Unterhosen mit Fußriemen

02.01.2007
Jules Barbey d'Aurevilly war nicht nur notorischer Goethe-Hasser und Starkritiker, sondern auch Exemplar einer männlichen Spezies, die es kaum mehr gibt: der Dandy. In seinem erstmals vollständig auf Deutsch erscheinenden Essay analysiert er das Wesen des Dandytums und gibt zeitlos gültige Ratschläge, wie man es zu solch gepflegter Exzentrik (inkl. Erfolg bei den Frauen) bringt.
Der Engländer George Bryan Brummel ist als erster Dandy in die Kulturgeschichte eingegangen. Beau Brummel, wie man ihn bald nur noch nannte, lebte im 18. Jahrhundert, stieg als Günstling des Prinzen von Wales in die höheren Schichten der Londoner Gesellschaft auf, wo er mit seiner Schönheit und einem ausgeprägten Stilwillen rasch ästhetische Maßstäbe setzte. Er beriet die Damen der feinen Kreise in Modefragen, war Trendsetter und Gentleman; einen Beruf übte er aus Prinzip nicht aus. Zahlreiche Anekdoten und Legenden umranken seine Prominenz, wie etwa die Handschuhe, die er sich von fünf verschiedenen Schneidern anfertigen ließ, für jeden Finger einen anderen. Den Müßiggang erhob er zur Kunst, das englische Adjektiv "dandy = erstklassig, ausgezeichnet" wurde durch ihn zum Substantiv für eine schillernde Existenz, die ganz dem äußeren Schein verpflichtet ist.

Dass der Dandy in einer vernünftigen Welt als notorischer Faulpelz, Schmarotzer und eitler Geck gilt, hat wenige Schriftsteller so empört wie den Franzosen Jules Barbey d'Aurevilly. Der Spross eines normannischen Adelsgeschlechts lebte von 1808 bis 1889, vornehmlich in Paris, schlug sich mit literarischen Arbeiten durch, zum wahren Ruhm brachte er es jedoch erst in den letzten Lebensjahren.

Immer auffallend war indes seine Erscheinung. Obwohl d'Aurevilly es weit von sich wies, selbst ein Dandy zu sein, verkörperte er das französische Pendant zu Beau Brummel bis in die gefärbten Barthaarspitzen. Zeitgenössische Beobachter erzählen von exzentrischen Gehröcken und Korsetts, mit rotem Samt gefütterten Capes, die er prachtvoll um seinen stattlichen Leib zu schwingen verstand. Ein recht fassungsloser Edmond de Goncourt hält in seinem Tagebuch "eine Flanell-Unterhose mit Fußriemen" fest, die d'Aurevilly offensichtlich als Anzugshose trug.

Sein herrlicher Essay "Über das Dandytum", der 1844 in einer Auflage von nur 30 Exemplaren erschien, ist nun erstmals auf deutsch erschienen, ein funkelndes Kleinod voller Esprit und stilistischer Herrlichkeiten, wie sie für den Autor kennzeichnend sind. D'Aurevilly nimmt Beau Brummels Leben zum Anlass für eine launige Feier von Eitelkeit und Frivolität, der Kunst des schönen Scheins, die in einer durchrationalisierten Gesellschaft zum Niedergang verurteilt ist - und demgemäß den Dandy zum Außenseiter degradiert. Somit spricht d'Aurevilly in diesem Text beständig von sich selbst und liefert mit seinen Überlegungen zugleich ein autobiographisches Porträt.

Dem Berliner Verlag Matthes & Seitz ist es zu verdanken, dass d'Aurevilly auch in Deutschland wiederentdeckt werden kann. Nach der im Frühjahr 2006 veröffentlichten furiosen Streitschrift "Gegen Goethe" ist "Über das Dandytum" der zweite Band einer geplanten Werkausgabe. Mit Gernot Krämer hat sich ein herausragender Übersetzer und kundiger Herausgeber gefunden, der mit Anmerkungen und editorischen Angaben das notwendige Hintergrundwissen vermittelt. Ein glänzender, biographischer Essay des Romanciers André Maurois rundet den Band ab. Und Maurois ist restlos davon überzeugt, dass der oft unterschätzte und vielgeschmähte Jules Barbey d'Aurevilly "einer der größten französischen Schriftsteller des 19. Jahrhunderts" war.

Rezensiert von Joachim Scholl


Jules Barbey d‘Aurevilly: Über das Dandytum
Aus dem Französischen und mit Anmerkungen versehen, sowie einem Anhang von Gernot Krämer. Mit einem Essay von André Maurois
Verlag Matthes & Seitz Berlin 2006.
187 Seiten, 19.80 Euro.