Umweltschutz bei Ostsee-Pipeline ist "Erfolg unserer jahrelangen Arbeit"

Jochen Lamp im Gespräch mit Jan-Christoph Kitzler · 08.11.2011
Der World Wide Fund for Nature (WWF) ist stolz darauf, dass Umweltschutz an der neuen Ostsee-Pipeline auf Druck von Naturschützern groß geschrieben wird. Der Leiter des WWF-Ostseebüros, Jochen Lamp, hofft nun auf eine schnelle Erholung des Ökosystems am Ostseeboden.
Jan-Christoph Kitzler: Das Projekt ist nicht nur geopolitisch umstritten, es gibt und gab auch große Bedenken von Umweltschützern. Haben die sich erledigt, jetzt, wo das Gas fließt? Darüber habe ich mit Jochen Lamp gesprochen, er leitet das Ostseebüro des World Wide Fund for Nature (WWF) in Stralsund, und zuerst habe ich ihn gefragt, ob die Eröffnung der Pipeline heute auch für ihn ein Grund zum Feiern ist.

Jochen Lamp: Nein, es ist für mich kein Feiertag, für mich ist es einfach – sicherlich ein Meilenstein, was die Arbeit mit der Pipeline zu tun hat, aber ansonsten sind die Dinge, die wir zu verfechten haben, früher gelaufen beziehungsweise werden sich dann zeigen in einigen Jahren.

Jan-Christoph Kitzler: 200.000 Rohre wurden in der Ostsee verlegt. Können Sie eigentlich beziffern, was für einen Schaden das für Flora und Fauna in der Ostsee verursacht hat?

Lamp: In Euro wird das schwer zu beziffern sein. Die Folgen, die dieses Rohreverlegen hat, sind einfach die, dass ja einfach die Ostsee teilweise im Boden begradigt werden musste, dass dort – ja, ich sage mal – Hügel abgetragen werden mussten oder Brücken gebaut werden unter Wasser, damit die Pipeline gerade zu liegen kommt, und bei uns in unseren Küstengewässern im Greifswalder Bodden ist die Pipeline dann auch in richtige tiefe Gräben eingebuddelt worden. Und das hat natürlich zur Folge, dass eben Muscheln, Krebse, Würmer absterben, Nahrung für Vögel verloren geht oder Fischlaich durch getrübtes Wasser einfach in den ersten Jahren eben auch stark beeinträchtigt wird.

Jan-Christoph Kitzler: Ich habe gelesen, sie haben früher mal davor gewarnt, dass sich durch die Pipeline die sogenannten Todeszonen in der Ostsee – also Gewässer ohne den nötigen Sauerstoff – weiter ausbreiten. Können Sie das denn beweisen?

Lamp: Na ja, das basierte darauf, dass wir die Unterlagen von North Stream, von dem Unternehmen, studiert haben, und die besagten, dass einfach die Nährstoffe, die im Boden lagern, dass die wieder aufgewühlt werden und in den Wasserkörper gelangen, und diese Überdüngung durch die Nährstoffe führt eben dazu, dass ein starkes Algenwachstum passiert, und das ist wiederum die Ursache dafür, dass eben große Meereszonen absterben am Grunde, durch zu viel Wachstum und Aufzehren dieser Algenbestände, die dann zu Boden fallen durch Bakterien, und das zehrt wiederum den Sauerstoff auf und das bringt uns dann diese toten Zonen. Insofern war das nicht aus der Luft gegriffen.

Jan-Christoph Kitzler: North Stream selber hat ja ein ziemlich großes Umwelt-Monitoring betrieben. Sie haben ja gerade selber schon zitiert, dass sie auch die Zahlen gesehen haben. Mehr als 1.000 Untersuchungsstationen gab es entlang der Trasse, und jetzt heißt es in der Pressemitteilung: Es wurden keine signifikanten Umweltauswirkungen festgestellt. Ist das ein Hohn in Ihren Augen?

Lamp: Der Begriff signifikant ist halt schwierig zu benutzen in diesem Falle. Natürlich wurden Umweltbeeinträchtigungen festgestellt, aber ob das dann so viel ist, dass das als signifikant eingestuft wird und insofern auch rechtliche Folgen hat, das ist sicherlich so nicht gewesen. Ich wüsste jetzt nicht, dass es zu gravierend weniger Beeinträchtigung gekommen ist als vorhergesagt wurde.

Jan-Christoph Kitzler: Bis 2016 will North Stream 40 Millionen Euro in das Umwelt-Monitoring investieren. Das sind ja keine Peanuts. Ist das auch ein Erfolg ihrer Kritik?

Lamp: Ich gehe mal davon aus, dass das ein Erfolg unserer jahrelangen Arbeit ist, denn es ist einfach so, es ist ja nicht so, dass North Stream das aus Jux und Tollerei macht, sondern dazu verpflichtet ist, einfach um die Genehmigung zu bekommen. Insofern ist es einfach eine Auflage, und da haben wir natürlich dran mit gedreht, dass wirklich hohe Standards einzuhalten sind, und eben nicht nur in Deutschland, sondern eben auch in Russland. Und insofern sind wir auch ein bisschen stolz darauf, auf die Arbeit von WWF und von den anderen Umweltverbänden, dass wir erreicht haben, dass auch Russland sich an hohe Standards halten muss, um diese Pipeline zu bauen, aber auch zu kontrollieren, die Umweltauswirkungen, wozu sie im russischen Gebiet selber nicht unbedingt immer bereit sind.

Jan-Christoph Kitzler: Sie haben ja auch Ausgleichsmaßnahmen gefordert für den Bau der Pipeline. Ist davon schon irgendwas umgesetzt?

Lamp: Ausgleichsmaßnahmen – auch dazu war North Stream verpflichtet. Sie haben jetzt angefangen, die ersten Maßnahmen umzusetzen. Wir haben allerdings auch als Umweltverbände dann noch mehr erreicht, nämlich dass beispielsweise Schlick, der sonst zur Trübung des Wassers geführt hätte, dass der an Land verbaut wurde. Das haben wir zusätzlich erreicht. Für bestimmte Vogelschutzmaßnahmen wurden jetzt Ausgleichsmaßnahmen angegangen. Leider, muss ich sagen, ist die Haupt-Ausgleichsmaßnahme für Usedom bisher nicht zum Zuge gekommen, weil man dort anscheinend North Stream auch Flächen verkauft hat, die tatsächlich dann hoch munitionsbelastet wurden. Das ist natürlich etwas, was wir mit Ärger auch sehen, weil die Maßnahmen hätten eigentlich im Sommer begonnen werden sollen. Jetzt muss North Stream also hingehen und neue Flächen suchen und neue Maßnahmen suchen, die auch wirksam sind für die Natur, was nicht ganz einfach ist.

Jan-Christoph Kitzler: Die Rolle der Umweltverbände, auch des WWF, war ja nicht ganz unumstritten, denn Sie haben einen Deal mit den Pipeline-Betreibern gemacht. Für den Verzicht auf eine Klage, die den Bau weiter verzögert hätte, haben Sie zehn Millionen Euro für die neue Naturschutzstiftung Deutsche Ostsee bekommen. Hat sich das gelohnt, dieser Deal?

Lamp: Ich gehe auf jeden Fall davon aus, dass er sich gelohnt hat. Es ist eben nicht nur in diesem Vergleich festgestellt worden, dass North Stream die Kompensationsleistung erhöhen muss, was dann letztendlich über die Stiftung umgesetzt wird, sondern eben auch, dass tatsächliche Schadensminimierung passieren musste, dass die eben tatsächlich den Schlick an Land bringen mussten, was verdammt teuer geworden ist, und zum Anderen haben wir nicht gegen North Stream die Klage geführt, sondern gegen den schlechten Planfeststellungsbeschluss des Bergamtes, und ich bin mir nicht so sicher, ob wir den Gerichtsentscheid wirklich gewonnen hätten.

Jan-Christoph Kitzler: Der Bau der Pipeline geht noch weiter, die zweite Trasse wird 2012 fertiggestellt. Bleibt die Pipeline auch danach, wenn die Baumaßnahmen zu Ende sind, eine Gefahr für die Umwelt?

Lamp: Das werden wir sehen, es wird auf jeden Fall ein Fremdkörper in der Umwelt sein, und wir hoffen natürlich, dass das Ökosystem sich schnell wieder erholt. Es wird natürlich immer ein Fremdkörper sein am Ostseeboden, nämlich dass dort ein Stahlrohr mit Betonrohr liegt praktisch, auch auf Sand- oder Schlickböden, wo so was gar nicht hingehört.

Jan-Christoph Kitzler: Jochen Lamp war das. Er leitet das Ostseebüro des World Wildlife Fund in Stralsund. Haben Sie vielen Dank für das Gespräch!

Lamp: Ja, gerne!

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Eröffnung der Ostsee-Pipeline in Lubmin - Russisches Gas für Europa
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