Umweltexperte: Folgen des Klimawandels sind noch vermeidbar

Moderation: Birgit Kolkmann · 12.03.2008
Dirk Messner, Mitglied des Beirats der Bundesregierung für globale Umweltveränderungen, sieht noch Chancen, die dramatischen Folgen des Klimawandels abzuwenden. Es gebe aber einen "enormen Zeitdruck", jetzt ein Nachfolgeregime für das Kyoto-Protokoll zu finden, betonte der Direktor des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik.
Birgit Kolkmann: Stehen bald Millionen von Klimaflüchtlingen vor den Toren Europas? Menschen, die vor Dürre und Hungersnöten in Afrika fliehen, vor Wassermangel im Nahen Osten, vor Kriegen um Rohstoffe und weil die steigenden Meeresspiegel ihren Lebensraum verschluckt haben? Der EU-Außenbeauftragte Solana stellte letzte Woche eine Studie vor, die morgen und übermorgen auf dem EU-Gipfel in Brüssel diskutiert werden soll. Demnach stellen sich durch den Klimawandel ganz neue Herausforderungen an die Politik. Es gehe nicht nur um ein neues internationales Klimaschutzabkommen, sondern auch um eine neue Sicherheitspolitik.
Wir wollen darüber sprechen mit dem Direktor des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik Professor Dirk Messner. Schönen guten Morgen!

Dirk Messner: Schönen guten Morgen!

Kolkmann: Wir wollen ja deswegen mit Ihnen sprechen, Herr Professor Messner, weil Sie im wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung globale Umweltveränderungen das Sicherheitsrisiko Klimawandel mitbeschrieben haben und Sie haben Ihre Studie letztes Jahr im Mai vorgelegt. Wundert es Sie nicht ein bisschen, dass sie erst jetzt auf dem Gipfel diskutiert wird?

Messner: Nein. Das wundert mich eigentlich nicht, sondern es freut mich eher, dass die Ergebnisse unserer Studie im Grunde relativ schnell auf der europäischen Ebene angekommen sind. Es ist ja erst neun Monate her, dass wir die Studie vorgestellt haben. Wir haben sie auch in Brüssel dann vorgestellt und diskutiert. Wir haben sie damals mit dem Auswärtigen Amt zusammen mit dem Außenminister vorgestellt. Und in neun Monaten so ein Thema, das zunächst mal am Rande zu stehen schien, auf die hohe politische Ebene zu bringen, das ist ein schöner Erfolg.

Kolkmann: Was ist denn nun wichtiger, über Schadstoffemissionen und erneuerbare Energien und Energieeinsparung zu diskutieren, oder über eine neue Sicherheitspolitik angesichts möglicher Konflikte um natürliche Ressourcen?

Messner: Was wir eigentlich in diesem Gutachten transportieren wollten, was jetzt auch in der nächsten Woche zwischen den Staats- und Regierungschefs diskutiert wird, ist: Wenn wir über den Klimawandel reden, sollten wir nicht nur über die Umweltkrise Klimawandel reden, sondern der Klimawandel kann Gesellschaftskrisen hervorrufen. Das müssen wir uns vor Augen führen. Im Kern geht es darum – das ist die Kern-Message unseres Gutachtens: wir können diesen gefährlichen Klimawandel noch vermeiden, wenn es uns gelingt, bis Mitte des Jahrhunderts die Treibhausgas-Emissionen um 50 Prozent zu reduzieren. Dafür brauchen wir erneuerbare Energien, dafür brauchen wir einen Umbau unserer Wirtschaft. Wenn uns das gelingt, dann können wir all diese dramatischen Folgen, die der Klimawandel mit sich bringt, wenn wir Richtung 4, 5 Grat Temperaturerhöhung bis Ende dieses Jahrhunderts kämen, noch vermeiden. Also Prävention ist das allerwichtigste!

Kolkmann: Wenn das alles gelingt, sagen Sie. Wird denn in der Politik eigentlich zu wenig diskutiert, wie alles miteinander zusammenhängt?

Messner: Wir haben jetzt einen enormen Zeitdruck. Wir müssen bis zum Ende nächsten Jahres (Ende 2009) in Kopenhagen – da findet die nächste große Klimakonferenz statt – ein Post-Kyoto-Regime verhandeln und abschließen. Wenn uns das nicht gelingt, dann verfällt das bisherige Klima-Regime, das Kyoto-Regime 2012. Dann werden wir kein Anschluss-Regime haben und dann ist die Gefahr, dass uns all die Anstrengungen, die Treibhausgase global mit verbindlichen Zielen zu reduzieren, unter den Händen zerfließen. Dann dürfte die Dynamik eher in die Richtung gehen, die in unserem Gutachten beschrieben wird.

Kolkmann: Was haben Sie für einen Eindruck? Ist die Politik hoffnungslos im Schneckentempo unterwegs? Wenn man sich das überlegt, dass in neun Monaten Ihre Studie dann auf der internationalen Agenda angekommen ist; Sie sagen das ist sehr schnell. Mir kommt das langsam vor.

Messner: Angesichts des Zeitdrucks, unter dem wir handeln müssten, haben Sie nicht ganz Unrecht, weil jetzt haben wir eineinhalb Jahre, um weltweit die vielen Interessenskonflikte, die es ja um den Klimawandel und die Reduzierung der Treibhausgase gibt, tatsächlich zu Ende zu bringen und abzuschließen. Der Zeitdruck ist enorm.

Eine zweite große Sorge, die ich habe, ist: wir haben global eigentlich keinen Akteur, der diesen Prozess mit Macht zieht oder schiebt und in Richtung einer Lösung drängt. Die Amerikaner fallen in diesem Spiel ja aus. Die Bush-Regierung ist eher destruktiv. Die neue Regierung wird erst im März nächsten Jahres antreten. Die kommt zu spät für den Klimagipfel, der im November 2009 in Kopenhagen stattfindet. Europa geht in die richtige Richtung mit unseren Treibhausgas-Emissionszielen, die definiert worden sind, aber wir sind kein globaler Akteur, der den ganzen Prozess in Bewegung halten könnte. Also wir haben hier ein Problem von globaler Führerschaft.

Kolkmann: Ist denn die EU-Mittelmeerunion, die Angela Merkel und Nicolas Sarkozy auf den Weg bringen wollen, was gestern angekündigt wurde, hilfreich für ein partnerschaftliches Miteinander auch in Klima- und Migrationsfragen?

Messner: Wir könnten in Zukunft den Norden Afrikas und vielleicht ganz Afrika sogar als einen Partner sehen in neuen Energiekonstellationen. Wenn wir im Solarenergie-Bereich entsprechende Fortschritte machen - und die Technologien dafür werden derzeit entwickelt -, dann könnte eine Energiepartnerschaft zwischen Nordafrika und Europa eine Perspektive sein Richtung 2020, 2030. Da ergeben sich neue Chancen und Möglichkeiten.

Kolkmann: Haben Sie eigentlich eine Schreckensvision für den Fall, dass die Politik in Bezug auf den Klimawandel versagt?

Messner: Ja, die habe ich schon. Weil wenn Sie sich vor Augen halten, wenn unsere Klimapolitik misslingt und wir am Ende dieses Jahrhunderts mit Temperaturen, die vier, fünf, sechs Grat höher liegen als am Anfang dieses Jahrhunderts rechnen müssen, wenn das passierte, dann wäre das eine Situation wie die Eiszeit vor 20.000 Jahren. Da war es vier Grat kälter als heute und Sie wissen, dass die Erde damals ganz anders aussah. Es war ein ganz anderer Naturraum. Die Gletscher des Nordpols standen bis vor das heutige Berlin. Die Mecklenburger Seenplatte ist ein Ergebnis der Eiszeit von vor 20.000 Jahren. Wenn uns jetzt die Temperaturen in so kurzer Frist nach oben schnellen, dann könnte ein Naturraum entstehen, an den sich viele Gesellschaften nur sehr, sehr schwer werden anpassen können. Das ist die reale Herausforderung!

Kolkmann: Was bedeutet das sicherheitspolitisch? Sie sprachen gerade die Gletscher über dem Nordpol an. Unterm Nordpol auf dem Meeresgrund hat Russland, ich glaube im vergangenen Jahr, eine Flagge gehisst und damit ja irgendwo auch einen Besitzanspruch dokumentiert. Sind wir so abhängig von Russland, dass Russland uns energietechnisch irgendwann völlig in der Hand hat?

Messner: Die ganze Klimadebatte ist ja vor allen Dingen dann auch eine Energiediskussion. Wir müssen unser Weltenergiesystem umbauen. Wir müssen aus der fossil basierten Energieproduktion heraus und müssen vor allen Dingen bis Ende des Jahrhunderts auf erneuerbare Energien umstellen. Wenn uns das gelänge, dann würden wir auch geopolitische Abhängigkeiten von Akteuren, die uns heute manchmal ein bisschen unheimlich sind, abbauen können. Das betrifft Russland genauso wie den Nahen Osten, eine sehr instabile Region, von der wir aber ja sehr stark abhängig sind wegen der Ölvorräte dort. Energiepolitik ist eine wichtige Antwort auf den Klimawandel und zugleich würde es eine Reihe von Spannungen in der Welt reduzieren helfen, wenn wir da Richtung erneuerbare Energien stärker gehen können.

Kolkmann: Schon jetzt ist Europa ja streckenweise überfordert mit dem Migrationsdruck – vor allen Dingen aus Nordafrika. Die Boote kommen täglich an im Süden Europas und eigentlich hat man kein wirkliches Konzept, wie man mit diesen Menschen umgeht oder welche Entwicklungspolitik man betreibt, damit sie gar nicht kommen müssen. Wenn dann der Klimawandel das ganze noch forciert, stehen wir dann endgültig hilflos da?

Messner: Ich glaube schon, dass hier ein großes Krisenpotenzial liegt. Wenn Sie sich anschauen, über wie viele Menschen wir reden, die jetzt von Afrika nach Europa kommen, dann handelt es sich um einige Tausend. Das sind keine riesigen Mengen, die unser System destabilisieren. Wenn Sie sich aber den Klimawandel vor Augen führen und über die Situation legen, die wir jetzt haben, und sich nehmen wir mal nicht Europa, sondern die USA vor Augen halten, dass Zentralamerika in Zukunft eine Region werden wird, in der Wüstenbildung voranschreitet und Extremwetterereignisse wie Hurricane und Hochwasserspiegel die Region bedrohen und die Menschen sich auf machen Richtung USA, dann reden wir nicht über 5000 oder 10.000 Menschen, sondern über ganz andere Größenordnungen. Die Welt muss sich auf so ein Szenario vorbereiten, wenn wir keine kluge Klimapolitik machen.