Umstrittener Vordenker des Islam

03.09.2008
Der Philosoph und Islamwissenschaftler Tariq Ramadan gilt als umstrittene Persönlichkeit. Für viele ist er ein Hoffnungsträger für die Anpassung des Islam an die europäische Gesellschaft, anderen dagegen ein Wolf im Schafspelz mit dem Ziel der Islamisierung Europas. Die Autorin Nina zu Fürstenberg bietet eine gute Einführung in seine Thesen und in die Diskussion um einen europäischen Islam.
Um es vorwegzunehmen: Angst braucht niemand zu haben vor Tariq Ramadan. Der 46-jährige gebürtige Schweizer mit ägyptischen Wurzeln ist kein Anführer einer militanten Terrororganisation. Vielmehr ist er ein Intellektueller, dessen Waffe das geschliffene Wort ist. Seit vielen Jahren ist diese charismatische Persönlichkeit umstritten.

Das amerikanische "Time"-Magazin beispielsweise hat ihn zu einem der wichtigsten Persönlichkeiten unserer Zeit erkoren. Andere misstrauen ihm und werfen ihm eine Islamisierung des Westens vor. Woher kommt also dieser Widerspruch?

Das Verdienst der Autorin Nina zu Fürstenberg ist es, dieses Dilemma in ihrem jetzt erschienen Buch dem Leser nahe zu bringen. Sie fasst die Diskussionen um den muslimischen Vordenker zusammen und stellt ihn und seine umstrittenen Thesen vor.

Dazu geht sie zurück zur Herkunft von Ramadan. Denn das Misstrauen vieler Gegner liegt in der Herkunft Tariq Ramadans begründet. Er ist der Enkel des Gründers der strengkonservativen ägyptischen Muslimbrüder, Hassan al-Banna. Ramadan wehrt sich jedoch vehement gegen diese Vereinahmung und bringt zum Ausdruck, dass er sich von den Ansichten seines Großvaters distanziert.

Zum anderen sind es Ramadans Thesen für die Errichtung eines europäischen Islam, die ihm nicht nur Anhänger, sondern auch viele Gegner im eigenen Lager bescheren. Im Gegensatz zu vielen liberalen muslimischen Intellektuellen vertritt Ramadan konservative Ansichten. Er möchte zurück zu den Quellen des Islam, zu Koran und Sunna, der Tradition des Propheten, um diese neu und zeitgemäß zu interpretieren.

Seiner Ansicht nach sind alle Ansätze für eine Erneuerung des Islam im Koran enthalten. Dies unterscheidet ihn nicht von anderen konservativen Denkern. Doch auch hier findet er seine Gegner, da er vielen wiederum zu liberal ist.

Denn in wichtigen Fragen hat er eine dezidierte Meinung. Er möchte Körperstrafen aussetzen, den "Idschdihad", das freie Denken, wieder einführen, und die "Scharia", das islamische Recht, durch eine innerislamische Debatte erneuern und von dem Ballast, der sich über Jahrhundert angesammelt hat, loswerden.

Zudem hat er das traditionelle Konzept des "Dar al-Harb", das "Gebiet des Krieges", durch das "Gebiet des Zeugnisses", des "dar as-Shahada", ersetzt. "Dar al-Harb" wurde durch die islamischen Rechtsgelehrten im Mittelalter erfunden und bezeichnete jene Länder, die nicht unter muslimischer Dominanz standen. Für Muslime war es verpönt, sich dort aufzuhalten, da sie ihren Glauben nicht vorschriftsgemäß ausüben konnten.

Bis heute prägt dieser Begriff das Selbstverständnis der Muslime im Westen. Tariq Ramadan bezeichnet diese Gebiete als "Ort der Zeugnisablegung" für die Muslime, in dem sie ihren Glauben und ihre Prinzipien leben können. Damit gibt er wahrscheinlich den wichtigsten Anstoß für die Integration der Muslime im Westen.

Auch wenn man mit den Thesen von Tariq Ramadan in vieler Hinsicht nicht einverstanden sein kann, so hat er mit ihnen dennoch eine Diskussion angestoßen. Europa braucht mehr dieser muslimischen Vordenker, damit Muslime sich Gedanken über ihre Zukunft in Europa machen und Antworten auf wichtige Fragen bezüglich ihrer Position in den hiesigen Gesellschaften machen.

Das Buch "Wer hat Angst vor Tariq Ramadan?" ist trotz seines leicht reißerischen Titels eine gute Einführung in das Denken dieser muslimischen Persönlichkeit und zugleich eine grundlegende Einführung in die Diskussion um einen europäischen Islam.

Rezensiert von Abdul-Ahmad Rashid

Nina zu Fürstenberg: Wer hat Angst vor Tariq Ramadan?
Herder-Verlag, Freiburg i. Br. 2008,
192 Seiten, 16,95 Euro