US-Ökonom: Europa ist wie ein steuerungsunfähiger Wagen

Dennis L. Meadows im Gespräch mit Jan-Christoph Kitzler · 26.10.2011
Der US-Ökonom und Wachstumskritiker Dennis L. Meadows ("Die Grenzen des Wachstums") ist davon überzeugt, dass die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise noch eine ganze Weile anhalten wird.
Jan-Christoph Kitzler: Auch wenn zurzeit und vor allem heute alles im Zeichen der Krise steht, im Zeichen der angeblich unausweichlichen Entscheidungen in Sachen Euro-Rettung, wir müssen uns die Frage stellen, ob wir so weitermachen wollen oder können wie bisher. Diese Frage stellt sich inzwischen auch die Politik. Der Deutsche Bundestag zum Beispiel hat Ende vergangenen Jahres eine Enquete-Kommission eingesetzt mit dem Titel "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität". Dort geht es unter anderem um Wirtschaften in Zeiten knapper werdender Ressourcen, aber auch um die Frage, wie viel Wachstum verträgt die Welt. Diese Frage wird schon lange diskutiert, vor allem im Zusammenhang mit dem Umweltschutz. Aber möglicherweise ist ja auch die Finanzkrise ein Ausdruck davon. – Darüber habe ich gestern mit dem US-amerikanischen Ökonomen Dennis Meadows gesprochen. Er ist einer der Hauptautoren der Studie "Die Grenzen des Wachstums", die schon 1972 vom Club of Rome in Auftrag gegeben wurde und die seitdem für viel Gesprächsstoff sorgt. In dieser Woche hat er seine Thesen in der Bundestags-Enquete-Kommission vorgetragen, und deshalb habe ich Dennis Meadows zuerst nach seinem Eindruck gefragt und ob er denn glaubt, dass die Erkenntnis, dass wir einen Sinneswandel brauchen, schon in den Köpfen unserer Politiker angekommen ist.

Dennis L. Meadows: Natürlich haben die kürzlichen Ereignisse, das Euro-Chaos, die Notwendigkeit des Wandels unter Beweis gestellt. Ich bin aber besorgt um die langfristigen Probleme. Ich muss sagen, da sehe ich noch nicht genug Einsicht, die Weltsituation wird sich nicht so leicht bessern lassen.

Kitzler: "Die Grenzen des Wachstums" sind einer der meist diskutierten Texte in diesem Zusammenhang. Heutzutage verhält sich das Finanzsystem, als ob es keine Grenzen gebe. Ist die aktuelle Krise jetzt ein gutes Beispiel für Ihre Theorie oder nicht?

Meadows: Nun, die Verbindung zwischen der Finanzkrise und den von mir in meinem Buch vorgetragenen Theorien ist etwa so, wie die Beziehung zwischen dem Katrina-Hurrikan und dem Klimawandel. Die beiden sind miteinander verknüpft, wenn auch nur entfernt. Ein ernstes Problem mit dem Finanzsystem ist, dass es keine Grenzen hat. Man kann für die Staaten natürlich sagen, sie können unbegrenzt Geld drucken. Leider können wir nicht unbegrenzt Mengen an Energie oder Kupfer oder sonstigen Rohstoffen herstellen. Die beiden Bereiche sind also nur lose miteinander verknüpft.

Kitzler: Die Finanzmärkte sind außer Kontrolle, das spüren viele Menschen, und die Politiker, die versuchen, auf ihren Gipfeltreffen die Kontrolle über die Märkte irgendwie zurückzugewinnen. Ist das überhaupt realistisch?

Meadows: Natürlich sind die Finanzmärkte unter Kontrolle, aber sie sind nicht unter der Kontrolle der Politiker. Ich glaube nicht, dass die Maßnahmen, von denen ich in der Presse las und die zwischen Merkel und Sarkozy und anderen diskutiert werden, irgendwelche langfristigen Auswirkungen haben können. Es heißt, dass man einfach nur das Problem ein bisschen auf die lange Bank schiebt, auf gut Deutsch gesagt. Für den Moment wird es besser. Was aber wirklich Not tut, ist eine grundlegende Umstrukturierung des Systems, so dass es wirklich seine Aufgaben erfüllt und dem vereinigten Europa dient.

Kitzler: Aber wie kann man das System reformieren? Wir haben die Neigung, immer über Reformen von oben nach unten nachzudenken. Glauben Sie, das funktioniert in dieser Lage?

Meadows: Nun, das System wird reformiert werden, denn es funktioniert ja nicht. Es ist so, als würde man einen nicht steuerungsfähigen Wagen steuern, und dann wird man fragen, wann wird der zum Halten kommen. Er wird natürlich halten irgendwann; die Frage ist nur, ob er hält, wenn man auf die Bremse tritt, oder wenn er jemanden überfährt. Und im Finanzsystem ist es genauso. Ich glaube, es ist jetzt für die Europäer zu spät, um die Situation noch beherrschen zu können – leider! Ich glaube, dass wir durch eine Phase des finanziellen Chaos hindurchgehen müssen, bis die Grundlegung für ein neues System fertig ist. Die Schulden sind jetzt zu hoch, um ordnungsgemäß zurückgezahlt zu werden.

Kitzler: Sprechen wir mal über die Grenzen des Wachstums und den Klimawandel. Die Antwort scheint ja zu sein, mehr Effizienz und technischer Fortschritt. Das ist so eine Art Mantra geworden, wir können unsere Probleme mit neuen Technologien lösen. Aber reicht das aus?

Meadows: Nein! Ich war ja Elektrotechnik-Ingenieur und ich habe das als Professor unterrichtet. Ich verstehe Technik, ich schätze sie sehr hoch, wir brauchen natürlich die Technik. Die Probleme, die durch die Technik hervorgerufen werden, werden letztlich durch politische und soziale Ursachen hervorgerufen. An die muss man herantreten.

Kitzler: Es gibt ja schon die Annahme, dass wir in Zukunft mit einer schrumpfenden Wirtschaft leben müssen, oder mit einem Nichtwachstum. In was für einer Gesellschaft würden wir denn dann leben?

Meadows: Wissen Sie, ich glaube, die Frage ist falsch gestellt. Sie haben ein Kind. Zunächst sind Sie sehr stolz auf sein körperliches Wachstum. Je größer er wird, desto stolzer ist man auf ihn. Sobald aber das Kind 18, 19, 20 Jahre alt ist, sollte das Größenwachstum aufhören und die Entwicklung sollte anderswo erfolgen: in der Sprache, in der Musik, im kulturellen Verständnis. In unserer physikalischen Wachstumswelt geht es genauso. Wir haben ein sehr ordentliches Wachstum gehabt im Bereich der materiellen Dinge. Wir können natürlich immer noch Wachstum haben, aber wir brauchen nicht immer größere Volumina, größere Mengen, mehr Kupfer, mehr Energieverbrauch, sondern anders geartetes Wachstum.

Kitzler: Vor fast 40 Jahren haben Sie Modelle für den Zusammenbruch unseres Wirtschaftswachstums bis zum Jahr 2100 vorgestellt. Mal ehrlich: wie nahe sind wir denn dran?

Meadows: Wir haben 13 unterschiedliche Möglichkeiten für die Zukunft aufgezeigt. Einige sind nicht eingetreten, andere schon. Dieser Zusammenbruch sollte bis 2050 erfolgen. Ich würde sagen, wir sind leider auf dieser Spur geblieben. Das holländische Umweltministerium hat die Daten abgeglichen mit unseren Szenarios und sie haben bestätigt, dass es praktisch keine Abweichungen gebe. In den nächsten beiden Jahrzehnten werden sie mehr Wandel in Deutschland sehen, als sie in den letzten 100 Jahren mitbekommen haben.

Kitzler: Professor Dennis Meadows, thank you very much and have a nice day.

Meadows: Thank you!

Kitzler: Dennis Meadows, einer der Hauptautoren der Studie "Die Grenzen des Wachstums” von 1972.


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