen zu tragen. Das ist eine Selbstverständlichkeit."

Abdallah al-Ahmar war bis zu seinem Tod 2007 einer der einflussreichsten Stammesführer im Jemen.

1839 besetzten die Briten das kleine verschlafene Hafenstädtchen Aden an der Südküste. Sie sicherten damit ihren Seeweg nach Indien. Das jemenitische Hinterland ließen sie unbeachtet. Hier regierten seit Jahrhunderten lokale Sultane. Im Nordteil des Jemen entstand 1911 ein Königreich, an der Spitze die Imame der sogenannten Zaiditen, einer schiitischen Untergruppe. Der Jemen war faktisch geteilt. Doch wer auch immer in Aden oder Sanaa das politische Sagen hatte, die Stammesstrukturen in den kaum zugänglichen Regionen blieben erhalten.

Das Land war politisch zersplittert, doch in der Bevölkerung hinterließ dies kaum Spuren. Hussein al-Amri, Professor für Geschichte an der Universität Sanaa.

"Die Jemeniten sehen keinen Unterschied in ihrer Identität. Sie sehen sich als Araber oder Muslime. Während der ganzen Zeit, bis zur Unabhängigkeit, mehr als 125 Jahre lang, gab es keinen Unterschied zwischen Norden und Süden, ich meine: keine unterschiedliche Mentalität zwischen Norden und Süden."

Nach dem Sturz der Zaiditen wurde im Norden 1962 die Arabische Republik Jemen gegründet. Und nach dem Abzug der Briten aus Aden 1967 erlangte auch der Südjemen die Unabhängigkeit und hielt sich eng an den sozialistischen Ostblock. Die unterschiedlichen staatlichen Systeme der beiden Landesteile des Jemen machten im Kalten Krieg eine politische Annäherung unmöglich. Letztlich war es die wirtschaftliche Not, die Nord- und Südjemen zusammenbrachte. Der Süden sah sich Ende der 80er-Jahre der Unterstützung der DDR und der Sowjetunion beraubt. Der Norden strebte politische Stabilität an, um Ölvorkommen erschließen zu können, die im Grenzgebiet vermutet wurden.

Am 22. Mai 1990 verkündeten die Führer beider Landesteile die Republik Jemen. Gemeinsame Hauptstadt wurde Sanaa im Norden, gemeinsamer Präsident ist bis heute Ali Abdallah Salih. Hussein al-Amri sagte damals:

"Demokratie im Jemen zu praktizieren, ist mit vielen Schwierigkeiten verbunden. Dies ist eine zweite Revolution im Jemen, eine demokratische Revolution. Wir hoffen, dass wir durch demokratische Wahlen weiterkommen, wenn auch nur Schritt für Schritt. Das ist der einzige Weg zu Demokratie und Frieden."

Frieden und Stabilität erlangte der Jemen nicht. Während Deutschland die Wiedervereinigung meisterte, schlitterte der Jemen 1994 in einen Bürgerkrieg. Seitdem dominiert der siegreiche Norden Politik und Wirtschaft im Jemen. Während er die Einnahmen aus der Ölförderung einstreicht, wird der arme Süden systematisch kurz gehalten. So ist es nicht verwunderlich, dass immer mehr Menschen in den südlichen Landesteilen offen für die neuerliche Abspaltung vom Norden demonstrieren.

Der Jemen ist formell eine Demokratie, eine islamische Präsidialrepublik, doch der Arm des Staates reicht nicht in alle Landesteile. In den Provinzen herrschen nach wie vor die Stämme, die immer wieder durch Entführungen von sich reden machen. Auch islamistische Kämpfer finden dort zunehmend Unterschlupf.