US-Politologe Jason Brennan

"Wähler wissen oft nicht, was gut für sie ist"

Wählerin in einem Wahllkokal
Wählerin in einem Wahllkokal © picture alliance / dpa / Bernd Wüstneck
Moderation: Dieter Kassel · 07.04.2017
Demokratie sei die Herrschaft der schlecht oder gar nicht Informierten, kritisiert der US-Politologe Jason Brennan. Er fordert, ein volles Wahlrecht nur noch den Gebildeten zukommen zu lassen. Auch wenn das bevormundend sei.
"Gegen Demokratie" heißt das neue Buch des US-Philosophen und Politikwissenschaftlers Jason Brennan. Darin fordert er nicht weniger, als die Demokratie abzuschaffen und ein volles Wahlrecht nur noch den Gebildeten, Wissenden und Informierten zuzugestehen.
"Wähler wissen einfach oft nicht, was wirklich gut für sie ist und ob ihre Wählerstimme wirklich ihren eigenen Interessen dient", sagte Brennan im Deutschlandradio Kultur. Zum Beispiel die Trump-Wähler: "Denen ist wahrscheinlich noch überhaupt nicht bewusst, dass sie sich letztlich in die eigenen Füße geschossen haben."
Bei den Durchschnittswählern konstatiert Brennan außerdem einen eklatanten Mangel an Wissen: "Ihnen fehlen oft einfach die Fakten, sie haben auch keine Ahnung, was Sozialwissenschaften angeht." Das sei etwa bei den Brexit-Befürwortern deutlich geworden. Diese hätten sich bei ihrer Einschätzung der Zahl der Einwanderer um den Faktor sechs geirrt, bei den Kosten für Wohlfahrtsprogramme gar um den Faktor 400. "Die Remain-Wähler, also die, die in der EU bleiben wollten, haben sich zwar auch geirrt bei gewissen Fakten, aber da war diese Fehlerdiagnose einfach nicht so hoch. Das heißt, sie waren einfach besser informiert."

Unterschiedlich gewichtete Stimmen als Ausweg?

Entsprechend plädiert der Wissenschaftler dafür, nur noch denen ein volles Wahlrecht zuzugestehen, die vorher einen Wissenstest absolviert hätten. Die anderen dürften dann entweder gar nicht mehr wählen oder ihre Stimme würde niedriger gewichtet als die eines Wählers mit höherem Wissen.
"Es geht um einen kulturellen Wandel, den wir wirklich einfordern sollten", betonte Brennan. "Bisher ist es so, jeder hat das Recht zu wählen, das ist eine Art moralische Verpflichtung, aber keiner fragt, wie informiert der Wähler eigentlich ist." Der Wähler wird nicht in irgendeiner Form dazu gebracht, sich auch mal über die Gegenseite zu informieren, über die Argumente der Gegenseite. Und das ist eigentlich sehr seltsam."
Dass diese Herrschaft der Wissenden gegenüber den Unwissenden bevormundend sei, gesteht Brennan zu: "Ja, und das halte ich durchaus für richtig."

Jason Brennan: "Gegen Demokratie. Warum wir die Politik nicht den Unvernünftigen überlassen dürfen"
Aus dem Amerikanischen von Stephan Gebauer
Ullstein-Verlag, Berlin 2017,
464 Seiten, 24 Euro


Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Jason Brennan ist Professor für Wirtschaft, Politik und Soziologie an der Georgetown-Universität in den USA. Und er hat ein Buch geschrieben mit dem Titel "Gegen Demokratie", in dem er sich für die Epistokratie ausspricht, also die Herrschaft der Wissenden. Ich habe ihn deshalb gefragt, was denn wäre, wenn er den Eindruck hätte, ich wäre einer der Unwissenden, einer der eher Doofen, ob er mir dann tatsächlich mein Recht zu Wählen einfach wegnehmen würde.
Jason Brennan: Ich würde Ihnen auf jeden Fall ein wenig von der Macht nehmen, die Sie über andere Menschen ausüben mit Ihrem Wahlrecht. Ob ich Ihnen Ihr Wahlrecht nun ganz wegnehme oder anderen Menschen, die einfach ein höheres Wissen besitzen, mehr Wahlrechte einräume, das wäre hier die Frage.

Hobbits, Hooligans und Vulkanier

Kassel: Wenn das so wäre, wie ich beschrieben habe, wenn ich also schlecht ausgebildet wäre, vieles nicht wissen würde, dann wäre ich in Ihren Augen ein Hobbit. Das ist eine von drei Kategorien, die Sie in Ihrem Buch aufstellen, die anderen beiden sind Hooligans und Vulkanier. Vielleicht können Sie das mal erklären?
Brennan: Wenn Sie die Bücher "Herr der Ringe" oder auch die Filme gesehen haben, dann wissen Sie: Die Hobbits interessieren sich nicht wirklich für die andere Welt, sie möchten in Ruhe frühstücken, vielleicht noch zum zweiten Mal frühstücken. Und der Bürger, analog zu diesen Hobbits wäre das ein politisch indifferenter Bürger, dem Politik eigentlich relativ egal ist, und das wäre im Prinzip auch so der klassische Nichtwähler.
Dann haben wir die Hooligans, die sind wie Fußballfans, sehr fanatisiert, schon durchaus informiert in gewisser Hinsicht, aber sie haben eine Art und Weise, alles sehr einseitig zu sehen. Ein Schiedsrichterpfiff ist immer dann gut, wenn er das eigene Team bevorteilt, und ist natürlich dann immer falsch, wenn er gegen das eigene Team geht.
Das heißt, wenn man das wieder analog zu einem Wähler sieht, sind das durchaus informierte Wähler, die jedoch nur einen Teil ihres Wissens benutzen, um letztendlich nur das zu tun, an was sie glauben. Also, in dem Sinne wären dann Hooligans eben durchaus informierte Wähler, die jedoch alles nur wie in Stammesritualen, die nur den eigenen Stamm bevorzugen und auch nicht darüber hinausblicken können.

Das Gewicht der Stimme hängt vom Wissen ab

Kassel: Das ist das Problem: Es gibt entweder gar keine Vulkanier oder zumindest nur sehr wenige. Das würde aber bedeuten, wenn im Grunde genommen nur die Vulkanier wählen dürfen, dann dürfen auch wie viele Menschen noch wählen, zwei, drei Prozent?
Brennan: Das Problem besteht einfach darin, dass es von diesen Vulkaniern einfach zu wenig gibt. Und dann könnte man sagen, wenn wir jetzt von einer repräsentativen Form des Regierens ausgehen, dann könnte ich mir einfach Systeme vorstellen, die einfach besser funktionieren. Das wären dann vielleicht nur 20 oder 25 Prozent der Wähler, die aber einfach über besseres Wissen verfügen, die gebildeter sind. Man kann sich natürlich auch ein System vorstellen, dass durchaus noch alle wählen dürfen, aber dass die Wählerstimmen unterschiedlich gewichtet werden, je nachdem, wie viel Wissen man sich angeeignet hat.
Kassel: Sie sagen auch in Ihrem Buch, dass es selbst für die Menschen, die eventuell dann nicht mehr wählen könnten, am Ende besser wäre, dass Entscheidungen getroffen werden würden, die auch diesen Menschen mehr helfen, als das jetzt der Fall ist. Auch wenn das – und Sie erklären das wirklich so, dass man das glaubt – nicht arrogant ist, es ist doch zumindest dann sehr, sehr bevormundend?
Brennan: Ja, und das halte ich durchaus für richtig. Denn Wähler wissen einfach oft nicht, was wirklich gut für sie ist und ob ihre Wählerstimme wirklich ihren eigenen Interessen dient. Weil sie gar nicht wissen, ob die Politiker das auch wirklich umsetzen, für was sie gewählt haben, oder das nicht in gewisser Weise sogar unterminieren. Ihnen fehlen oft einfach die Fakten, sie haben auch keine Ahnung, was Sozialwissenschaften angeht. Und da ist einfach ein eklatanter Mangel an Wissen beim Durchschnittswähler vorhanden und er weiß einfach nicht genug, damit seine Stimme wirklich das entscheidende Gewicht bekommt.

Brexit-Votum: "Remain"-Befürworter wissen mehr

Und dann kommt eben noch hinzu, dass in den normalen Demokratien, von diesen westlichen Demokratien, von denen wir hier reden, der Durchschnittswähler oft sehr falsch informiert ist. Er hat eine ganz falsche Vorstellung davon beispielsweise, wie hoch die Kriminalitätsrate ist, wie viele Migranten, Einwanderer wirklich in seinem Land leben. Und um auf die Trump-Wähler zurückzukommen: Denen ist wahrscheinlich noch überhaupt nicht bewusst, dass sie sich letztendlich in die eigenen Füße geschossen haben.
Kassel: Ich nehme das Stichwort gerne auf, jetzt ist endlich der Name Donald Trump gefallen. Aber wenn Sie zum Beispiel wie viele andere ihn oder in Europa auch so eine Entscheidung wie die für den Brexit in Großbritannien auch zum Anlass nehmen, sich Gedanken zu machen über eine Alternative zur Demokratie, muss man nicht feststellen… Sie sagen dann, offenbar haben viele Wähler falsch gewählt. Aber ist nicht die Wahrheit: Sie haben einfach nur nicht so gewählt, wie Sie es am liebsten hätten?
Brennan: Ich glaube, da geht es schon um mehr. Beispielsweise, wenn wir jetzt dieses Brexit-Beispiel aufgreifen und uns anschauen zum Beispiel die, die dagegen gewählt haben, die für den Brexit gestimmt haben: Was haben sie gewusst? Oder was haben die Wähler gewusst, die in der EU bleiben wollten?
Dann stellen wir zum Beispiel fest, dass, wenn es um eine Frage ging über Immigranten, dann waren die, die für den Brexit gestimmt haben, bei einem Faktor sechs, haben die sich geirrt. Wenn es darum ging, wie viel Geld Großbritannien beispielsweise in Wohlfahrtsprogramme investiert, haben die, die gegen die EU waren, sich um einen Faktor 400 geirrt.
Die Remain-Wähler, also die, die in der EU bleiben wollten, haben sich zwar auch geirrt bei gewissen Fakten, aber da war diese Fehlerdiagnose einfach nicht so hoch. Das heißt, sie waren einfach besser informiert, sie kannten sich ein bisschen besser mit den Fakten aus. Das ist genau eben das, was ich meine, dass es um die Informiertheit des Wählers eben auch geht und wie er Fakten einordnet.

Wie ermittelt man die Wissenden?

Kassel: Was mich zu dem einzigen Punkt bringt, der mich wirklich nicht überzeug in Ihrem Buch – ich muss zugeben, ich war am Ende fast überzeugt –, aber es stellt sich eine Frage: Wenn Sie sagen, man braucht ein gewisses Wissen, um sinnvoll an einer Wahl teilzunehmen, wer darf dann aber am Ende eigentlich entscheiden, welches Wissen man braucht?
Brennan: Genau das ist wirklich eine sehr schwierige Frage. Denn ganz egal, wie ich Ihnen sie jetzt beantworte, in der Realität wird das immer eine Schwäche haben. Ich würde dafür plädieren, dass man sagt, dass man denjenigen das Wahlrecht einräumt, die vorher durch einen gewissen Test durchgegangen sind. Sie sind sozusagen getestet worden, was haben sie für ein Wissen.
Man kann aber auch versuchen, eine Art Mischform zu finden. Das Problem ist ja immer: Was würde wirklich eingeführt werden und sind politische Parteien überhaupt in der Lage, ein neues Wahlrechtssystem einzuführen? Und da kommen wir dann wieder zu dem Problem der Epistokratie, was sind da die geeignetsten Formen, die eben auch mitberücksichtigen, wie viel Wissen der einzelne Wähler hat?
Ich kann das mit einem ganz persönlichen Beispiel illustrieren, was auch ein bisschen peinlich ist: Ich hatte, als ich zwischen 18 und 21 war, theoretisch ganz konkrete Vorstellungen, wie meine perfekte Freundin aussehen müsste. Praktisch habe ich jedoch in der Hinsicht total versagt, wenn es um die Wahl meiner Freundin damals ging.

"Wir müssen einen kulturellen Wandel einfordern"

Kassel: Das geben Sie in Ihrem Buch zu, würden das gerne mal ausprobieren, irgendeine – Sie schlagen verschiedene vor – Form der Epistokratie, so nennt man das. Wir haben das Wort noch gar nicht benutzt, also die Herrschaft der Menschen, die ein entsprechendes Wissen haben. Aber ist das realistisch? Denn jenseits der Frage, ob das fair wäre den Wählern gegenüber, glauben Sie, dass Politiker bereit wären, so etwas mal ausprobieren? Verlassen die sich nicht inzwischen ziemlich gerne darauf, dass ihre Wähler eben nicht immer verstehen, worum es geht?
Brennan: Die Frage ist natürlich immer: Was sind Politiker bereit, wirklich einzuführen, zu implementieren? Und ich glaube, da müssen wir einen kulturellen und intellektuellen Wandel fordern. Vielleicht ist dieser Prozess ja auch schon im Gange, immerhin reden wir jetzt hier im Radio darüber. Und die Frage ist natürlich auch: Wo kann man das mal ausprobieren? Da sind natürlich kleinere Gemeinden eher realistisch, in denen ein hoher Bildungsgrad herrscht, als zum Beispiel in so riesigen Ländern wie den USA oder auch Großbritannien.
Aber es geht um einen kulturellen Wandel, den wir wirklich einfordern sollten. Denn bisher ist es so, jeder hat das Recht zu wählen, das ist eine Art moralische Verpflichtung, aber keiner fragt, wie informiert der Wähler eigentlich ist. Der Wähler wird nicht in irgendeiner Form dazu gebracht, sich auch mal über die Gegenseite zu informieren, über die Argumente der Gegenseite. Und das ist eigentlich sehr seltsam. Denn bei einem Chirurg würden Sie auch nicht sagen, ist ganz egal, ob du eine Ahnung hast von Chirurgie oder nicht, Hauptsache, du machst einen Schnitt. Aber bei Wählern sagt man, es ist ganz egal, ob du eine Ahnung hast von Politik, von Geschichte oder auch von Wirtschaft, Hauptsache, du wählst. Und ich glaube, hier müssen wir mehr dafür sorgen, dass die Wähler einfach informierter werden, gebildeter werden.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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