Urzeitwesen als kulturelle Symbole

12.10.2011
In seinem neuen Buch "Dinosaurier!" erzählt Alexis Dworsky eine Kulturgeschichte der Dinosaurier. Der 1976 in Freising geborenen Autor beschreibt, für was Dinosaurier im Laufe der Jahrhunderte als Projektionsfläche herhalten mussten.
Robert T. Bakker gehört zu den einflussreichsten Saurierpaläontologen und steht als solcher nicht im Verdacht, sich über seine Forschungsobjekte lustig zu machen. Über den Hype aber, den sie in regelmäßigen Abständen immer wieder auslösen, weiß er durchaus zu scherzen. Die "Dinos" seien ähnlich wie Masern und Röteln: eine drastisch verlaufende, aber auch schnell wieder abklingende Kinderkrankheit. Jungen seien häufiger befallen.

Ob Alexis Dworsky auch so ein Junge war? Zumindest ist er ein Geistesverwandter von Bakker, dessen Bonmot er bereits in der Einleitung seiner wunderbar ideenreichen und inspirierten Promotion zitiert. Seine Kulturgeschichte der Dinosaurier vereint Forscherdrang sowie Lust und Vermögen, originelle Fragen aufzuwerfen, mit Esprit und einem großen Maß an Ironie, wie schon das Titelbild belegt: eine Persiflage auf das Plakat der Godzilla-Verfilmung aus den 50er-Jahren, die analog zur Filmwerbung das "sensationellste Buch der Gegenwart" verheißt.

Dworskys Untersuchungsgegenstand ist nicht der Dinosaurier, sondern das Bild, das wir uns von ihm machen. Der Autor nimmt die Urzeitwesen als kulturelle Symbole und gesellschaftliche Konstrukte in den Blick und zeigt ihre Funktion als Projektionsfläche für – dem jeweiligen Zeitgeist verhaftete – Mentalitäten und Ideen. Dass es diese Ideen sind, die die Paläontologie als vermeintlich von gesellschaftlichen Einflüssen freie, "reine" Naturwissenschaft mindestens ebenso geprägt haben, wie fossile Funde sie vorantrieben, versteht sich bei diesem Forschungsansatz von selbst.

Sechs überzeichnet dargestellte idealtypische Dinosaurierbilder konstruiert Dworsky: darunter die "Krone der reptilischen Schöpfung", "den Schizosaurus" und die "Informationsvögel". Letztere stammen aus unserem Internetzeitalter und haben sich meilenweit entfernt von den Reptilien der viktorianischen Epoche, in der die Dinosaurier ihren ersten großen Auftritt hatten. Erschienen sie damals als riesige Kolosse, die die Macht des Empires widerspiegelten, so gleichen sie heute eher agilen Geschäftsmännern und -frauen, die sich durch Schnelligkeit, Wendigkeit, Teamarbeit und globales Agieren auszeichnen. Auch mit dem grünlichen Schizosaurus, der zur Zeit des Kalten Krieges einen Systemkonflikt als friedlicher Pflanzenfresser und aggressiver Fleischfresser abbilden musste, hat die kunterbunte Schar der Jahrtausendwende nichts mehr gemein.

Kriechend oder laufend, reptil- oder vogelartig, männlich aggressiv oder weiblich fürsorglich – Dworsky legt mit der Beschreibung des sich wandelnden Dinosaurier-Bildes ein Musterbeispiel interdisziplinärer Forschung vor. Er verbindet Literatur-, Kunst-, Film- und Technikgeschichte mit der Paläontologie und begegnet auf seiner anregenden Tour ebenso Hieronymus Bosch, wie Fritz Lang, Walt Disney, Raquel Welsh, Andrew Carnegie, Arthur Canon Doyle oder Robert T. Bakker, um nur einige wenige zu nennen. Dass er darüber hinaus fantastische Abbildungen, eine raffinierte Grafik und ein schier endloses Literaturverzeichnis bietet, wird Kenner, wie Laien gleichermaßen überzeugen.

Besprochen von Eva Hepper

Alexis Dworsky: "Dinosaurier! Die Kulturgeschichte"
Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2011
237 Seiten, 29,90 Euro
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