Verachtung am Morgen

Von Mely Kiyak · 16.08.2011
In den Kommentar-Foren der Online-Medien überwiegen jene Meinungen, in denen Leser diskriminierend und vulgär über Muslime schreiben. Zeitungen sollten sich mit der Idee vertraut machen, ihren Lesern kein Forum für Islamfeindlichkeit zu bieten, meint Mely Kiyak.
Seit dem Attentat des Rechtsradikalen Anders Breivik aus Norwegen ist ein innerpublizistischer Streit entfacht. Journalisten klagen an. Bestimmte Kollegen würden Stereotype gegenüber Muslimen nicht etwa durch Recherche und Studium der Materie, wie im Qualitätsjournalismus sonst üblich, entkräften, sondern muslimische Mitbürger zu Unrecht als islamistisch-ideologische Problemgruppe stigmatisieren.

Der Vorwurf ist nicht ganz neu. Eine Reihe Sachbücher ist zu diesem Thema bereits erschienen: Kay Sokolowskys "Feindbild Moslem" oder "Die Panikmacher, die deutsche Angst vor dem Islam" von Patrick Bahners und auch "Islamfeindlichkeit - wenn die Grenzen der Kritik verschwimmen" herausgegeben von Thorsten Gerald Schneiders. Sie dokumentieren Erscheinungsformen der sogenannten Islamkritik und setzen sich kritisch damit auseinander.

Das ist die eine Ebene, die derzeit in den Medien behandelt wird und die Frage beantworten will: Ist es möglich, dass polemische bis antimuslimische Meinungsbeiträge von Journalisten für die wachsende Feindlichkeit gegenüber Muslimen verantwortlich gemacht werden können?

Ein Blick in die Leserkommentare der Zeitungen hilft vielleicht bei der Suche nach Ursache und Wirkung. Sobald ein Artikel das Thema Integrationspolitik oder Islam streift, sammeln sich innerhalb kürzester Zeit 100, 200 manchmal bis zu 500 Kommentare von eifrigen Lesern, wo andere Artikel, die sich mit dem Länderfinanzausgleich beschäftigen, mit einer Handvoll Kommentaren zu verwaisen drohen.

Meist überwiegen jene Meinungen, in denen Leser in diskriminierender und vulgärer Art über Muslime schreiben. Nirgends sonst liest man soviel Diffamierung und unverhohlene Verachtung. Das wirkt außerordentlich grotesk - gerade nach Oslo. Da wird nach möglicher Einflussnahme der Gesellschaft durch Medien gefragt und unmittelbar darunter meldet sich eben jene Gesellschaft zu Wort und äußert sich diskriminierend.

Wir leben unbestritten in einem Land, in dem zunehmend Verachtung gegenüber Menschen aus dem islamischen Kulturkreis herrscht. Es handelt sich hierbei nicht um einige wenige Rechtsextremisten. Laut einer Studie der Friedrich Ebert Stiftung stimmt fast jeder vierte Befragte aus Westdeutschland ausländerfeindlichen Aussagen zu. In Ostdeutschland sogar jeder zweite. Ein Drittel der Befragten einer Untersuchung der Uni Leipzig findet, dass Deutschland ohne Muslime besser wäre.

Was bedeutet es, wenn es alltäglich geworden ist, seine rassistische Gesinnung flugs nach der morgendlichen Online-Zeitungslektüre im Kommentarbereich zu hinterlassen und dann zur Arbeit zu gehen? Dieser Frage sollten sich Zeitungen stellen.

Kommentarbereiche geben ein Spiegelbild der Leserschaft ab. Zuweilen werden Ressentiments von moderierenden Redaktionen als auch von Lesern als legitime Islamkritik verstanden. Der Begriff der Islamkritik ist dabei etwas unglücklich. Die Kritiker sind zumeist gar nicht im Stande, eine theologisch fundierte Debatte zu führen, da ihnen das religiöse Basiswissen über den Islam fehlt.

Nur: wie soll man dem Verfasser eines Leserkommentars verübeln, was sich mancher Journalist ebenfalls gestattet? Die Grenze zwischen Meinungsfreiheit und falscher Tatsachenbehauptung ist dabei nicht hauchdünn, sondern klar definiert. Der seriöse Qualitätsjournalismus sollte dieselben Kriterien sowohl für Kommentare der Redaktion als auch der Leser anwenden.

Notfalls müssen sich Zeitungen mit der Idee vertraut machen, ihren Lesern kein Forum für Islamfeindlichkeit zu bieten und damit möglicherweise auf Teile ihrer Leserschaft verzichten. Zeitungen können sich nicht gleichzeitig über Islamhetze in rechten Blogs und Foren empören und ihren Lesern Möglichkeiten zur Verbreitung ihrer anti-muslimischen Gesinnung bieten. Darüber müssen wir in den Medien unbedingt weiter reden – über die Ausweitung der Toleranzzone, die unsere Gesprächskultur zu vergiften droht.

Mely Kiyak, geboren 1976, lebt als Publizistin in Berlin. Ihre Texte erscheinen in der ZEIT, Welt und taz. Sie ist politische Kolumnistin der Frankfurter Rundschau und der Berliner Zeitung. Mely Kiyak ist Absolventin des Deutschen Literaturinstituts Leipzig, hat in zahlreichen Anthologien veröffentlicht und Sachbücher zum Thema Integration und Migration geschrieben. Zuletzt erschienen: "10 für Deutschland. Gespräche mit türkeistämmigen Abgeordneten" (Edition Körber-Stiftung 2007). Im September erscheint von ihr "Ein Garten liegt verschwiegen. Von Nonnen und Beeten, Natur und Klausur" (Hoffmann und Campe, Hamburg).
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