Unerwartete Rückkehr

10.09.2009
Wir lernen die Protagonistin Gita Lauschmannova erstmalig als 16-jähriges Mädchen im Sommer 1945 kennen. Sie hat Auschwitz überlebt und kehrt voll banger Hoffnung zurück in ihr böhmisches Heimatdorf.
Im Elternhaus trifft sie auf neue, fremde Bewohner. Gitas ermordeter deutsch-jüdischer Vater - bis zu seiner Deportation 1942 Fabrikbesitzer und wichtigster Arbeitgeber am Ort - wurde wegen vorgeblicher Kollaboration enteignet, sein stattlicher Besitz schnell unter der Dorfbevölkerung aufgeteilt. Die unerwartete Rückkehr der einzigen Lauschmann-Überlebenden kommt ungelegen. Sie wird misshandelt und überlebt nur knapp.

Als 60 Jahre später ihr deutscher Vater und ihre tschechische Mutter rehabilitiert werden, kommt die Prager Ärztin Gita Lauschmannova 76-jährig in Begleitung eines Anwalts zurück in ihr Heimatdorf Puklice, um das Unrecht an ihrer Familie zumindest juristisch zu sühnen. Aber erneut trifft sie auf eine feindliche Dorfgemeinschaft, die mit perfiden Mitteln alles versucht, um Gitas Rückkehr zu verhindern. Nicht die Zeiten sind schlecht, es sind die Menschen – kurz nach dem Krieg genau so wie im scheinbar friedlichen Tschechien des Jahres 2005.

Im Untertitel des tschechischen Originals hat Radka Denemarkova ihr Buch "Sommermosaik" genannt. Einzelne Episoden aus Gitas Leben verdichten sich wie in einem Brennglas an ihrem Geburtsort. Hier wird sie unfreiwillig mit ihrer Vergangenheit konfrontiert, (u. a. mit lange verdrängten Ereignissen in den 50er-Jahren). Hier ist der im Buchtitel mit bitterem Sarkasmus benannte herrliche Flecken Erde. In Wirklichkeit ist er der "Stachel in Gitas Leben", den sie vergeblich herauszureißen versucht und der ihr stattdessen ein immer dichteres Mosaik ihrer Erinnerungen abtrotzt.

Gitas psychische Konstitution - ihre Labilität, ihre Zerbrechlichkeit und gleichzeitig das verzweifelte Streben nach Contenance und Ordnungswillen - spiegelt sich in formalen Aspekten des Buchs. Einerseits ist die Struktur streng festgelegt - mit Prolog, Epilog und sechs Kapiteln, die je eine Rückkehr nach Puklice beschreiben. Es finden sich auch Elemente der antiken Dramenform bei der Darstellung der Dorfgemeinschaft (als kommentierender Chor) und eine kathartische Figur, die Gita beisteht. Dazu im Gegensatz steht die nervöse, kurzatmige Ich-Erzählung: eine expressive, bildreiche Sprache mit staccato-artiger Syntax. Gitas geschundener Kopf ist eine "überreife Melone" - ein "Felsblock"; Worte werden "zugebellt", sind "dreckige zerknitterte Wäsche". Die 16-Jährige nennt sich die "graue Greisin in meinem Innern". Gitas Ton hat etwas Artifizielles, manchmal geradezu Kaltes, was ihre Einsamkeit plastisch vermittelt. Es ist eine beklemmende, schwierige Lektüre, die Radka Denemarkova ihrem Leser "zumutet" – umso eindringlicher aber wirkt sie nach.

Besprochen von Olga Hochweis

Radka Denemarkova: Ein herrlicher Flecken Erde
Aus dem Tschechischen von Eva Profousova
Deutsche Verlagsanstalt, München 2009
304 Seiten, 19,95 Euro