Unsichere Literaten in der Fremde

29.08.2007
Viele Geistesgrößen wurden von den Nazis ins Exil gezwungen. Einige von ihnen landeten in Kalifornien und pflegten dort die alten Kontakte und Abneigungen. Wie es den deutschen Exilanten nie gelang, das Gefühl der Fremdheit zu überwinden, schildert Michael Lentz in seinem historischen Roman "Pazifik Exil".
"Die Fremdheit ist ungeheuerlich" - so lautet der Kernsatz eines Gespräches, das die beiden deutschen Schriftsteller Daniel Kehlmann und Michael Lentz im Frühjahr dieses Jahres über ein Thema führten, das ihre jüngsten Romane verbindet: Die literarische Verarbeitung historischer Stoffe. Die Geschichte, deren Fremdheit sich Michael Lentz in dem Roman "Pazifik Exil" annähert und die er sich subjekiv zu eigen macht, liegt sechs Jahrzehnte zurück und berührt eine Urszene deutscher Kultur des 20. Jahrhunderts: Die vom Nationalsozialismus erzwungene Auswanderung von Künstlern und Intellektuellen nach Amerika, auf oftmals abenteuerlichen, riskanten und demütigenden Wegen.

So unterschiedlich ihre Bücher, ihre ästhetischen Positionen, ihre politischen Ansichten sein mögen - was Heinrich und Thomas Mann, Franz Werfel, Lion Feuchtwanger, Bertolt Brecht in den 40er Jahren des vergangenen Jahrhunderts verbindet, ist das Schicksal der Heimatlosigkeit und der Heimatsuche in einer fremden Sprache, einer fremden Gesellschaft und einer fremden Kulturindustrie.

Thomas Mann, getragen von der selbstsicheren Überzeugung "Wo ich bin, ist Deutschland", kam vergleichsweise souverän und komfortabel mit dem Exil zurecht. Sein Bruder, Heinrich Mann, begleitet von der Ehefrau Nelly, litt in jeder Hinsicht. Bertolt Brecht fröstelte in Amerika und merkte schnell, dass das reale Amerika sich von seinen jugendlichen Amerika-Projektionen himmelweit unterscheidet.

Franz Werfel kann nur schwer seine Ängste überwinden, die vor allem Unbekannten aufragen und ist als Kettenraucher dicker Zigarren der Überquerung der Pyrenäen und der strapaziösen Schiffsreise schon körperlich kaum gewachsen, was Alma Mahler-Werfel noch stärker als zuvor animiert, das Regime über die Ehe mit strenger Hand auszuüben. Schönberg trauert einem verliehenen Sessel nach, den er einst in der Überzeugung gekauft hat, der Sessel stamme aus dem persönlichen Besitz Richard Wagners, und längst zurückbekommen hat.

Dass die deutschen Künstler im kalifornischen Exil enge Kontakte, aber auch alte Ressentiments, Eifersüchteleien, Vorlieben und Abneigungen pflegten, ist aus vielen historischen Quellen bekannt. Michael Lentz greift in seinem Roman auf diese Quellen zurück, verdichtet und gestaltet sie aber in fiktionalen Szenen, die sich auf nichts als seine literarische Phantasie berufen.

Die Olympiker der deutschen Literaturgeschichte werden in "Pazifik Exil" zu literarischen Kunstfiguren mit ganz und gar menschlichen Stärken, Schwächen und Sorgen. Lentz verleiht ihnen Stimmen, eignet ihnen Gedankengänge und fiktionale Dialoge zu, er vergegenwärtigt ihre Exilgeschichte in der Erzählzeit des Präsens und lässt den Leser teilnehmen wie einen Theaterzuschauer im Parkett. Das Stück, das er auf der Bühne sieht, ist keineswegs nur tragisch. Mit gespitzter Ironie zeigt Michael Lentz auch die komischen Seiten des deutschen "Pazifik Exil" und seiner ungeheuerlichen Fremdheit.

Rezensiert von Ursula März

Michael Lentz: "Pazifik Exil"
Roman, S. Fischer Verlag, Frankfurt 2007
459 Seiten. 19,90 Euro