Unsentimental und mit einiger Härte

23.07.2013
Eine Geschichte aus dem Amerika der Großen Depression nicht mit den Mitteln Hollywoods erzählt, sondern als Comic - das ist das Wagnis von James Vance, dem Texter, und Dan E. Burr, dem kongenialen Illustrator. Die beiden holen dabei weit aus und erfüllen eine große historische Epoche mit Leben.
Comics sind traditionellerweise das Medium eines fantastischen Eskapismus. In die entgegengesetzte Richtung gehen der Autor James Vance und der Zeichner Dan E. Burr mit ihrer Graphic Novel "Auf dem Drahtseil". Vance und Burr erzählen eine realistische, eng an historische Ereignisse angelehnte Geschichte aus dem Amerika der Großen Depression, eine Geschichte vom Kampf der Gewerkschaften und von den brutalen Gegenmaßnahmen der Konzerne und des Staates.

Im Zentrum steht ein junger Mann, Fred Bloch. Er ist ein alter Bekannter, denn er stand bereits in Vance‘ und Burrs Graphic Novel "Kings in Disguise" aus dem Jahr 1988 im Mittelpunkt. Der Band hatte dem Autoren-Team damals größte Anerkennung gebracht, einen Harvey und zwei Eisner Awards; in den USA und in Großbritannien wurde "Kings in Disguise" mehrfach in Auswahllisten für die herausragenden Comicbücher des 20. Jahrhunderts aufgenommen. 25 Jahre später sind Vance und Burr nun zu Fred Bloch zurückgekehrt.

Fred arbeitet als Gehilfe eines Entfesselungskünstlers bei einem Zirkus, der von der Works Progress Administration betrieben wird. Das war die größte Arbeitsbeschaffungs-Agentur des New Deal, die vor allem Jobs für ungelernte Arbeiter organisierte, aber auch künstlerische Projekte und Unterhaltungsangebote wie den Zirkus.

Fred hat dort eine Aufgabe am Rand des Todes. Er muss den Entfesselungskünstler vom Galgen stoßen, so dass der sich noch im Fallen von seinen Fesseln befreien und retten kann. Am Rand des Todes oder, wie es im Buchtitel heißt, "Auf dem Drahtseil" steht Fred aber auch in einem anderen Sinn: Er sympathisiert mit den Kommunisten und dient einer Gewerkschaftsgruppe als verdeckter Nachrichtenübermittler. Zwei Agenten einer Streikbrecherorganisation sollen diesen Nachrichtenkanal aufspüren, auf der Suche nach Fred Bloch haben sie schon mehrere Menschen getötet.

James Vance treibt diese Verfolgungsgeschichte und ihre Einbettung in das Jahr 1937 im Text ohne Umschweife voran, unsentimental und mit einiger Härte. Den größten Eindruck machen dabei die Zeichnungen von Dan E. Burr. Sie sind fast naturalistisch, klar und filigran gearbeitet, mit großer Aufmerksamkeit für Details und die sorgfältig ausgestalteten Texturen der Hintergründe, mit leichten, sparsam eingesetzten Überhöhungen durch Lichteffekte und plötzlich aufscheinende zärtliche Gesten der Figuren. Dass einem die Geschichte von Fred Bloch und der Menschen um ihn herum so nahe kommt, auch die Selbstzweifel und Schuldgefühle der komplexeren Figuren, das ist Dan Burrs Zeichenkunst zu verdanken.

Ohne einen einzigen direkten Bezug zur Gegenwart wirkt diese Erzählung aus der Zeit der Großen Depression ausgesprochen aktuell. Andere Autoren haben mit den Mitteln des Comics hervorragende Reportagen oder Autobiographien erzählt. James Vance und Dan E. Burr zeigen, dass ein Comic-Buch auch eine große historische Erzählung sein kann.

Besprochen von Frank Meyer

James Vance und Dan E. Burr: Auf dem Drahtseil
Aus dem Amerikanischen von Egbert Hörmann
Walde und Graf bei Metrolit, Berlin 2013
256 Seiten, 24,99 Euro


Links auf dradio.de:

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