Unrecht im Namen des Gesetzes

Von Annette Wilmes · 17.02.2007
Im Nürnberger Juristenprozess wurde 1947 mit großer Sorgfalt aufgearbeitet, wie Richter als willfährige Instrumente der nationalsozialistischen Machthaber gedient und dabei Verbrechen begangen hatten. In der deutschen Öffentlichkeit fand das Verfahren allerdings kaum Beachtung.
15 ehemalige Justizbeamte, Richter und Staatsanwälte saßen vom 17. Februar bis zum 4. Dezember 1947 im Juristenprozess auf der Anklagebank. Brigadegeneral Telford Taylor, Hauptankläger in Nürnberg, sagte am 17. Februar 1947 in seiner Eröffnungsrede, der Fall sei ungewöhnlich, weil es um Verbrechen gehe, die im Namen des Gesetzes begangen wurden.

"Besonders bestürzend war für angelsächsisches Denken, dass das Rechtssystem korrumpiert war."

Ingo Müller, Professor für Strafrecht in Hamburg und Autor des Buches "Furchtbare Juristen":

"Und dass diese Verbrechen, diese Justizverbrechen begangen wurden unter Benutzung des Rechts oder ganz pointiert ausgedrückt, wie es in dem Urteil steht, 'der Dolch des Mörders war unter der Robe des Juristen verborgen', dass ein Rechtssystem prostituiert wurde zu verbrecherischen Zielen, das ist noch eine neue, höhere Dimension des Unrechts."

Die Symbolfigur der konservativen Juristen jener Zeit war der ranghöchste Angeklagte im Nürnberger Juristenprozess: Dr. Franz Schlegelberger, langjähriger Staatssekretär und zeitweilig kommissarischer Justizminister. Er und zwei weitere Staatssekretäre, Curt Rothenberger und Herbert Klemm, wurden für die Korrumpierung des Rechtssystems zur Verantwortung gezogen, für Gesetze und Verordnungen, die dazu geschaffen wurden, Polen und Juden auszurotten, zum Beispiel die Polen- und Judenstrafrechtsverordnung oder der Nacht- und Nebelerlass.

"Die Polen- und Judenstrafrechtsverordnung die einen extrem kurzen, unfairen Prozess beinhaltete. Und der Nacht- und Nebelerlass, der im Justizministerium ausgearbeitet wurde, das war ein Erlass zur Beseitigung von inhaftierten Widerstandskämpfern aus den besetzten Gebieten, den besetzten Ländern. Die Leute des Justizministeriums waren im Übrigen auch angeklagt für ausgesprochen administrative Maßnahmen, die waren durch die Zuchthäuser gegangen und hatten Gefangene selektiert, die zur Vernichtung durch Arbeit aussortiert wurden aus den Zuchthäusern. Also das ist ein anderer Vorwurf."

Ein Anruf Hitlers bei Schlegelberger genügte, um eine Gefängnisstrafe in eine Todesstrafe umzuwandeln, die dann auch sofort vollstreckt wurde. In Nürnberg waren auch Richter der Sondergerichte angeklagt, die besonders brutal gegen Juden und Zwangsarbeiter vorgingen. Richter Oswald Rothaug zum Beispiel verurteilte Leo Katzenberger zum Tode, nur weil er Jude war. Zwei polnische Zwangsarbeiterinnen verurteilte Rothaug innerhalb einer Stunde wegen Sabotage zum Tode, obwohl beide ihre vor der Gestapo gemachten Aussagen widerriefen. Einem polnischen Zwangsarbeiter, der auch zum Tode verurteilt wurde, bescheinigte er, so wörtlich, "charakterliche Minderwertigkeit", und sprach vom "polnischen Untermenschentum".

Das Nürnberger Militärgericht verfolgte jedoch nicht nur Straftaten, sondern zeigte auch, wie den Juden mithilfe des Zivilrechts die bürgerlichen Rechte nach und nach aberkannt wurden.

"Dies Abschneiden der bürgerlichen Existenz, der bürgerliche Tod, in den man die Juden geschickt hatte, lange vor Auschwitz und Majdanek, der ist dort auch zur Sprache gekommen."

Die obersten Repräsentanten der Justiz konnten nicht mehr vor Gericht gestellt werden, sie waren tot. Fanatische Nazis wie Freisler oder Thierack hätten die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit angezogen. Die übrigen Angeklagten hätten leichter ihre eigene Schuld auf diese Dämonen abladen können. Die tiefe Verstrickung des überwiegend konservativen Juristenstandes in das Terrorsystem wäre vermutlich nicht offenbar geworden.

Schlegelberger, Rothaug und zwei weitere Angeklagte im Juristenprozess wurden zu lebenslanger Haft verurteilt. Die anderen erhielten Zuchthausstrafen von fünf, sieben und zehn Jahren, vier Angeklagte wurden freigesprochen. Keiner wurde wie in früheren Prozessen mit dem Tode bestraft. Alle Verurteilten waren schon nach wenigen Jahren wieder in Freiheit.

"Der Hauptangeklagte Schlegelberger, übrigens aus Gesundheitsgründen Anfang der 50er Jahre entlassen, hat noch 20 Jahre gelebt danach und hat noch Unmengen publiziert, also so krank kann er auch nicht gewesen sein."

Im Nürnberger Juristenprozess wurde mit großer Sorgfalt aufgearbeitet, wie Richter und Funktionäre als willfährige Instrumente der nationalsozialistischen Machthaber gedient und dabei Verbrechen begangen hatten. In der deutschen Öffentlichkeit fand der Prozess jedoch kaum Beachtung. Vor allem in der Fachöffentlichkeit wurde er so gut wie totgeschwiegen. Wie alle Nürnberger Verfahren war auch der Juristenprozess ein Beispiel dafür, wie schlimmstes Unrecht nicht nur zur Sprache gebracht, in großen Teilen aufgeklärt, sondern auch noch in einem fairen Verfahren abgeurteilt werden konnte. Das "fair trial" ist eine der Botschaften aus Nürnberg, die bis in die heutige Zeit reichen.
Mehr zum Thema