Unter besonderem Schutz

Von Dietrich Mohaupt · 10.05.2013
Als erstes Bundesland hat Schleswig-Holstein 2012 den Minderheitenschutz für Sinti und Roma in der Landesverfassung verankert. Sie haben nun den gleichen Anspruch auf Schutz und Förderung wie die nationalen Minderheiten der Dänen und Friesen. Doch Missverständnisse und Konflikte sind noch immer beinahe alltäglich.
Artikel 5, Absatz 2 der Verfassung des Landes Schleswig-Holstein – seit dem 14. November vergangenen Jahres heißt es dort:

"Die kulturelle Eigenständigkeit und die politische Mitwirkung nationaler Minderheiten und Volksgruppen stehen unter dem Schutz des Landes, der Gemeinden und Gemeindeverbände. Die nationale dänische Minderheit, die Minderheit der deutschen Sinti und Roma und die friesische Volksgruppe haben Anspruch auf Schutz und Förderung."

Es sind sieben kleine Worte, die der Landesverfassung hinzugefügt wurden und die jetzt die deutschen Sinti und Roma unter besonderen Schutz stellen – dafür gab es viel Anerkennung, auch von höchster Stelle. Bundespräsident Joachim Gauck sparte nicht mit lobenden Worten bei seinem Antrittsbesuch in der Landeshauptstadt Kiel im März.

Gauck: "Schleswig-Holstein ist in den vergangenen Jahrzehnten demokratisch und gesellschaftlich gewachsen, weil es seinen Umgang mit Minderheiten erst zu einer neuen Politik und dann zu einem neuen Alltag gemacht hat. Schon seit dem 15. Jahrhundert leben Sinti und Roma im Gebiet von Schleswig-Holstein - die Verfassungsänderung ist also nicht nur eine juristische Präzisierung, sie ist auch ein politisches Bekenntnis. Die Botschaft aus Kiel lautet: Minderheitenschutz ist kein Akt der Gefälligkeit - Minderheitenschutz ist Ausdruck unserer Demokratie."

Es hat gedauert, bis diese Botschaft von Kiel ausgehen konnte: Immerhin gut 20 Jahre und sechs Versuche waren erforderlich, bevor die notwendige 2/3-Mehrheit für eine Verfassungsänderung im Landesparlament zustande kam. Nach den vielen vergeblichen Anläufen sind jetzt die Erwartungen entsprechend hoch. Als Zeichen, als wichtiges Symbol für ganz Deutschland, sogar darüber hinaus für Europa, betrachten viele die Entscheidung des Landtags in Kiel. Auch der Vorsitzende des Zentralrats der deutschen Sinti und Roma, Romani Rose, formulierte bei einer Feierstunde im Parlament klare Forderungen.

Rose: "Ich habe das gerade vorhin auch hier im Gespräch mit dem Landtagspräsidenten gesagt, dass wir auf Grund unserer Geschichte in Deutschland, ich meine unsere Gesellschaft als Ganzes, den Antisemitismus ächten. Das wird eine Aufgabe hier des Landtags sein, auch den Antiziganismus zu ächten und Diskriminierung und rassistische Ausgrenzungen nicht mehr zu tolerieren, sondern denen in aller deutlicher Weise im Sinne der Demokratie entgegen zu wirken."

Einblicke in das Leben der Sinti und Roma
Knapp sechs Monate später ist die Zeit der Feierstunden längst vorbei. Es herrscht wieder Alltag, auch für die Minderheitenpolitik in Schleswig-Holstein. Der Landtag hat inzwischen seine erste Pflichtaufgabe erfüllt: Vor wenigen Tagen konstituierte sich ein parlamentarisches Gremium für die Sinti und Roma, quasi ein "runder Tisch", der künftig regelmäßig mindestens zweimal im Jahr tagen soll. Vertreter der sechs Landtagsfraktionen, aus dem Innen- und dem Bildungsministerium, Vertreter der Kommunen, die Minderheitenbeauftragte der Landesregierung und drei Repräsentanten des Landesverbandes der schleswig-holsteinischen Sinti und Roma gehören diesem Gremium an. Den Vorsitz führt der Landtagspräsident Klaus Schlie.

Schlie: "Wir haben jetzt den Verfassungsgrundsatz des Schutzes der Minderheit der Sinti und Roma hier in Schleswig-Holstein. Es ist jetzt klar, dass das mit Leben gefüllt werden muss. Deswegen jetzt die Konstituierung dieses Gremiums, ein Stück ausgerichtet auch an den anderen Gremien, die wir für die Minderheitenfragen haben. Jetzt geht es hier um ganz konkrete Arbeit, jetzt geht es darum, die ganz konkreten Fragestellungen und Probleme aufzuarbeiten. Und deswegen ist es gut, dass drei Vertreter des Landesverbandes der Sinti und Roma aus Schleswig-Holstein mit in diesem Gremium wirken – das sind die Impulsgeber."

Denn Fragen gibt es mehr als genug, das wurde schon auf der konstituierenden Sitzung des Minderheitengremiums sehr deutlich. Direkt nach der Sitzung fasste der Landtagspräsident das so zusammen:

Schlie: "Das Wichtigste heute war, dass insbesondere der Landesvorsitzende der Sinti und Roma, Matthäus Weiß, uns Einblicke gegeben hat, Einblicke in das Leben der Sinti und Roma, in ihre kulturellen und tradierten Lebensweisen, weil das wichtig ist, um Verständnis zu entwickeln für die Besonderheiten, aber auch für die Probleme, die sich möglicherweise daraus dann ergeben."

Verständnis entwickeln – das ist nicht ganz einfach, wenn viele Fragen am Ende doch unbeantwortet bleiben oder nur teilweise im engsten vertrauten Kreis beantwortet werden. Tabus bestimmen noch immer viele Lebensbereiche der Sinti und Roma, und Tabu bedeutet eben auch, dass nicht darüber gesprochen wird, schon gar nicht mit Außenstehenden – ein Erklärungsversuch des Landesvorsitzenden Matthäus Weiß.

Weiß: "Schauen Sie, wir haben gewisse Sachen, die man einfach nicht kennt – zum Beispiel: Die Leute dürfen keine Ärzte werden, keine Polizisten, kein Richter. Wir dürfen nicht die Möbel nehmen, die vom Altersheim kommen oder wenn wir nicht wissen, woher die kommen – aus kulturellen oder Tabugründen heraus. Und das ist immer dann schwierig, den Menschen zu erklären."

Unreine Berufe, unüberwindbare Tabus
Missverständnisse und Konflikte sind noch immer beinahe alltäglich, wenn Sinti-Familien zum Beispiel eine vom Wohnungsamt zugewiesene Sozialwohnung ablehnen, weil darin vorher vielleicht eine Krankenschwester gelebt hat oder ein Schlachter. Solche Reaktionen haben ihre historischen Wurzeln in den starren Regeln des indischen Kastensystems, in dem bestimmte Berufe als unrein galten und deshalb mit unüberwindbaren Tabus belegt waren.

Viele Aspekte der traditionellen Lebensweise der Sinti und Roma führen immer wieder zu Situationen, in denen sie sich als Minderheit von der Mehrheitsgesellschaft ausgegrenzt fühlen. Wenn zum Beispiel Behördenmitarbeiter – nach den geltenden Regeln sicher zu Recht – nicht unbedingt Verständnis dafür aufbringen wollen, dass eine auf staatliche Unterstützung angewiesene Familie darauf beharrt, ein großes Auto samt Wohnwagen zu besitzen. Matthäus Weiß kennt viele solcher Fälle.

Weiß: "Wenn die Kinder Ferien haben, sind wir mit unseren Kindern, Enkelkindern, Urenkelkindern unterwegs, um denen zu zeigen, wie wir aufgewachsen sind, wie wir gelebt haben – dass die Kinder einen Bezug zu Kultur und Tradition bekommen. Und das ist schwierig, wenn eine Stadt sagt: Ihr dürft keinen Wagen haben, ihr dürft kein Zugfahrzeug haben – es steht euch nicht zu, weil die meisten sind Hartz-IV-Empfänger. Und ich denke mal, jetzt durch das Wort ‚Schutz‘ in der Landesverfassung, dass sich das damit auch ändern muss."

Dass die geänderte Landesverfassung nicht Einzelfragen wie den Anspruch auf einen Wohnwagen regelt, ist natürlich auch Matthäus Weiß klar. Die eigentliche Arbeit zum Schutz der Minderheit müsse im politischen und gesellschaftlichen Alltag stattfinden, betont er. Das neu geschaffene Minderheitengremium sei ein wichtiger Schritt, um für diese Arbeit eine solide Basis zu legen.

Weiß: "Ich denke, der Respekt gegeneinander muss neu erarbeitet werden, sage ich ganz einfach mal. Ich hoffe, dass das, was bisher in den Menschen, den Köpfen, vorgegangen ist – ‚der Zigeunerlump hat Loch im Strumpf‘ – dass dies alles mal ein Ende finden wird durch die Zusammenarbeit mit der Landesregierung."

Nur zur Klarstellung: Die Zusammenarbeit des Landesverbandes der Sinti und Roma mit der Landesregierung bzw. dem Landtag beginnt jetzt nicht etwa bei Null - sie hat in den vergangenen Jahren schon ganz gut funktioniert, betont die Minderheitenbeauftragte der Landesregierung, Renate Schnack.

Schnack: "Aber jetzt hat das eine andere Dimension bekommen und die Landtagsabgeordneten aller Fraktionen arbeiten jetzt auf Augenhöhe mit dem Landesverband zusammen. Das ist eine völlig neue Situation, das hat auch viel mit Symbolik zu tun und viel mit Würde und Anerkennung. Und daraus wird sich ganz sicher etwas Positives für die Sinti und Roma, aber auch darüber hinaus für Schleswig-Holstein entwickeln."

Es komme jetzt darauf an, Durchhaltevermögen zu zeigen, betont Renate Schnack. Einzelne Projekte, die bereits erfolgreich angelaufen seien, müssten fortgesetzt werden – eigentlich eine klare Konsequenz aus der Verfassungsänderung, sollte man meinen. Immerhin unterliegen damit Schutz und Förderung für die Sinti und Roma eben nicht mehr einer gewissen politischen Beliebigkeit. Renate Schnack appelliert deshalb eindringlich an alle Beteiligten.

Schnack: "Mein Interesse auch als Minderheitenbeauftragte wäre, dass es langfristige Projekte gebe. Man braucht viel Zeit, man muss auch den Familien viel Zeit geben, aber auch der Mehrheitsbevölkerung, den Ämtern, den Schulen, allen viel Zeit geben, um gute Lösungen zu finden, dass man nicht sich an den Problemen orientiert, sondern dass man nach Lösungen sucht. Und das geht eben nicht innerhalb kurzer Zeit."

Die Minderheitenbeauftragte Renate Schnack
Minderheitenbeauftragte Renate Schnack© dpa / pa / Rehder
Leben in zwei Kulturen
Als Beispiel nennt die Minderheitenbeauftragte das Stadtteilprojekt "Maro Temm – Kulturbewahrung und Integration". Maro Temm ist eine vor gut fünf Jahren gegründete genossenschaftliche Wohnsiedlung für 13 Sinti-Familien am Rand des Kieler Stadtteils Gaarden. Das Projekt soll die sozialen und kulturellen Kontakte zwischen der Siedlung und dem Stadtteil fördern und gleichzeitig vor allem die heutigen und späteren Kinder ermutigen und befähigen, sich langfristig in beiden Kulturen – in der eigenen und der Kultur der Mehrheitsgesellschaft – zurecht zu finden.

Dass ein ganz wichtiger Schlüssel dafür ein möglichst regelmäßiger Schulbesuch der Kinder ist, davon konnte die Leiterin des Projekts, Olga Andersch, die meisten Eltern in Maro Temm inzwischen weitgehend überzeugen. Mit viel Geduld ist es der Pädagogin sogar gelungen, junge Frauen aus der Siedlung zur ehrenamtlichen Mitarbeit zu bewegen – in einem Gemeinschaftsraum bieten sie Hausaufgabenhilfe und spielerisches Lernen für die Kinder an, organisieren Freizeitaktivitäten, Versammlungen und kleine Feste. Ein echter Glücksfall, meint Olga Andersch.

Andersch: "Wir haben größtes Glück gehabt, dass die Leute sich bereit erklärt haben, für sich etwas zu erreichen. Dass sie selber ‚Fachleute‘ für die eigene Kultur und für die eigene Situation sind."

Christiane Weiß ist eine der Frauen, die in dem Projekt mitarbeiten. Schulbildung, Ausbildung, Arbeit – diesen Weg wollte die 37-Jährige ihren drei Kindern unbedingt ermöglichen, darum hat sie sich von Anfang an ehrenamtlich engagiert.

Christiane Weiß: "Dieses Projekt hat mir sehr viel gebracht, indem ich meine Angst verloren habe meinen Kindern gegenüber – sie alleine zu lassen oder los zu lassen, ein Stück davon, noch nicht ganz, aber ich habe schon viel gelernt. Es hat mir so viel gebracht, dass meine Kinder alleine zur Schule gehen, nach Hause gehen, und meine Kinder hier ganz viel gelernt haben für die Schule – die Regelmäßigkeit, die vorher nicht da war."

Die Ängste der Eltern, vor allem der Mütter, zum Großteil übernommen von deren Eltern und Großeltern, sie sind in aller Regel das entscheidende Hindernis für einen regelmäßigen Schulbesuch der Kinder. Christiane Weiß hat diese Ängste weitgehend überwunden und kann jetzt auch anderen Müttern aus der Siedlung dabei helfen. Keine leichte Aufgabe, denn traditionell ist bei den Sinti die Familie immer für die Kinder da.

Weiß: "Unsere Kinder sind grundsätzlich nur bei uns, wir sind Hausfrau, 24 Stunden am Tag, nur für die Kinder da. Und unsere Kinder sind praktisch nie alleine, die sind nur bei uns in der Familie. Die gehen nicht alleine weg, nur mit Mama und Papa oder mit Cousine oder Cousin, die älter sind. Das sind solche Sachen, wenn ich weiß, meine Tochter geht alleine in die Stadt, dann werde ich ganz nervös – weil, ich habe Angst, dass meiner Tochter was passiert. Wir beschützen die Kinder zu viel."

Viele Roma-Eltern können schwer loslassen
Noch fällt es vielen Eltern in der Siedlung Maro Temm schwer, diesen Schutzinstinkt für ihre Kinder so weit auszublenden, dass ein regelmäßiger Schulbesuch zur Selbstverständlichkeit wird. Viele Eltern können eben noch nicht einfach so loslassen, aber ein Anfang ist gemacht, betont Olga Andersch.

Andersch: "Mich freut es besonders, dass wir es geschafft haben, dass die Menschen über ihre Ängste sprechen. Am Anfang war das nicht möglich, solche Themen wie Vergangenheitsbewältigung, was bedeutet für uns Schule, und und und. Es war keine Bereitschaft, sich überhaupt darüber auszutauschen. Und jetzt sind wir so weit, dass wir das offen sagen und dass es die Eltern sogar schaffen, ihre eigenen Ängste auf die Kinder nicht zu übertragen."

Und ausgerechnet in dieser Situation drohte nun ein Ende des Projekts "Kulturbewahrung und Integration". Ende März war die Finanzierung über das Förderprogramm "Soziale Stadt" ausgelaufen, zeitweise war unklar, ob es eine Anschlussfinanzierung durch die Stadt Kiel geben würde. Anfang Mai konnte der Leiter des Amts für Wohnen und Grundsicherung der Landeshauptstadt, Manfred Wagner, aber Entwarnung geben.

Wagner: "Die Ratsversammlung hat für dieses Jahr zunächst mal Mittel im Haushalt eingestellt, sodass wir nach dem derzeitigen Stand dieses Projekt bis Ende des Jahres weiterführen können."

33.000 Euro stehen für dieses Jahr noch bereit - keine einfache Entscheidung, ein augenscheinlich erfolgreiches Projekt im Rahmen der Minderheitenförderung nur befristet fortzusetzen, gerade mal ein halbes Jahr, nachdem Schutz und Förderung der betroffenen Minderheit in der Landesverfassung verankert wurden. Aber auch Minderheitenpolitik müsse sich nun einmal an den Realitäten orientieren, die finanzielle Lage der Landeshauptstadt lasse da nicht allzu viel Spielraum, betont Manfred Wagner.

Wagner: "Aber es ist schon mal ein Signal, dass auch Politik die Notwendigkeit sieht, dieses Modellprojekt weiterzuführen. Und es ist legitim, wenn man sich die Haushaltslage der Stadt Kiel mal anguckt, zu hinterfragen: Gibt es vielleicht noch andere Töpfe? Und das ist der eigentliche Hintergrund der Beschränkung noch der Mittel für dieses Jahr für dieses Modellprojekt, weil die Verwaltung beauftragt wurde zu prüfen, ob das Land bereit wäre, sich an der weiteren Finanzierung über das Jahr 2013 hinaus zu beteiligen. Das haben wir jetzt gemacht, wir haben an das Land geschrieben und warten jetzt erstmal auf die Antwort."

Mediatoren vermitteln zwischen Eltern und Lehrern
Man darf gespannt sein auf diese Antwort der Landesregierung, die, genau wie die Stadt Kiel, mit einer katastrophalen Haushaltslage kämpft. Immerhin schon seit einigen Jahren finanziert das Bildungsministerium des Landes ein weiteres Projekt: Kieler Schulen, an denen Sintikinder eingeschult werden, können die Hilfe sogenannter Mediatorinnen in Anspruch nehmen. Das sind speziell geschulte Fachkräfte, die den Kindern im Schulalltag helfen und bei kulturellen oder Sprachproblemen zwischen Eltern und Lehrern vermitteln. Dieses Projekt wird gerade deutlich ausgebaut, erläutert die Minderheitenbeauftragte der Landesregierung, Renate Schnack.

Schnack: "Die Mediatorinnen waren zunächst an einer Schule in Kiel, sind jetzt für ganz Kiel zuständig. Im Laufe der Jahre ist aber auch deutlich geworden, dass über ganz Schleswig-Holstein hinaus so ein Bedarf besteht – vielleicht sogar nachher auch mal für Ämter und Behörden, aber jetzt zunächst mal für Schulen. Und das hat das Bildungsministerium veranlasst, noch mal eine Erweiterung dieses Mediatorenprojektes zu machen, indem elf junge Menschen aus der Minderheit Bildungsberater und Bildungsberaterinnen werden."

Auch deren Hauptaufgabe wird es sein, die Rolle von Mittlern zwischen zwei Kulturen zu übernehmen. Keine leichte Aufgabe, auf die sie aber gut vorbereitet werden, betont Renate Schnack.

Schnack: "Wenn ich das richtig weiß, sind das zehn junge Frauen und ein Mann, die sich über ein Jahr fortbilden, um dann dieser Aufgabe gerecht zu werden in verschiedenen Schulen wirklich zu vermitteln zwischen Sinti-Denken, Sintikultur und den Anforderungen, die Schule stellt, und da Wege zu finden, Lösungen zu finden, also nicht Probleme zu beschreiben, sondern Lösungen zu finden, die beiden Seiten gerecht werden können."

Gut sechs Monate nach der Änderung der Landesverfassung tut sich also durchaus etwas in Schleswig-Holstein. Schutz und Förderung für die deutschen Sinti und Roma im Land stehen nicht nur auf dem Papier. Die Minderheitenbeauftragte ist zuversichtlich, dass vor allem die junge Generation von der aktuellen Entwicklung profitieren wird.

Schnack: "Für die jungen Leute liegt die große Chance darin, dass sie später mal in der Lage sein werden, in beiden Kulturen zu leben. Jetzt wachsen sie auf in ihrer Sintikultur, aber wenn sie den Weg gehen, auch den begleiteten Weg gehen, in die Schule gehen, vielleicht auch eine Ausbildung machen, dann werden sie auch lernen, sich in der Mehrheitsbevölkerung zurecht zu finden. Und dann haben sie beides – dann können sie ihr Sintileben leben und dennoch an den Gelegenheiten, die die Mehrheitsbevölkerung bietet, teilnehmen."

Und auch der Landesvorsitzende der Sinti und Roma in Schleswig-Holstein sieht die Fortschritte – auch wenn Matthäus Weiß in den letzten Wochen und Monaten viel im Land unterwegs war, um "seinen Leuten", wie er sagt, immer wieder zu erklären, was die Verfassungsänderung denn nun konkret bedeute, dass sich damit natürlich nicht alles von heute auf morgen ändern werde, dass es aber in kleinen Schritten voran gehe. Vor allem vielen Älteren, berichtet er, falle es noch immer schwer, nach Jahrhunderten der Diffamierung als "Zigeuner", nach dem kollektiven Trauma der Verfolgung durch das Naziregime, auf echte Veränderungen zu vertrauen. Für diese Generation ist die Aufnahme der Sinti und Roma in die Landesverfassung auf jeden Fall ein symbolischer Akt – und sie bedeute Hoffnung für die Enkel und Urenkel.

Weiß: "Zum Teil ist es eine moralische Wiedergutmachung an unseren Menschen, auch für die, die die Konzentrationslager überlebt haben. Ich hoffe, dass dies hier tatsächlich für unsere Enkelkinder und deren Kinder etwas sein wird, dass die sagen können: Ja, der Opa, der hat für uns nach 22 Jahren etwas durchgesetzt, wo auch der Schutz unserer Nachkommen gewährt ist. Und das ist das, was ich eigentlich auch erreichen wollte."
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