Falten für die Zukunft

Origami in Industrie und Forschung

Gefaltete Origami-Bögen
Die meisten Menschen verbinden mit Origami das Falten von Kranichen und Papierschiffchen - dabei gibt es viele wichtige Anwendungsfelder © picture alliance / dpa
Von Anna Seibt · 26.11.2015
Was haben das Sonnensegel einer Raumsonde, ein Airbag und ein Cabrioverdeck gemeinsam? Sie alle müssen platzsparend gefaltet werden, bevor sie zum Einsatz kommen. Wir treffen die Designerin Kristina Wißling, deren Hauptberuf das Falten ist.
"Das ist Zeichenpapier in 160 Gramm, das ist gut, wenn ich die Faltpläne am Rechner anlege und daraus kann man sehr schnell gute Modelle bauen, das wird dann halt in den Plotter eingelegt und die Faltlinien lassen sich hier gut einprägen. Das ist eigentlich mit mein Lieblingsmodellbaufaltpapier für die ersten Prototypen - könn mer gleich mitnehmen, nehmen wir das."
Kristina Wißling ist in ihrem Element. Um sie herum Papier, Pappe, Folien – alles Materialien, die sich hervorragend falten lassen. Falten – das ist Wißlings Beruf. Die Designerin hat sich auf Falttechniken, hauptsächlich Origami, spezialisiert. Wenn Ingenieure und Fachleute aus der Industrie nicht mehr weiterkommen, springt Kristina Wißling ein und denkt sich kreative Faltlösungen aus.
"Oft gehts darum, große Flächen zu verkleinern, aus räumlichen oder funktionalen Gründen. Dann das zweite ist: Falten sorgen für Stabilität. Wenn ich flächige Materialien hab, in denen keine Falte drin ist, das ist natürlich sehr flexibel das Material und wenn ich Falten einbringe, kann ich es dadurch belasten. Dann halt die schockabsorbierenden Eigenschaften, die das Material bekommt oder einfach gemäß des Origamis, dass ich Bauteile aus einem Stück konstruieren kann, ohne dass geklebt und geschnitten werden muss."
Um aus Wißlings Prototyp aus Papier oder Folie ein fertiges Produkt herzustellen, gibt es noch viel zu bedenken. Handelt es sich um starre Materialien, werden diese nicht gefaltet, sondern durch Gelenke miteinander verbunden. Dann spricht man von Rigid Folding. Faltbare Materialien hingegen können maschinell in Form gebracht werden.
Auf das Wort "Basteln" reagiert Wißling allergisch
"Das ist eigentlich auch immer eine der ersten Fragen, die ich dann stelle, aus welchem Material wird das später gefertigt? Aber ich erlebe oft, dass das am Anfang überhaupt keine Rolle spielt. Trotzdem muss ich natürlich irgendwann wissen, darf das jetzt flexibel sein, das Material, oder sind das Plattenstrukturen. Wenn man die Faltpläne konstruiert, dann muss ich natürlich wissen, darf sich das Material dehnen, ist das flexibel oder hab ich ne Platte und nicht jeder Faltplan, den ich für flexible Materialien konstruiere, damit kann ich dann teilweise keine Platten falten."
Dabei hat ihre Arbeit nur noch entfernt mit dem Falten eines Kranichs oder eines Segelboots zu tun, Faltfiguren, die wohl die meisten Menschen mit Origami verbinden.
"Origami kommt aus dem Japanischen, setzt sich auch aus zwei Begriffen zusammen: Erstmal 'Oru', das heißt Falten und 'Kami', Papier und der grundsätzliche Gedanke ist eigentlich, man hat eine Fläche und bearbeitet diese ohne zu kleben und zu schneiden. Was sich aber in den letzten Jahren deutlich weiterentwickelt hat. Es sind neue Falttechniken hinzu gekommen - wie Wet Folding, Curved Folding, Crumbling, Tesselationen. Das hat sich alles so in den letzten Jahrzehnten weiterentwickelt."
Auf das Wort "Basteln" reagiert Wißling allergisch. Zu oft muss sie den Wert ihres Fachwissens verteidigen und harte Überzeugungsarbeit bei potentiellen Kunden leisten.
"Den Anfang erstmal damit zu wagen, sich auf Origami zu spezialisieren, dann in industriellen Bereichen vermarktet, verkauft zu bekommen, obwohl es fast keiner kennt, ne, das sind große Hürden mit denen man erstmal zu kämpfen hat, also wirklich von wegen: 'Nee, das ist jetzt kein Basteln, sondern das ist interessant für euer Unternehmen, genau für das, was ihr produziert.'"
Klappen, Falten oder Knicken
Dabei ist Kristina Wißling auf keine Branche spezialisiert. Sie arbeitet für alle, die etwas zum Klappen, Falten oder Knicken haben.
"Verpackungsindustrie, Sicherheitstechnik ... auch viele von denen ich gar nicht gedacht hätte, dass die anrufen. Es ging zum Beispiel einmal um eine Manufaktur, die Gläser herstellt, da hätte ich ja von mir aus nie selber angerufen, weil ich gedacht habe, Falttechnik und Gläser, wie geht das zusammen? Aber die ham sich dann auch gemeldet und es ging darum, Verpackungen zu entwickeln für diese Gläser, weil die hoch sensibel waren und transportiert werden mussten. Und die waren sehr staubempfindlich und wie kann man dann Verpackungen entwickeln, die keine Schnittkanten haben, von denen quasi Staub abgeht und wie kann man diese Verpackung dann aus einem Stück konstruieren ohne Schnittkanten zu haben?"
Auf der Homepage des Origami Ressource Center bekommt man einen Eindruck, wie vielfältig die Anwendung von Origami in Industrie und Forschung ist: Wissenschaftler der Arizona State University haben eine faltbare Litium-Ionen-Batterie entwickelt. In Japan forscht man an flexiblen Antennen, mit deren Hilfe man Kommunikationsgeräte in Kleidung einbauen könnte. Und auch Zellen und DNS-Stränge werden gefaltet, um damit zukünftig Krankheiten heilen zu können.
"Vision ist natürlich die Welt und vieles immer mehr in Falten zu legen. Man merkt auch, dass es deutlich mehr wird. Und die Industrie es mittlerweile für sich entdeckt hat und man sieht's mittlerweile überall, im Bereich Medizintechnik, wenn's darum geht halt Implantate klein zu falten, die sich dann groß auffalten, im Bereich Notfallarchitekturen, Industriefilter werden gefaltet. Also ich glaube, dass es in Zukunft noch in viel mehr Bereichen Einzug hält."
Zum Abschluss des Gesprächs nimmt Kristina Wißling ein Blatt Zeichenpapier zur Hand...
"So, jetzt dreh ich das Papier um ... mach hier rein noch eine Bergfalte..."
und faltet einen
"Kranich - und das ist das japanische Symbol für Glück und Frieden."
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