UN-Landminen-Tag

"Menschenleben hängen von einer Prothese ab"

Das Model Mario Galla und die 14-jährige Kanha Theng unterhalten sich am 11.02.2014 im kambodschanischen Kampong Cham. Der Hamburger mit der Beinprothese modelt auch in kurzen Hosen auf dem Laufsteg und unterstützt auf seiner Reise durch einstige Kriegsgebiete wie Kambodscha die Organisation "Handicap International".
Das Model Mario Galla und die 14-jährige Kanha Theng unterhalten sich am 11.02.2014 im kambodschanischen Kampong Cham © dpa / picture alliance / Paul James Hayes / Handicap International
Mario Galla im Gespräch mit Ute Welty · 04.04.2015
Fast jedes zweite Opfer von Landminen ist ein Kind. Model und Kampagnenaktivist Mario Galla setzt sich für eine minenfreie Welt ein und für eine bessere Versorgung der Opfer. Er weiß selbst, wie wichtig eine gute Prothese ist.
Zum internationalen Anti-Minentag fordert Model Mario Galla, Beinprothesenträger und Unterstützer der Organisation "Handicap International", den Kampf gegen Landminen und Streubomben zu verstärken und die Opfer besser zu unterstützen.
An der Versorgung mit einer Prothese "hängt dann wirklich einfach ein Menschenleben ab" , sagte der 29-jährige Hamburger, der mit Prothese auf den Laufstegen der Welt modelt, im Deutschlandradio Kultur anlässlich des heutigen Internationalen Tages zur Aufklärung über Minengefahren.
Glaubwürdig der Organisation Handycap International eine Stimme verleihen
Als Unterstützer von "Handicap International" im Kampf gegen Landminen und Streubomben verschaffe ihm der Umstand, selbst Prothesenträger zu sein, besondere Glaubwürdigkeit, da er die Situation der betroffenen Menschen, insbesondere der Kinder, nachvollziehen könne: "Ich weiß, welche Probleme die im Alltag haben." Mit Minen- und Blindgänger-Opfern teile er die Erfahrung, "wie es ist, wenn man keine Versorgung hat, wenn die Prothese nicht da ist, wie behindert man da wirklich ist als Mensch und wie eingeschränkt in der Interaktion mit der Umwelt", begründete Galla sein Motiv, die Organisation zu unterstützen, die in 60 Ländern der Welt mit 320 Projekten zur Opferhilfe, Minenräumung und Gefahrenaufklärung tätig ist.
Versorgung mit Prothesen ist lebenswichtig
In Gesprächen mit Minenopfern in Kambodscha sei er sich seiner privilegierten Situation als Prothesenträger in Deutschland bewusster geworden. "Ohne Versorgung mit einer Prothese konnte ein Reisbauer nicht arbeiten, hätte kein Einkommen und keine Lebensmittel - da ist die Situation natürlich dramatisch. Dann hängt von so einer Prothese einfach ein Menschenleben ab", berichtete Galla von seinen Erfahrungen im Rahmen seines Besuchs von Projekten und Partnern der Hilfsorganisation "Handycap International": Dort sei ihm klar geworden, wie dringend die Menschen auf qualitative medizinische Versorgung und Rehabilitationszentren angewiesen sind.
Beeindruckt habe ihn aber auch, dass er in Kambodscha weniger Berührungsängste erlebt habe als teilweise in Deutschland, erklärte Galla, der mit einem 20 Zentimeter verkürzen Oberschenkel zur Welt kam, seit 2006 modelt und erstmals 2010 bei einer Modenschau in Berlin in kurzer Hose über den Laufsteg flanierte.
Grundsätzlich bewirkten Bemühungen im Kampf gegen Landminen bereits viel, dennoch forderte Galla ein verstärktes Engagement und mehr Aufmerksamkeit für das Thema: "Da kann noch mehr passieren!"
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Das vollständige Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Blond, blauäugig und auf manchem Foto einfach ein Bild von einem Mann: Mario Galla modelt für Boss, Michalsky und Benetton, und zurzeit gibt er einer anderen Kampagne Gesicht und Stimme, nämlich der von Handicap International. Der Verein in München kämpft für Menschen mit Behinderung und gegen Landminen, auch heute am Internationalen Antiminentag. Die Zahlen sind erschreckend. Und: Fast die Hälfte aller Opfer von Landminen sind Kinder. Wenn sie die Begegnung mit einer Landmine überleben, dann oft nur schwer verletzt und eben behindert, weil ihnen ein Arm oder ein Bein abgerissen wurde. In Mario Galla finden diese Kinder ein Vorbild, denn auch er lebt mit einer Prothese, weil er mit einem verkürzten Oberschenkel geboren wurde. Guten Morgen, Herr Galla!
Mario Galla: Guten Morgen!
Welty: Inwieweit verschafft Ihnen der Umstand, dass Sie eben selbst Prothesenträger sind, besondere Glaubwürdigkeit?
Galla: Na ja, in dem Sinne, dass ich natürlich die Situation der Menschen oder der Kinder vor allem nachvollziehen kann und auch weiß, welche Probleme die im Alltag haben.
Welty: Sie waren ja unter anderem in Kambodscha unterwegs, haben sich dort vor Ort ein Bild gemacht – was kam da in den Gesprächen zutage, was konnten Sie erzählen?
Galla: Also ich konnte einfach nur meine Prothese quasi zeigen und mich so ein bisschen austauschen und hab mich dort mit Kindern ausgetauscht, was diese quasi für eine Versorgung haben. Die hatten teilweise sogar auch schönere Modelle, wie ich fand, als ich selbst ...
Welty: Schönere Modelle, sagten Sie, ja?
Galla: Praktischere Modelle, weil die waren zum Beispiel in der Lage, Flipflops zu tragen, und die Möglichkeit habe ich momentan leider nicht, weil mir fehlt vorne zwischen dem großen Zeh dieser Schlitz, wo dieses Flipflop-Band zwischensitzt. Das hatten dort alle, das war sehr inspirierend. Danach habe ich mir dann auch selber so einen kleinen Cut da reingemacht inzwischen, sodass ich jetzt auch die Möglichkeit habe.
Welty: Wie reagieren die Menschen auf Sie als Typ und auf Sie als Prothesenträger? Groß, blond und blauäugig, das dürfte ja an sich auf solchen Reisen schon für Aufmerksamkeit sorgen.
Galla: Gerade in Kambodscha steche ich natürlich als Typ ein bisschen raus. Die Menschen sind sehr herzlich dort auf mich zugekommen, trotz widriger Lebensumstände. Man muss sich halt vorstellen – also ich habe dort einen Reisbauern kennengelernt, und der hat sein Bein verloren und hatte dann erst mal zunächst keine Versorgung, also keine Prothese. Und für den war die Situation dann wirklich dramatisch, weil er nicht mehr arbeiten konnte und er nicht mehr aufs Reisfeld, Reis anbauen konnte und demnach auch kein Einkommen mehr hatte und keine Lebensmittel. Und dann hängt quasi wirklich von so einer Prothese einfach ein Menschenleben ab. Und das man sich bewusst machen, das ist mir da auch erst klar geworden, aber ich hab gesehen, dass die Menschen dort sehr gut versorgt werden durch die Arbeit von Handicap International in verschiedenen Rehabilitationszentren, und das war sehr beeindruckend, was ich dort erleben konnte.
Welty: Eine Prothese kann die Behinderung mehr oder weniger ausgleichen, aber sie kann oft nicht verhindern, dass Betroffene gerade auch in asiatischen Ländern Ausgrenzung und Diskriminierung erleben. Wie kann man dem begegnen?
Galla: Ich muss sagen, als ich in Kambodscha war, hab ich es so aufgefasst, dass die Menschen dort offener mit Behinderungen umgehen, vielleicht auch, weil viele Menschen dort betroffen sind, sodass es quasi total integriert ist. Ich hab das Gefühl, dass hier in Deutschland erst einmal Berührungsängste im Zusammenhang mit Menschen mit Behinderung bestehen, und dort war es überhaupt nicht so. Dort waren die Menschen mit Behinderung voll integriert, und es war eigentlich so eine ganz normale Sache, und man wusste auch, wie man miteinander umzugehen hat, und das fand ich eigentlich schon sehr beeindruckend.
Welty: Wie haben Sie gelernt, mit der Prothese selbstverständlich umzugehen? Das ging ja dann soweit, dass Sie in kurzen Hosen gemodelt haben, und dann hat jeder gesehen, was los war.
Galla: Für mich ist das eigentlich ganz einfach. Ich wurde ja quasi mit meiner Behinderung geboren, und deswegen, das ist für mich eine normale Sache, und ich nehme mich auch als ganz normaler und integrierter Mensch wahr. Deswegen ist es auch eigentlich kein Problem für mich, eine Show in kurzen Hosen zu laufen, weil ich laufe ja auch zum Beispiel im Sommer in kurzen Hosen rum oder im Schwimmbad.
Welty: Was bedeutet der Umstand, dass Sie eben auch Prothesenträger sind, für Ihr Engagement gegen Landminen?
Galla: Ja, ich setze mich für Handicap International als Botschafter gegen Landminen ein, weil ich natürlich nachvollziehen kann oder da die größte Parallele habe und nachvollziehen kann, wie es ist, wenn man keine Versorgung hat, wenn die Prothese nicht da ist, wie behindert man dann wirklich als Mensch ist und wie eingeschränkt man in der Interaktion mit der Umwelt ist. Und das ist für mich so die größte Parallele, warum ich auch gesagt hab, okay, ich bin gerne Botschafter und engagiere mich für euch, weil ich auch nachvollziehen kann, was die Menschen durchmachen, wenn sie keine Versorgung haben. Und deswegen ist das ein Thema, das mir persönlich natürlich auch am Herzen liegt irgendwo.
Welty: Glauben Sie, dass die Staatengemeinschaft genügend gegen Landminen tut?
Galla: Ich sag mal, man macht Fortschritte, aber ich glaube, es kann im Endeffekt noch mehr passieren. Gut, gesagt werden kann immer viel von der Politik, was im Endeffekt passiert, ist schon noch zu wenig. Da müssen wir es schaffen, vielleicht noch mehr Prioritäten zu setzen und durch Aktionen irgendwie Aufmerksamkeit zu generieren. Da kann noch mehr passieren.
Welty: Model Mario Galla engagiert sich gegen Landminen und hat sich Zeit genommen für dieses Gespräch heute am Antiminentag – dafür herzlichen Dank!
Galla: Ja, danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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