Unterbewusstsein

Intensive Ausflüge in die Traumwelt

Symbolfoto: Ein Mann schlafwandelt auf einem Dach.
Was in unseren Träumen geschieht, ist Thema von Stefan Kleins Buch "Träume". © Dieter Assmann /dpa
Von Susanne Billig · 10.12.2014
Stefan Klein führt uns in seinem Buch "Träume" ins Zwischenreich des Unterbewusstseins. Dabei schwebt er immer zwischen wissenschaftlichem Erzählen und Poesie. Traumsymbol-Deutungen erteilt er eine Absage.
20 Mal in der Minute schließt ein Mensch die Augen - viel öfter, als der Augapfel Flüssigkeit braucht. In diesen winzigen dunklen Momenten greift das Gehirn nach Träumen. Für die Zehntelsekunde eines Lidschlags entflieht es der Informationsflut des Tages, sortiert Eindrücke um und knüpft neue Erinnerungsnetze.
In seinem Buch mit dem schlichten Titel "Träume" taucht Erfolgsautor Stefan Klein in Zwischenreiche ein - hypnagogische Halbschlafbilder und luzide nächtliche Visionen, enthemmte erotische Begegnungen und psychedelische Horrortrips, wie sie Menschen und wohl auch Tiere Nacht für Nacht durchleben. Das Träumen, sagt Stefan Klein, ist die Beschäftigung, mit der wir bei weitem die meiste Zeit unseres Lebens verbringen.
Hin und her zwischen Neurophysiologie, Kulturgeschichte und persönlichem Erleben
Mit schlafwandlerischer Sicherheit wandert Stefan Klein hin und her zwischen Neurophysiologie, Kulturgeschichte, persönlichem Erleben und weit entlegenen Gebieten wie der Teilchenphysik. Auch das Wacherleben sei eigentlich ein Träumen, erzählt er, ganz wie es die tibetischen Meditationsmeister sagen: Alle Welterfahrung, ob am Tag oder in der Nacht, ist Wirklichkeitskonstruktion, die das Gehirn aus wenigen äußeren Reizen und viel Erinnerung, Assoziation, Emotion und Überlebensdrang zusammenbaut.
Traumsymbol-Deutungen, wie unter anderem Sigmund Freud sie favorisierte, erteilt der Autor eine Absage und weiß sich einig mit der aktuellen Forschung: In Träumen verbergen sich keine Symbole - sie sind die Sprache des Unbewussten. Was am Traum zählt, ist die Grundemotion - die Angst, die Sehnsucht, die Raserei, die Liebe. Diese Gefühle suchen sich passende Erinnerungsfetzen, rein zufällig und ohne versteckten Hintersinn.
Stefan Klein besitzt die wunderbare Gabe, über ganze Bücher hinweg zwischen Wissenschaft und Poesie zu schweben, ohne die eine an die andere zu verraten. Bücher wie dieses gelingen nicht mit rhetorischen Tricks und auch nicht mit einer braven Recherche. Man muss sich als Schreibender selbst in die Waagschale werfen - und das kann und tut Stefan Klein. Erfrischend anwesend ist er in seinem Text, gewichtet und wertet, verwirft und verknüpft, spinnt Assoziationsfäden und enthüllt sich selbst als Träumer, der Kindheitsängste durchmisst oder in luziden nächtlichen Fantasien gegen die Macht der Gewohnheit anrennt.
Dabei sind viele wissenschaftliche Erkenntnisse, von denen der Autor erzählt, nicht einmal neu, nur hat man sie selten so kompakt und gleichzeitig so luftig-leicht gelesen. Nur ab und zu schielt der Autor nach überflüssigen Sensationen, zum Beispiel, wenn er sein Buch wiederholt mit der Mahnung bewirbt, ein Mensch verpasse den aufregendsten und kreativsten Part seines Lebens, wenn er sich nicht mit seinen Träumen befasse. Wer je versucht hat, die nächtlichen Eskapaden kontinuierlich aufzuschreiben, weiß: Das alles zu vergessen, hat auch seinen psycho-hygienischen Sinn.
Außerdem erleben wir unsere Träume ja - wenn auch nicht bewusst. Von diesen wenigen, allzu aufklärungsverliebten Passagen abgesehen, ist Stefan Klein einmal mehr ein eindrucksvolles Sachbuch gelungen.

Stefan Klein: Träume – Eine Reise in unsere innere Wirklichkeit
Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2014
283 Seiten, 19,99 Euro

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