Untersteller: "Die Grünen sind notwendiger denn je"

Franz Untersteller im Gespräch mit André Hatting · 25.06.2011
Der grüne Umweltminister in Baden-Württemberg, Franz Untersteller, kann sich nicht vorstellen, dass die Grünen sich dem Atomausstiegsplan der Bundesregierung verweigern. Schließlich stehe das Thema "in der Geburtsurkunde der Grünen". Wichtig sei für seine Partei, künftig genau auf die Realisierung der Atomwende zu schauen.
André Hatting: Atomausstieg ja - auch wenn er von einer schwarz-gelben Bundesregierung kommt? Darüber entscheiden heute die Bundesdelegierten von Bündnis 90/Die Grünen in Berlin. Auch Franz Untersteller nimmt an dem Parteitag teil, er ist gerade auf dem Weg nach Berlin und jetzt ist der grüne Umweltminister von Baden-Württemberg am Telefon. Guten Morgen, Herr Untersteller!

Franz Untersteller: Guten Morgen!

Hatting: Haben Sie schon ein bisschen Muffensausen?

Untersteller: Nein, überhaupt nicht, wofür?

Hatting: Dass Sie scheitern, dass sich die Bundesspitze nicht durchsetzen kann?

Untersteller: Nein, also ich bin da sehr zuversichtlich. Man muss mal sehen: Der Atomausstieg steht in der Geburtsurkunde der Grünen, sprich, wir kämpfen da seit 30 Jahren dafür, und ich kann mir nicht vorstellen, dass nicht eine große Mehrheit der Grünen sieht, was für ein großer Erfolg jetzt auch darin steck, dass wir diesem Atomausstieg jetzt endlich so nah gekommen sind. Dass man da unzufrieden ist teilweise mit den Zeiten, um die da diskutiert wird, das kann ich durchaus nachvollziehen. Aber ich denke mal, grundsätzlich die Richtung stimmt.

Hatting: Herr Untersteller, das greife ich mal auf, die Zeiten: Es ist ja nicht nur so, dass einige Landesverbände und die grüne Jugend dagegen opponiert, auch die Umweltverbände, eigentlich immer Verbündete der Grünen, wenn man so sagen darf, die kritisieren das Modell auch. Hubert Weiger, Chef des BUND, fordert: Die Grünen dürfen nicht zustimmen, weil der geplante Ausstieg bis 2022 viel zu lange dauert.

Untersteller: Nun, das ist das gute Recht von Herrn Weiger, das so zu sehen, das gute Recht auch von Umweltverbänden, hier Druck zu machen. Es gibt aber auch Umweltverbände, ich nenne den Naturschutzbund Deutschland, ich nenne den WWF, die uns regelrecht ermuntern, zuzustimmen. Also von daher - die Stimme des BUND ist eine, aber wie gesagt, es gibt auch andere Stimmen. Nochmal: Ich finde, es steckt eine Riesenchance darin, einen gesellschaftlichen Großkonflikt, den wir nun 30 Jahre in Deutschland hatten, zu befrieden, und ich glaube, es ist sinnvoll, dass man hier jetzt einen Schlussstrich zieht. Dass wir jetzt noch mal dafür kämpfen hier, ich sage mal, an allen möglichen Punkten - was die Energiewende betrifft im Zusammenhang mit dem Atomausstieg - noch Dinge rauszuholen, das ist völlig klar. Aber ich kann mir nicht vorstellen, wie man nun verständlich machen könnte in der breiten Bevölkerung, dass wir jetzt an diesem Punkt, wo wir finde ich einen großen Erfolg errungen haben, nämlich, dass der Atomausstieg selbst in konservativen Kreisen auf der Tagesordnung stehen, dass wir uns dem verweigern.

Hatting: Sie haben es angesprochen, der Atomausstieg gehört zur Gründungsurkunde der Grünen. Jetzt kommt die Energiewende, sie kommt mit Schwarz-Gelb - und womit profilieren sich die Grünen in Zukunft?

Untersteller: Mit der Energiewende. Ich glaube, es ist notwendig, dass wir hier sehr genau darauf gucken, wie die Energiewende in den nächsten Jahren realisiert wird. Ohne die Grünen wird es keine Energiewende in Deutschland geben, da bin ich fest von überzeugt, und es wird darum gehen, dass wir in den kommenden Jahren mit dafür sorgen, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien, dass das Thema Energieeffizienz, dass Energieeinsparungen, um nur mal diese Punkte zu nennen, dass die wirklich auch durchgesetzt werden und dass hier die richtigen Schritte gegangen werden, und von daher sind die Grünen hier notwendiger denn je.

Hatting: Aber der Atomausstieg ging ja jetzt auch ohne die Grünen.

Untersteller: Der Atomausstieg ging nicht ohne die Grünen. Ich bin der festen Überzeugung: Ohne uns Grüne wären wir heute nicht da, wo Angela Merkel diskutiert. Schauen Sie doch in die Nachbarländer drum herum, schauen Sie nach Frankreich, schauen Sie nach England - letztendlich ist Deutschland hier Vorreiter, und das hängt ganz wesentlich mit uns Grünen, mit der Umweltbewegung und mit der Anti-AKW-Bewegung zusammen, da bin ich fest von überzeugt.

Hatting: Trotzdem wird es schwierig, weil eben nicht alle an der Basis damit einverstanden sind. Apropos Basis: Stuttgart 21 in Baden-Württemberg, das war der Wahlhelfer für Grün-Rot. Jetzt sieht es so aus, als müssten Sie den Bahnhof doch bauen, den Stresstest hat er ja jetzt schon bestanden. Wie verkaufen Sie das Ihren Wählern?

Untersteller: Also den Stresstest hat er noch nicht bestanden, sondern der Stresstest wird Mitte Juli soll der veröffentlicht werden, und von daher gesehen warten wir den jetzt erst mal ab, und dann wird man weitersehen.

Hatting: Trotzdem sieht es so aus - also nach dem, was man jetzt lesen konnte -, dass er ihn wahrscheinlich bestanden hat, ich relativiere das so ein bisschen, aber trotzdem, Baustopp hin oder her: Es sieht so aus, als kommen Sie nicht darum herum, den Bahnhof bauen zu lassen.

Untersteller: Also wir haben entschieden in der Koalitionsvereinbarung, dass wir den Stresstest abwarten, die Ergebnisse des Stresstests abwarten, und dann als nächsten Schritt einen Volksentscheid in Baden-Württemberg durchführen, und da werden wir dafür werben für das, wo wir Grüne auch in dem Wahlkampf geworben haben, nämlich, dass wir den Kopfbahnhof in Stuttgart erhalten, dass wir den ausbauen, dass wir den modernisieren. Es ist die kostengünstigere Lösung, es ist die bessere Lösung, es ist die verkehrstechnisch auch bessere Lösung, und von daher gesehen - es gibt für uns überhaupt keinen Grund, unsere Position da, in der jetzigen Situation irgendwas zu ändern.

Hatting: Baden-Württemberg, das war einmal ein Atombundesland, es soll zum Ökomusterländle werden, dazu brauchen Sie auch neue Speicher, aber auch hier schießt die Basis quer: Im Südschwarzwald - wir haben darüber in der Sendung berichtet - soll das größte Pumpspeicherkraftwerk der Republik entstehen, und ausgerechnet die Grünen vor Ort bekämpfen das. Das klingt irgendwie absurd.

Untersteller: Nun, man muss mal sehen: Der Bau eines solchen Pumpspeicherkraftwerks ist ein massiver Eingriff in die Landschaft, und wer da unten die Gegend im Hotzenwald kennt, weiß, über was wir reden, das ist eine der schönsten Landschaften, die wir in Süddeutschland haben. So gesehen kann ich erst mal verstehen, dass die Leute sich da natürlich Sorgen machen um ihre Heimat, um diese Region. Nichts desto trotz: Wir brauchen gerade im Zusammenhang mit der Energiewende in Deutschland neue Speicherkapazitäten, und wir haben jetzt Auf meinen Vorschlag hin wird es einen runden Tisch geben, der heute seine erste Sitzung da unten haben wird, und da werden noch mal alle Themen im Zusammenhang mit diesem Projekt, ich sage mal, die grundsätzliche Notwendigkeit, die Frage des Standorts, die Frage aber auch letztendlich der Ausgestaltung von so einem Projekt, wird da noch mal diskutiert werden mit den Betroffenen, mit Bürgerinitiativen, mit Parteien. Und ich bin eigentlich zuversichtlich, dass man im Rahmen dieses Prozesses, dass man da zu einer Annäherung kommt, und ob das Projekt letztendlich realisiert wird, wo es realisiert wird, das muss man dann sehen, das steht am Ende dieses runden Tisches.

Hatting: Verstehe ich Sie richtig - es könnte auch sein, dass es nicht realisiert wird?

Untersteller: Also Sie müssen mal Folgendes sehen, ich meine, letztendlich stehen da hinter diesem Projekt zwei große Energiekonzerne, EnBW und RWE, das sind die Mutterkonzerne der Schluchseewerke, die das Projekt vorantreiben, und beide Konzerne haben bislang meines Wissens noch keine Finanzierungsbeschlüsse gefasst. Von daher ist es nicht nur so, dass es davon abhängt, wie dieser runde Tisch ausgeht, sondern es hängt letztendlich auch davon ab, wie die Energieversorgungsunternehmen sich entscheiden.

Hatting: Die Energiewende, auch in Baden-Württemberg, die braucht neue Stromnetze, neue Windräder, neue Speicherkraftwerke, darüber haben wir gerade gesprochen, das alles mitten in der schönen Natur Baden-Württembergs. Der Preis könnte heißen: Wählerstimmen. Wäre er zu hoch?

Untersteller: Nun, ob Wählerstimmen der Preis sein werden, das muss man einfach mal sehen. Also zunächst mal glaube ich: Nach Fukushima gibt es ein breiteres Bewusstsein dafür, dass im Zuge einer Energiewende, dass man da auch Standorte braucht für Windkraftanlagen, für Solaranlagen, für Biomasse-Kraftwerke et cetera, und auch für Netze, für den Ausbau der Netze. Von daher gesehen bin ich da erst mal zuversichtlich, dass die Frage der Akzeptanz heute auch in der breiten Bevölkerung anders diskutiert wird, als es noch vor Fukushima der Fall war. Nichts desto trotz ist es notwendig, dass man im Zusammenhang mit solchen Projekten anders herangeht, als das bislang der Fall war. Ich halte nicht viel davon, von dem Dreiklang Raumordnungsverfahren, Planfeststellungsverfahren, Gerichtsverfahren, sondern ich finde, man muss die Bevölkerung, man muss die Öffentlichkeit frühzeitig in Überlegungen einbeziehen, und zwar, bevor konkrete Standortentscheidungen getroffen sind. Nur dann haben sie meines Erachtens eine Chance, hier auf Akzeptanz zu stoßen. Im Übrigen glaube ich, dass es auch sinnvoll ist, nachzudenken darüber, die Bevölkerung vor Ort auch an Projekten, ich sage mal, ökonomisch zu beteiligen. Was spricht gegen Bürger-Windkrafträder, wo sich jemand, statt sein Geld auf das Konto bei einer Bank zu legen, sich an so einem Projekt beteiligt? Was spricht dagegen, dass, wenn man ein Pumpspeicherkraftwerk baut, dass man auch die Region ökonomisch an so einem Projekt beteiligt? Ich glaube, in die Richtung muss es gehen.

Hatting: Franz Untersteller war das, Umweltminister in Baden-Württemberg. Herr Untersteller, ich danke Ihnen ganz herzlich für das Gespräch!

Untersteller: Bitte! Schönen Tag!