Umwandlung einer Militärlandschaft

Das Ende der Besatzung in Brandenburg

Eine ehemalige Militäranlage in Wünsdorf (Brandenburg), fotografiert am 05.03.2014. Auf einem rund 600 Hektar großen Gelände der einstigen Garnisonsstadt befand sich das Oberkommando der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland.
Eine ehemalige Militäranlage im brandenburgischen Wünsdorf: Hier befand sich das Oberkommando der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland. © dpa / picture alliance / Ralf Hirschberger
Von Jens Rosbach · 14.10.2015
Eine halbe Million Soldaten zählte die Rote Armee gegen Ende der DDR - verteilt auf fast 1100 Objekte. Ein Großteil der Kasernen lag in Brandenburg. Was wird aus den verwaisten Hinterlassenschaften? Ein Ortsbesuch.
Ein Theatersaal mit abgeschabten roten Sitzen. Rund um die Bühne: bröckelnde, goldene Gipsornamente. Und unter der Stuck-Decke: das verstaubte Emblem eines Sowjetsoldaten. Dazu der Schriftzug Sapadnaja Gruppa Woisk - Westgruppe der Truppen.
"Ich habe so das Gefühl, dass diese Gebäude noch Geschichten erzählen – als würden diese Gebäude noch eine gewisse Aura atmen."
Jörg Rüger steht auf dem Gelände des ehemaligen Hauptquartiers der Roten Armee in Ostdeutschland – in Wünsdorf, südlich von Berlin. Der 51-jährige Fotograf ist ein Fan morbider, geheimnisvoller Sowjet-Ruinen.
"Man findet teilweise in den Gebäuden noch Uniformteile, alte Uniformteile. Oder man sieht, wie behelfsmäßig damals die Russen sich damals eingerichtet hatten, indem sie zum Beispiel alte Fässer umgebaut haben zu irgendwelchen Öfen, die man da teilweise noch findet. Das ist schon sehr spannend und vermittelt schon den Eindruck, sehr authentisch, dass da eben Leben stattgefunden hat."
Eine gefährliche Foto-Location
Ob Theatersaal, Haus der Offiziere, Infanterieschule oder Kommandantenvilla – Rüger muss sich im einstigen Militärstädtchen Wünsdorf immer wieder durch dunkle Keller und zugemüllte Treppenhäuser arbeiten. Eine gefährliche Foto-Location: Einmal hätte es den Berliner fast erwischt.
"Da war ich mit meinen Gedanken woanders und mit meinem Taschenlampenstrahl auch woanders und da mache ich einen Schritt und spüre unter meinem Fuß, wie ich über so ein 50-mal-50-Loch im Boden trete, auf die Kante dahinter. So dass ich gedacht habe: Meine Güte, wenn Du da jetzt reingefallen wärst, dann hätte man da gelegen mit einem gebrochenen Bein – und das wäre mit Sicherheit weniger spaßig gewesen."
Die Sowjet-Hinterlassenschaften gelten unter Fotografen, Video-Künstlern und Ruinen-Freaks als kultige Pilgerstätten. Für zusätzlichen Reiz sorgen Wachschützer, die verhindern sollen, dass die einsturzgefährdeten Objekte betreten werden.
"Daraus entwickelt sich dann gerne auch mal ein sportlich ambitionierter Wettkampf mit dem Wachpersonal, also ein Katz-und-Maus-Spiel, das kann sehr, sehr spannend werden."
Ein Großteil der Kasernen lag in Brandenburg
Die Rote Armee zählte gegen Ende der DDR eine halbe Million Soldaten – die auf fast 1100 Objekte verteilt waren - für Truppen, Panzer, Depots, Flugzeuge und Raketen.
"Die von den sowjetischen Truppen in Anspruch genommene Fläche beträgt 3.500 Quadratkilometer – das entspräche der vierfachen Fläche Gesamtberlins, also von Ost und West zusammen."
Martin Erdmann blättert in einem 160-seitigen Atlas, einer Kartensammlung aller DDR-Sperrgebiete – darunter die Liegenschaften der Rotarmisten. Der Experte der Berliner Stasi-Unterlagenbehörde hat in fast zehnjähriger, akribischer Arbeit sämtliche Truppenkonzentrationen erfasst. Auffällig: Ein Großteil der Kasernen lag in Brandenburg - rund um das eingeschlossene Westberlin.
Kurz nach dem Fall der Mauer: Panzer der in Wünsdorf stationierten Armee.
Kurz nach dem Fall der Mauer: Panzer der in Wünsdorf stationierten Armee.© picture alliance / dpa
"Eine Ausrichtung oder Konzentration von Truppen in der Nähe von Westberlin hatte sicherlich auch den Zweck, im Falle eines Konfliktes Westberlin schnell einnehmen zu können."
Brandenburgische Naturlandschaft Döberitzer Heide. Während im südlich gelegenen Wünsdorf leerstehende Kasernen vor sich hin modern, erinnert hier - westlich Berlins - nichts mehr an den einstigen Sowjet-Standort. Rund 20 Jahre nach dem Abzug der Roten Armee grasen Wildpferde, Hirsche und Wisente auf dem früheren Truppenübungsplatz. Die Region setzt, mithilfe einer Umweltstiftung, auf sanften Tourismus: Spaziergänger dürfen um die Wildniskernzone herum wandern – dort, wo noch Munitionsreste lagern.
Truppenübungsplatz Wittstock
Renaturierung ist auch nordwestlich von Berlin angesagt, auf dem Truppenübungsplatz Wittstock. Das 12.000 Hektar große Areal, auf dem einst Bomben im Tiefflug abgeworfen wurden, war nach dem Sowjet-Abzug stark umkämpft: Denn die Bundeswehr wollte das sogenannte Bombodrom weiter nutzen.
Fast 20 Jahre lang musste die Bürger-Initiative "Freie Heide" Politiker und Gerichte überzeugen, bis das Militär vor fünf Jahren den Rückzug antrat. Die Friedenskämpfer um den Pfarrer Benedikt Schirge sorgten bundesweit für Schlagzeilen mit ihrem Sieg.
"Die Euphorie war schon berechtigt, weil das ein Kampf David gegen Goliath war, den David gewonnen hat. Und ich glaube, das haben auch viele verstanden, dass Demokratie nur so funktionieren kann, dass eben auch die Vernunft sich durchsetzt, und nicht immer der stärkere oder der Staat, sonst wär's keine Demokratie, wenn der Staat sich überall durchsetzen würde."
Auch andernorts gibt es Scharmützel bei der Umwandlung der militärischen Objekte. Etwa im Norden Potsdams, in Krampnitz. Auf dem Gelände der ehemaligen "Russen-Kasernen" sollen Wohnungen für 3.800 Menschen gebaut werden. Doch eine Immobilienaffäre stört die Projektentwicklung: der Verdacht, die Landesregierung habe die Liegenschaft zu billig an Investoren verkauft. Die Folge: ein Untersuchungsausschuss des Landtages, Rückkaufversuche und Gerichtsverfahren.
Hinterlassenschaften der Roten Armee
Der Berliner Experte Martin Erdmann kennt die Probleme mit missglückten Konversions-Versuchen:
"Wir haben zum Beispiel in der Nähe von Wittstock einen größeren ehemaligen sowjetischen Flughafen, da ist einfach die Flugfeldfläche mit Solarkollektoren vollgestellt worden. Es ist zweifelsfrei eine nichtmilitärische zivile Nutzung, also wir haben eben ganz einfach Technik auf riesigen Asphaltflächen stehen."
Zurück zur ehemaligen, maroden Militär-Siedlung Wünsdorf. Auch um diesen – weitgehend verwaisten – Sowjet-Standort gibt es jetzt Debatten. Das Land Brandenburg möchte dort nämlich ein Erstaufnahmelager für bis zu 1.200 Asylbewerber einrichten. Zwar handelt es sich um Gebäude, die bereits von Behörden benutzt werden. Doch der betreffende Landkreis Zossen gilt als Hochburg einer gewaltbereiten rechtsextremen Szene. Wären die Asylsuchenden hier wirklich gut aufgehoben?
Jahrzehnte nach dem Abzug bereiten die Hinterlassenschaften der Roten Armee noch immer erhebliche Probleme.
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