Unterwegs in Richtung Normalität

Von Waltraud Tschirner · 22.08.2011
Die türkischstämmige, in der Schweiz lebende Regisseurin Güzin Kar erzählt in ihrem neuen Film "Fliegende Fische müssen ins Meer" die Geschichte einer überforderten Mutter. Das Multitalent Meret Becker spielt die Hauptrolle und fühlt sich in der Haut dieser Person sichtlich wohl.
Filmausschnitt "Fliegende Fische müssen ins Meer":
"Vor einem halben Jahr haben wir Ihnen eine Probezeit gegeben, mit der Möglichkeit einer sozialen Begleitung, die sie nicht einmal genutzt haben …Ich bin kein Sozialfall! ... Wollen Sie einer werden, Frau Meiringer? Wir denken über eine Vormundschaft nach … denken sie mal lieber über ein neues Styling nach! Drei Monate – bis dahin müssen Sie aus Ihrem Leben etwas gemacht haben- etwas Normales!"

Etwas Normales zu machen ist – mal abgesehen von der Frage – was ist normal? Ganz schwierig für Roberta Meiringer. Für ihre 15-jährige Tochter Nana, die der Not gehorchend quasi die Vormundschaft für ihre beiden kleinen Geschwister übernommen hat und den Haushalt schmeißt, ist Roberta "die peinlichste Figur im Universum und die unfähigste Mutter aller Zeiten".

Meret Becker spielt diese mit ihren schrillen und etwas billigen oft kreischend pinkfarbenen Kleidchen - ziemlich überzeichnete Figur - ohne dabei die Grenze zur Kunstfigur, zur Lachnummer zu überschreiten:

"Ja - das ist ja eh so ein bisschen die Gefahr bei dem Film – weil, was eigentlich sehr schön ist, es ist immer in Bildern erzählt, also die sind ganz klar strukturiert: Das ist ein Bild und das steht dann für irgendwas. Und dieses Bild muss man füllen und da muss man genau diese Gratwanderung zwischen ... dass es leicht bleibt, amüsant bleibt, aber trotzdem ernst zu nehmen in irgendeiner Form, sonst braucht man es nicht zu erzählen."

Mit ihrer mädchenhaften Ausstrahlung und dem komödiantischen Talent wird die 42-Jährige gern für schräge Rollen angefragt. Was ihr vom Ansatz her durchaus erst einmal entgegenkommt. Allerdings zieht sie klare Grenzen:

"Es gab auch Rollen, wo ich gesagt habe - das ist hier kein Supermarkt. Ich hab hier nicht quasi die fertigen Döschen in Form von Filmdosen und das hab ich schon mal dargestellt und ihr sagt jetzt - so bitte noch mal. Da hab ich keine Lust zu und es macht mir auch keinen Spaß, eine Rolle komplett zu wiederholen. Ich habe das diebische Verlangen, für jede Rolle ein eigenes Make-up, eine eigene Frisur, ein eigenes Outfit zu finden, irgendwas an der rumzupopeln, dass die sich möglichst unterscheidet von den alten Rollen und auch von mir."

Obwohl sie selbst eine 12-jährige Tochter hat und sich da durchaus an manchen Tagen leicht überfordert fühlt - unterscheidet sich Filmfigur Roberta doch stark von ihr, denn Meret ist durchaus auch im richtigen Leben verankert und ein Kommunikationsdefizit ist auch nicht ihr Problem:

Filmausschnitt "Fliegende Fische müssen ins Meer":
"Roberta braucht jemanden, mit dem sie reden kann. So wie wir."

Und Roberta sucht ihrerseits Kontakt und stellt sich bei den Bachforellen vor:

Filmausschnitt "Fliegende Fische müssen ins Meer":
"Das Figürchen einer 18-Jährigen und eine Stimme wie der liebe Gott auf Ecstasy – es macht mich fertig!"

Bald sind sämtlich Frauen im Chor pink-rot gekleidet wie Roberta und tauen zunehmend auf:

Filmausschnitt "Fliegende Fische müssen ins Meer":
"Iii Pestbeulen! Das sind Kartoffelpuffer, Du Zwerg. Für so was würde Dich das Jugendamt wegsperren! ... Gut, unsere Familie ist noch 300 Lichtjahre davon entfernt, normal zu sein. Aber immerhin – vorher waren es 700!"

Roberta ist unterwegs in Richtung Normalität und definiert gleichzeitig den Begriff neu. Meret Becker hat es ähnlich schwer wie Roberta, wenn sie normal sein soll. Unlängst im Dani Levy-Film "Das Leben ist zu lang" war sie als die sehr klar strukturierte Ehefrau neben dem neurotischen Levy-Alter-Ego Alfie zu sehen. Nicht unbedingt eine Traumrolle für sie:

"Ne, also das fällt mir dann fast so ein bisschen schwer. Das ist so, wie sich blank putzen. Das ist wahnsinnig unanstrengend in einer gewissen Form, aber es geht einem wahnsinnig auf den Keks. Als mir geht es irgendwann wahnsinnig auf den Senkel. Es gibt ja auch, welche die sagen, man muss quasi sich wie auf so eine Grundform runterputzen, dass man überhaupt keine Eigenheiten mehr hat. Da ist ja die Frage, wo fang ich an, wo hör ich auf. Es wird alles so ein bisschen … schluffi … und das finde ich irgendwann echt zum Kotzen. "

Als Enkelin von Zirkus- und Varietéleuten und als Tochter von Schauspielern hat sie offenbar sehr viele künstlerische Talente mitbekommen, die sie aber bisher nur teilweise genutzt hat. Das Klavierspielen hat sie irgendwann aufgegeben, obwohl sie richtig gut darin war, dafür steht sie heute gern mal mit der Singenden Säge auf der Bühne:

" "Ich hab eigentlich das Gefühl, dass noch ganz viel Potenzial … ungenutztes Potenzial da ist. Ich mach ja auch ganz viel Sachen selber und so und – ja da gibt es ganz viel Projekte, die hängen leider, die sind so schwer zu stemmen.
Da bin ich vielleicht auch zu chaotisch für, aber ich würde sie gern noch stemmen. Zum Beispiel - ich wollte mal ne Kindersendung, Musiksendung für Kinder machen, wo man da so Monty-Python-mäßig, so diese Terry-Gilliam-Animationen - anfängt, die Sachen zu vertauschen, wenn man so ein Schwarzwaldmädel nimmt, so ein Kostüm. So eine Tracht. Dann könnte die genauso gut aus Peru ihre Kluft hernehmen. Oder wenn ich mir so was wie Jodeln anhöre. Das kann ich auch teilweise fast wieder Richtung Mongolei tun, also das ist irre. Wenn man das verdreht, weiß man irgendwann nicht mehr, in welchem Land man sich aufhält."

Irgendwann will sie sowieso ganz aufhören mit der Schauspielerei und dem auf der Bühne stehen:

"Ich will nicht mehr die Rübe hinhalten."

Und Filmmusiken würde sie gern mehr schreiben - einmal, für "Pipermint - das Leben möglicherweise", hat sie sogar den Max-Ophüls Preis für Filmmusik bekommen:

"Animationsfilme hab ich auch noch auf meiner Liste – To-Do-Liste."

Filmhomepage: Fliegende Fische müssen ins Meer
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