Universitäre Sammlungen (1)

Die Klavierrollen der Uni Frankfurt

Die Universität in Frankfurt am Main
Im Institut für Musikwissenschaft der Goethe-Universität Frankfurt am Main lagern Hunderte von Papierrollen für spezielle selbstspielende Klaviere. © picture-alliance / dpa / Frank Rumpenhorst
Von Ludger Fittkau · 20.07.2015
Dissidenten-Nachlässe, Herbarien, Moulagen: In akademischen Archiven lagern unglaubliche Schätze, von denen wir kaum etwas wissen. Zum Auftakt der Reihe "Universitäre Sammlungen" stellt ihnen Ludger Fittkau die Klavierrollen der Uni Frankfurt vor. Ein Medium, das vor über 100 Jahren einen regelrechten Boom erlebte.
Die Tarantella "Venezia e Napoli" von Franz Liszt, gespielt von Eugen d'Albert. Sie kommt von einer Papierrolle, in die Löcher gestanzt sind. Auf einer Holzspule ist diese Rolle in ein mechanisches, selbstspielendes Klavier eingesetzt, das im Institut für Musikwissenschaft der Goethe-Uni Frankfurt am Main steht.
Britta Schulmeyer, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Instituts:
"Ein Duca- Rollenklavier, wie es auch draufsteht, von der Firma Philipps. Dieses Klavier ist eine etwas eigenartige Konstruktion, weil es den Mechanismus zum Mitspielen hat, weil es Klaviere gab, wo man eigenständig an der Dynamik mitarbeiten konnte. Aber die Rollen sind dafür nicht gedacht. Also im Augenblick funktioniert es wie ein einfaches Rollenklavier, wo die Rolle schon alles hergibt, was getan werden soll."
Ein Blasebalg im Inneren des Klaviers
Die Papierrolle läuft im Klavier über einen Spalt. Mittels eines mechanisch bewegten Blasebalgs wird Luft durch die Löcher im Papier gedrückt. Der je Größe und Lage der Löcher auf dem Papier variierende Luftdruck löst den passenden Klavierhammer aus. Dieser schlägt dann die Saite an, der Ton erklingt.
Gegenüber stehen Regale mit Pappschachteln, in denen weitere Papierrollen lagern. Man weiß nicht mehr genau, wie die Töne damals in den Papierstreifen gestanzt wurden. Vermutlich wollten die Erfinder aus Angst vor Konkurrenten nichts Genaues preisgeben.
"Rollen haben wir etwa 950. Es gibt natürlich noch sehr viel mehr hier, aber es ist schon eine ziemlich umfangreiche Sammlung von Rollen der Firma Philipps. Das Ganze hat sich zu Beginn des letzten Jahrhunderts eingespielt, das Klavier ist also knapp 100 Jahre alt. Auch die Rollen, auch das Papier. Und ich bin immer wieder fasziniert, wie akkurat das Papier mit den Löchern auf den Rollen auch heute noch läuft."
Die Schallplatte beendete den Boom
Thomas Betzwieser: "Das ist für privaten Gebrauch gedacht. Das heißt, man hatte ein Klavier zu Hause stehen, ein selbst-spielendes Klavier und das ist eigentlich – in Anführungszeichen – zur reinen Wiedergabe dieser Musik gedacht. Es gibt natürlich noch andere System, dort kann man selbst noch am Klavier manipulieren also gewissermaßen selbst interpretieren, das gibt es auch. Aber wir sehen natürlich gerade am Anfang des 20 Jahrhunderts ist ein Boom solcher Klaviere. Aber der Markt bricht in dem Moment zusammen, zumindest in Amerika, wo die Schallplatte existiert. Also das ist eigentlich ein früher Musikkonserven-Gebrauch, so kann man es beschreiben."
Professor Thomas Betzwieser leitet die Musikwissenschaft an der Goethe-Uni in Frankfurt am Main, die die einzigartige Klavierrollen- Sammlung beherbergt. Die 1886 gegründete Frankfurter Firma Piano-Instrumenten-Fabrik J. D. Philipps spezialisierte sich schon früh auf mechanische Klaviere. Verkauft wurden sie an Privathaushalte – aber auch an Gastwirte als eine Art frühe Jukebox.
Die Rollen der Frankfurter Sammlung wurden zwischen 1907 und 1912 eingespielt, so Britta Schulmeyer:
"Bei den Pianisten gibt es Hauspianisten, die das meiste eingespielt haben. Und wenn ein bekannter Künstler zum Beispiel in der Oper gastiert hat, da ein Klavierkonzert gegeben hat, dann hat Philipps gesagt: Mache eine Tag länger, komme zu uns und spiele dann auch noch bei uns was ein. Das heißt, wir haben dann immer so Blöcke, wo dann immer fünf, sechs Rollen mit einem Namen hintereinander sind. Dann kann man immer auch rekonstruieren, der war dann und dann in Frankfurt und hat konzertiert und hat dann auch ein paar Rollen aufgenommen und zog dann wieder weiter."
Prominente Pianisten verpflichtet
Der Musikwissenschaftler Thomas Betzwieser deutet auf die Plakate, die an der Wand hinter dem Klavier hängen. Darauf sind einige der Pianisten vorgestellt, die die Rollen eingespielt haben:
"Und sie sehen ja, welche prominente Namen hier sind: Also zum Beispiel Feruccio Busoni oder Ernst Toch, Camille Saint-Saëns - ganz wichtig - und Eugen d'Albert. Die Firmen haben versucht, prominente Namen zu verpflichten, die auch für andere Firmen eingespielt haben, um eine gewisse Attraktivität hineinzubringen.
Musikwissenschaftlich interessant ist die Papierrollen-Sammlung vor allem für die sogenannte "Interpretationsforschung". Dafür soll die Sammlung bald auch digitalisiert werden - wenn das Geld dafür aufzutreiben ist:
"Das Repertoire ist relativ gemischt. Es gibt also Potpourris und Schlager, was man heute eher der Unterhaltungsmusik zurechnen würde."
Doch der weitaus größte Teil der Sammlung besteht aus Rollen mit klassischer Musik, die von vor 100 Jahren sehr bekannten Pianisten eingespielt wurden. Die Aufnahmen vergleichen die historischen Musikwissenschaftler mit anderen Interpretationen.
"Die Hauptsache ist die Interpretationsforschung."
Eine schöne Nebensache sind jedoch die Konzerte, die in der Goethe-Uni regelmäßig mit den Klavierrollen stattfinden.

Einzigartig aber vernachlässigt
Klavier-Tanzrollen, Dissidenten-Nachlässe, Herbarien, Moulagen: In deutschen Universitäten lagern unglaubliche Schätze, von denen wir nichts oder kaum etwas wissen. Denn oft sind die wertvollen Sammlungen in Abstellräumen oder Kellern versteckt. Unsere Fazit-Reihe "Universitäre Sammlungen" hebt diese verborgenen Schätze wieder ins Bewusstsein.

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