Ver.di: Binnennachfrage durch Lohnerhöhungen ankurbeln

Frank Bsirske im Gespräch mit Gabi Wuttke · 13.01.2010
Der Vorsitzende der Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, Frank Bsirske, hat zu Beginn der Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst dessen Bedeutung für die Ankurbelung der Binnennachfrage hervorgehoben.
Gabi Wuttke: Die Lohnentwicklungsbäume wachsen nicht in den Himmel. Das hat vor vier Monaten der Chef von ver.di gesagt. Mit genau diesem Bild lehnt Bundesinnenminister de Maizière die Forderung der Dienstleistungsgewerkschaft nun ab, die ein Paket will, das auch für die Angestellten von Bund und Kommunen einer Gehaltserhöhung von 5 Prozent entspricht. Bevor die neue Tarifrunde heute in Potsdam eröffnet wird, ist ver.di-Chef Frank Bsirske am Telefon: Guten Morgen!

Frank Bsirske: Schönen guten Morgen, Frau Wuttke!

Wuttke: Warum sind der Bundesinnenminister und Sie nicht mehr einer Meinung?

Bsirske: Ich glaube, dass wir sehr unterschiedliche Vorstellungen davon haben, was mit Himmel gemeint ist.

Wuttke: Das ist erläuterungsbedürftig.

Bsirske: Na ja, der Himmel der Tarifbäume beginnt aus meiner Sicht nun wahrhaftig nicht bei 5 Prozent, und das schon gar nicht in einer Situation, wo die Regierung, der der Bundesinnenminister angehört, offensichtlich Milliardenbeträge genug hat, um sie an Hoteliers und reiche Erben zu verschenken, die nichts Besseres zu tun haben, wie der Hotelverband, anschließend zu erklären, dass sie nicht vorhätten, dass in den Preisen an die Kunden weiterzugeben. Wachstumsbeschleunigung sieht anders aus.

Wuttke: Sie wollen mit der Gesamtforderung von 5 Prozent ja diesem Wachstumsbeschleunigungsgesetz ausgleichend etwas entgegensetzen, aber warum kontern Sie das mit einer Forderung, die genau durch diesen Unsinn nicht mehr bezahlbar ist?

Bsirske: Ich glaube, dass die Bundesregierung und die Arbeitgeber insgesamt in einer volkswirtschaftlichen Verantwortung stehen. Gerade in einer Situation, wo im industriellen Bereich das Thema Beschäftigungssicherung ganz im Vordergrund stehen wird, kommt es drauf an, Impulse für die konjunkturelle Stabilisierung durch die Stärkung der Binnennachfrage zu setzen, und nach Lage der Dinge hat der öffentliche Dienst aber diesmal eine ganz besondere Verantwortung, der muss er gerecht werden. Es ist richtig, Wachstum zu stabilisieren, Wachstum zu beschleunigen, aber das macht man nicht, indem man Hoteliers Milliarden schenkt, sondern indem man die Kaufkraft von zwei Millionen Menschen im öffentlichen Dienst – Krankenschwestern, Kanalbetriebsarbeiter, Feuerwehrleute – stärkt im Wissen darum, dass das, was dort passiert, in der Tat binnennachfragewirksam wird und im Übrigen ja auch gebraucht wird bei den Menschen, bei den Krankenschwestern genauso wie bei vielen, vielen anderen im öffentlichen Dienst. Und das strahlt ja aus dann auf weitere zwei Millionen in Bereichen, die die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes zur Grundlage ihrer Lohnentwicklung machen.

Wuttke: Aber der Versuch, durch erhöhte Gehälter den Binnenmarkt mit anzukurbeln, ist doch nur die eine Seite der Medaille. Die andere, um den Export deutscher Firmen ist es schlecht bestellt, von daher sehen Sie doch nur die eine Seite dieser Medaille, die man auch als eine, nun ja, sagen wir egoistische Perspektive betrachten könnte.

Bsirske: Nun, erst mal haben ja auch die Menschen, die zum Beispiel jetzt in diesem Schneechaos im Norden tagelang praktisch ununterbrochen im Einsatz sind, ein Interesse daran, ihre Lebensbedingungen vernünftig weiterentwickeln zu können. Ich würde das nicht egoistisch nennen. Und die Gesellschaft insgesamt weiß, dass die Hoffnungen in diesem Jahr, was die Stabilisierung der wirtschaftlichen Entwicklung angeht, auf der Binnennachfrage liegen. Dafür muss man etwas tun, das wird nach Lage der Dinge nicht im industriellen Sektor primär passieren, und deswegen müssen wir im öffentlichen Dienst ran. Das gilt für uns, das gilt für Herrn de Maizière und das gilt für die kommunale Seite.

Wuttke: Während andere Gewerkschaften um den Erhalt der Arbeitsplätze kämpfen, sitzen die Angestellten des öffentlichen Dienstes ja in einem ziemlich gut gemachten Nest. Das wissen Sie ganz offensichtlich, denn für Ihre Verhältnisse, Herr Bsirske, klingen Sie unglaublich moderat.

Bsirske: Ich weiß nicht, was daran moderat ist, wenn man sich eindeutig für eine Interessenstärkung der Menschen ausspricht, die nun wahrhaftig nicht in einem gut gemachten Nest sitzen, wenn sie zwei, drei Tage lang auf den Autobahnen versuchen, eingeschneite Autos frei zu kriegen oder wenn sie im Krankenhaus als Krankenschwestern mit Überstunden und, und, und daran arbeiten, die Gesundheit der Bundesbürgerinnen und Bundesbürger zu sichern. Das muss sich doch auf der Seite der Bezahlung auch angemessen abbilden, und das allemal in einer Situation, wo alle wissen, wenn die Krise überwunden sein wird, dann wird die Konkurrenz um qualifizierten Berufsnachwuchs enorm schwierig werden, weil wir auf eine Facharbeiterlücke und Qualifiziertenlücke zusteuern. Und da kommt es drauf an, dass der öffentliche Dienst da nicht abgehängt wird, sondern attraktiv bleibt, und das in einer Situation, wo die Lohnentwicklung in den letzten Jahren – wir reden über das letzte Jahrzehnt – im öffentlichen Dienst gegenüber der in der gesamten Wirtschaft – ich bin jetzt gar nicht bei der Industrie – deutlich zurückgeblieben ist.

Wuttke: Zumindest im Ton klingen Sie weniger kämpferisch, als Sie der Öffentlichkeit so gemeinhin bekannt sind – darauf bezog sich mein Einwurf eben. Heißt dieser Ton, den ich heraushöre, auch, Sie wissen, dass Sie sich tatsächlich aufeinander zu bewegen müssen und dass es nicht geht, dass Sie versuchen, während dieser Tarifverhandlungen, von denen wir noch gar nicht wissen, wie lange sie dauern werden, versuchen können, mit dem Kopf durch die Wand zu gehen?

Bsirske: Ich kann mich offen gesagt nicht daran erinnern, mit dem Kopf schon jemals durch die Wand gegangen zu sein, weil das hätte ich gemerkt.

Wuttke: Stimmt, der ist ja noch dran.

Bsirske: Insofern sehe ich mich da durchaus im Zeichen der Kontinuität. Wir suchen eine Lösung am Verhandlungstisch, das ist überhaupt keine Frage, das werden schwierige Verhandlungen, aber es ist auch völlig klar, dass im Zweifelsfalle die Menschen, um die es da geht – die Feuerwehrleute, die Kanalbetriebsarbeiter, die Müllwerker und die Beschäftigten im sozialen Erziehungsdienst – im Zweifelsfall auch deutlich machen werden und wollen, dass sie hinter den berechtigten Forderungen stehen, die da am Verhandlungstisch in der Diskussion sind. Also ja, wir suchen eine Lösung, wie das bei Tarifverhandlungen der Fall ist, generell, und wir suchen sie miteinander und ich hoffe, es gelingt uns.

Wuttke: Im Interview der "Ortszeit" von Deutschlandradio Kultur Frank Bsirske, der Chef der größten deutschen Gewerkschaft. Heute beginnen die Tarifverhandlungen auch für den öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen. Herr Bsirske, vielen Dank für das Gespräch und einen schönen Tag!

Bsirske: Ich bedanke mich auch, Frau Wuttke, ciao!