Underdogs der Weltgeschichte

Von Christian Gampert · 11.06.2011
Was hat Friedrich Schiller mit Thomas Gottschalk und Michael Jackson zu tun? Zunächst mal nicht viel – außer, dass man den deutschen Klassiker auch als Showmaster verstehen kann, der ziemlich dünkelhaften Fortschrittsoptimismus verbreitet und dabei von der dunklen Seite der Menschheitsgeschichte eingeholt wird, von den Monstern, den Zombies, der Gewalt, den Alpträumen, dem Thrill.
"Schiller Thriller", konzipiert von dem bildermächtigen Schweizer Regisseur Massimo Furlán, lässt einen – mit stark französisch parfümiertem Akzent sprechenden und im höfischen Gewand steckenden – Schiller seine akademische Antrittsrede für die heutige Mediengesellschaft halten: "Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte?" Dabei stellt sich heraus, dass in Schillers Fortschritts-Konstruktion die Hälfte der Menschheit fehlt – Frauen, Kinder, Alte, Farbige, Schwarze, Proleten. Massimo Furlán holt die auf die Bühne – in Gestalt von Mannheimer Statisten – und konfrontiert Schillers schöne, aber eben auch arrogante Geschichtsauffassung mit den eher gebrochenen Charakteren seiner Dramen und der heutigen Globalisierung.

Das Nationaltheater Mannheim als Festivalveranstalter hat das Werk in Auftrag gegeben. Dass die Underdogs der Weltgeschichte mitspielen und dass die von Mannheimer Bürgern, Ausländern, Jugendlichen gemimt werden, war dem Dramaturgen Ingoh Brux ziemlich wichtig:

"Das war ein zusätzlicher Reiz, die besonderen Produktionsbedingungen. Ursprünglich war noch anders gedacht: Er wollte eigentlich mit Rockern arbeiten, mit noch mehr Randgruppen; aber es ging auch immer um diese sogenannten, wie Rimini-Protokoll sagt, Experten des Alltags, und wir fanden das einen wichtigen Bezug zu der Stadt Mannheim, dass diese Leute da mitmachen."

Furlán inszeniert ein Bildertheater von düsterer Suggestivkraft, in dem die Unterdrückten dieser Erde in Zeitlupe leiden und dann doch zu wilden Veitstänzen aufstehen. Unterlegt von einem dumpfen Maschinensound schweben heliumgefüllte Gestirne und wüst beleuchtete Bomberflugzeuge aus dem Schnürboden.

Furlán holt auch die erotische Versuchung in Gestalt von Revuegirls auf die Bühne, die den philosophierenden Schiller, nach kurzem Kostümwechsel, zeitweise wie klassische Grazien umschwirren – dann wird das Ganze auch sehr schnell zum Ringelpietz… In den Alptraumsequenzen aber entfaltet die Aufführung eine surreale Power, die das proletarische Dienstpersonal der Weltgeschichte vor der Arroganz des Aufklärers rettet, der alles Nicht-Zivilisierte gründlich verachtet. Furlán nimmt sich ungeheuer viel, manchmal auch zu viel Zeit für den globalisierten Horror.

Rund 250 Stunden brauchen auch Stephen Fiehn und Tyler Myers von der amerikanischen Performance-Gruppe "Cupola Bobber", um in einem Video den Katalog der Washingtoner "Library of Congress" vorzulesen.

Teile dieses Wissensspeichers eröffnen – als eine Art akustische Strafaktion – auch ihre Mannheimer Show, die dann mit Buffalo Bill durch die amerikanische Geschichte reitet. Vor einer später einstürzenden Wand aus Umzugskartons, die die Bühne zunächst teilt, geht es von Malcolm X zu Ronald Reagan und von Martin Luther King zu Jimmy Hendrix. Die Aufführung wirkt in ihrem Minimalismus ein wenig spröde, rund 25 Minuten rennen die Akteure im Kreis, um sich an Schillers Geschichtsbegriff (das war ja der Stückauftrag) müde zu arbeiten.

Diese Off-Produktionen, teilweise vom Mannheimer Nationaltheater eben selber angeregt und finanziert, bleiben das Herzstück der Schillertage, die immer noch ein lebendiges und anregendes Festival sind. Neben den Klassikergastspielen der großen deutschen Bühnen kann man theatralisch bespielte Mannheimer Wohnungen besichtigen oder der Jan Lauwers Company in der Kunsthalle bei ihrer biographischen Erinnerungsarbeit zusehen.

Ein Höhepunkt aber waren die "Königinnen", die "Reinhas", eine brasilianische Maria-Stuart-Variante von Isabel Teixeira und Georgette Fadel. Unter der in Timing, Personenführung und Atmosphäre sehr dichten Regie von Cibele Forjaz liefern sich die beiden ein Schauspielerinnen-Duell, das den Konflikt der Königinnen mit einem eifersüchtigen Zwist sehr heutiger Frauen grundiert. Es gibt gar keinen Begriff für das, was diese beiden virtuosen Frauen da treiben: Es ist ein ständiges Changieren zwischen Alltagsrollen und dem modellhaften Schillertext. Die Fabel ist einfach? Wir machen sie kompliziert! Das ist das Motto. Auf Portugiesisch bekommt Schiller etwas ungeheuer Intensives, und die Gesangseinlagen und das schwebende Klavier von Manuel Pessoa öffnen die Räume auch für Schillers depressive Seiten.

Was hältst du davon, wenn wir uns gemeinsam erhängen? fragt die Maria am Schluss. Bitte nicht. Lieber weiterspielen – Schillers Sprachkraft war selten so präsent wie in diesem brasilianischen Frauenstück.

16. Schillertage in Mannheim
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