Ungewohnte Klänge einer Punk-Oper

Von Jörn Florian Fuchs · 26.06.2007
Der bosnische Filmemacher Emir Kusturica hat an der Pariser Oper Bastille erstmals eine Punk-Oper aufgeführt. Das knapp dreistündige Stück mit dem Titel "Zeit der Zigeuner" lehnt sich an den gleichnamigen Film an, für den Kusturica 1989 in Cannes den Regiepreis gewonnen hat.
Die Tatzeit: Dienstagabend, 19 Uhr 30. Der Tatort: Paris, Opéra de la Bastille. Der Täter: Kusturica, Emir. 52 Jahre alt. Filmemacher, Ex-Juryvorsitzender in Cannes, Musikliebhaber.
Ungewohnte Klänge erobern an diesem Abend die Bastille-Oper. Und das auf ausdrücklichen Wunsch des Intendanten Gerard Mortier.

Denn Mortier brachte Kusturica schon vor Jahren auf die Idee, eine Punk-Oper zu schreiben. Das Ergebnis kann sich hören und sehen lassen. 1989 erhielt Kusturica in Cannes die Goldene Palme für seinen sehr eigenwilligen Film ("Time of the Gypsies") über den Jungen Perhan, der erst von seiner Geliebten Asra getrennt wird, dann seine Schwester an einen zwielichtigen ‚Helfer’ verliert und nach Jahren in sein Heimatdorf zurückkommt, um den Onkel brutal hinzurichten. Der hatte nämlich in der Zwischenzeit Asra geschwängert…

Auf der Opernbühne gibt es diese Geschichte nur andeutungsweise, die melancholische Atmosphäre des Films opfert Kusturica zu Gunsten einer launig-turbulenten Revue aus ständigen Szenewechseln und aufgeheizten Beats irgendwo zwischen Balkanpop, Folk und manchmal auch einer Parodie der klassischen romantischen Oper.
Rasch geht es von einer grünen Wiese in die Stadt. Wohnwagen, Autos, Fahrräder bevölkern die Bühne, dann werden blitzschnell ganze Häuser aus dem Boden gestampft und stürzen kurze Zeit später wieder in sich zusammen. Wo wir gerade sind, das deuten Videos auf einer großen Leinwand an, die Städtenamen und Landschaften zeigen.

Aus dem Graben liefern das No Smoking Orchestra sowie die Garbage Serbian Philharmonia bissige Flageoletts, satte Bässe und punktierte Achtel. Wenn’s dann doch mal ruhig wird, kommen Flöten und sogar eine Harfe zum Einsatz.

Gesungen wird fast ausschliesslich in der Sprache der Roma, ein paar englische Einsprengsel verweisen auf das Amerika von George W. Bush und kulturelle Errungenschaften wie MTV oder Fox News. Aber auch David Beckham kriegt sein Fett ab.

Mit Oper und auch mit Punk hat das Ganze eher am Rande zu tun, vielmehr ist dieser grelle Musikclip spassige Unterhaltung, nicht mehr, aber auch nicht weniger. "Le Temps des Gitans" hat Tempo und Rhythmus, allerdings so viel, dass einem gelegentlich fast die Ohren platzen, was vor allem an den übersteuerten Mikroports liegt.

Neben den satten, lauten Bässen gab es aber noch einen anderen, sehr lebendigen Hintergrundbeat: das Geschnatter von Gänsen, die sich immer wieder neu gruppierten und all dem Krach irgendwie entfliehen wollten - was ihnen nicht gelang.

Besetzungstechnisch war höchstes Niveau geboten, alle Sänger schlugen sich wacker, ganz besonders Stevan Andjelkovic als Perhan und Nenad Jankovic als bösester Bösewicht von allen. Dejan Sparavalo schrieb nicht nur einen Großteil der Musik, sondern spielte auch noch einen skurillen Doktor auf der Bühne. Und Zoran Komadina hielt den Laden musikalisch zusammen, er heizte den Mitgliedern des No Smoking Orchestra sowie der Garbage Serbian Philharmonia kräftig ein.

Das Publikum war begeistert und feierte alle Mitwirkenden wie Popstars, vor allem den sichtbar entspannten Hauptverantwortlichen.