Uwe Kolbe: "Psalmen"

Wenn ein Atheist geistliche Gedichte schreibt

Buchcover: Uwe Kolbe "Psalmen"
In seinem "119. Psalm" arbeitet sich Uwe Kolbe strophenweise durchs Alphabet. © unsplash.com/ Buchcover: S. Fischer Verlag
Von Jörg Magenau · 04.08.2017
Der Lyriker Uwe Kolbe versucht in seinem neuen Gedichtband "Psalmen" als Atheist eine religiöse Haltung einzunehmen. Er kann die biblische Wucht aber nicht überbieten. Die alten Gebete sind viel kraftvoller im Lieben und Verzweifeln.
Psalmen sind "Lieder nach alter Art, Gebete". Doch auch wenn Uwe Kolbe seinem neuen Gedichtband den Titel "Psalmen" gegeben hat, sind es eben "keine Lieder geworden" und "wohl auch nicht recht Gebete", wie er im Geleitwort schreibt. Dazu fehle ihm das Gottvertrauen und die Gewissheit der Psalmen des Alten Testaments – aber das ist ja schon falsch, denn auch die sind voller Zweifel und Anfechtungen und wenden sich an einen Gott, der nicht immer zu begreifen ist. Er schickt, Krankheit, Dürre und Not und scheint mit den Feinden zu sein, die ihn doch gar nicht verehren.
Uwe Kolbe ist mit seiner tastenden Unsicherheit den biblischen Sängern deshalb sogar noch näher, als er denkt, wenn er als "Ketzer" oder als "Heide" oder auch bloß aus irdischer Liebeserschöpftheit heraus zu beten beginnt. Es sind Versuche, aus der säkularen Welt heraus wieder Anschluss zu finden an eine religiöse Haltung, wobei es interessanterweise oft gar keinen großen Unterschied macht, ob ein Liebeslied sich an die Geliebte oder an Gott wendet. "Lass nur den Weg mich, der noch bleibt, an deiner Hand zu Ende gehen." Wer würde da nicht mitlieben und mitgehen wollen?

Das biblische Meer und die Flüchtlingsproblematik

Die Psalmen, die so entstehen, gehen teilweise ganz direkt aus den biblischen Originalen hervor, fast so, als wären sie lediglich Neuübersetzungen oder Interpretationsangebote. Dann haben sie auch bei Kolbe schlichte Titel wie "Der 1. Psalm" oder "Der 38. Psalm". Andere sind frei assoziierend und lösen sich von ihrem Ausgangspunkt, wenn etwa plötzlich ein "Küstenschutzboot" und damit die Flüchtlingsproblematik auftaucht, in der auch das biblische Meer und das Wasser eine andere Bedeutung annehmen. Am besten liest man neben Kolbes Texten deshalb die jeweiligen Psalmen der Bibel. Dann aber wird deutlich, dass die alten Gebete viel kraftvoller sind im Lieben und Verzweifeln. Die biblische Wucht ist nicht zu überbieten.
Als Lyriker weiß Kolbe, dass sich zwischen den Worten und Zeilen der Gedichte ein Schweigen einnistet, in dem etwas nur als Verschweigen gesagt werden kann. Früher hätte er das als "poetischen Raum" bezeichnet, jetzt, in den Psalmen, ist es die Stelle, an der "Gott" entstehen könnte. Das Bedürfnis, zu lobpreisen und die Schönheit der Welt zu besingen, ist immer da. Doch es ist spürbar, dass die Worte dafür nicht ausreichen. Dass seine Psalmen nicht da hinreichen, wo er hin will, spürt auch Kolbe selbst. Das Bewusstsein des Ungenügens könnte ein guter Ausgangspunkt der Poesie sein, doch Kolbe kokettiert ein wenig zu sehr damit. "Ich wüsste gern ein oder aus, doch kommen nur Buchstaben", schreibt er, und in einem anderen Gedicht: "unter der Hand war mein Buch ein langes Register". Das bewahrheitet sich auf eher ungute Weise in "Der 119. Psalm", wo er sich strophenweise durchs Alphabet arbeitet. Das hat die Lyrikerin Inger Christensen schon sehr viel besser und sinnlich konkreter gekonnt.

Schneeblind durchs "Gestöber der Jahre"

Am stärksten sind die einfachen, knappen Gebete, wenn Kolbes lyrisches Ich diagnostiziert, einst wie schneeblind durchs "Gestöber der Jahre" geirrt zu sein. Gelegentlich wagt er sich zum Reim vor, doch auch da fehlt die letzte Entschlossenheit. Wo es choralhaft zugeht, ist der dichtende Theologe Christian Lehnart eindeutig vorzuziehen. Bei Kolbe ist immerhin "Ein Tanz Moses" möglich. Der geht so: "Über und über besudelt von Zeit, / bin ich zu altern, zu sterben bereit / bei dir, mit dir im Tanz, Gegenwart / spür deine führende Hand hart." Also muss auch Mose – oder vielmehr die Sprache selbst –am Ende aus dem Tritt geraten. Kolbes "Psalmen" ist nicht nur ein Schweigen eingeschrieben, sondern auch dieses Stolpern als Sollbruchstelle. Doch der "poetische Raum" bleibt stumm. Gott zeigt sich auch in den Zwischenräumen nicht.

Uwe Kolbe: Psalmen
S. Fischer, Frankfurt/Main 2017,
76 Seiten, 16 Euro

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