Umstrittene Klimapolitik in Brandenburg

Braunkohle statt Klimaziele

Braunkohlekraftwerk in Jänschwalde (Brandenburg) (Aufnahme von 2015)
Kohlekraftwerk in Jänschwalde: Märkische SPD will sich Zeit lassen mit dem Kohleausstieg © picture alliance / dpa / Foto: Patrick Pleul
Von Vanja Budde · 05.10.2017
Die Investitionen in die Kohle lohnen nicht mehr, langfristig will man aus der Kohleverstromung aussteigen. 8000 Jobs hängen in Brandenburg aber noch vom Bergbau ab, und das SPD-geführte Wirtschaftsministerium wolle nun von selbst gesteckten Klimazielen abrücken.
Der letzte Kohle-Zug hat den Tagebau Cottbus Nord verlassen. An Stelle der gigantischen Grube entsteht jetzt der größte künstliche See Europas. Der Betreiber Lausitz Energie Bergbau AG hat sein neues Revierkonzept vorgelegt. Demnach lässt der Vattenfall-Nachfolger einen Großteil der Kohle im Boden. Nur der Tagebau Nochten auf sächsischer Seite wird erweitert: Die Investitionen lohnen sich nicht mehr. Und sogar die seit der Wende in Brandenburg regierende SPD räumt neuerdings ein, dass man langfristig aus der Kohleverstromung aussteigen muss.

Hitzige Debatte um die Braunkohle

Und doch tobt in der Mark wieder einmal eine hitzige Debatte um die Braunkohle. Ausgelöst wurde sie vom Vorstoß des SPD-geführten Wirtschaftsministeriums, die selbst gesteckten Klimaziele des Landes aufweichen zu wollen. Man kann davon ausgehen, dass Wirtschafts- und Energieminister Albrecht Gerber dafür die Rückendeckung von Ministerpräsident Dietmar Woidke hatte.
Gleichzeitig raste ein gewaltiger Sturm nach dem anderen über die Karibik und den Süden der USA, wo Präsident Trump nach allem, was man weiß, den Klimawandel weiter hartnäckig leugnet. Brandenburgs Energieminister Gerber tut das nicht.
"Natürlich hat mir das Sorgen gemacht. Und der Klimawandel ist ja eine Realität, das ist ganz ohne Frage. Und ich bin auch dafür, dass wir so schnell wie möglich aus der fossilen Energieerzeugung aussteigen. Das muss aber auch überall passieren. Deutschland hat einen Anteil am weltweiten CO2-Ausstoß von zwei Prozent, China von 30. In China steigt er, bei uns sinkt er."

Aufweichen der Klimaziele

Statt des ursprünglich geplanten Rückgangs beim Kohlendioxid von 72 Prozent im Vergleich zum Jahr 1990 strebt Gerber in der neuen "Energiestrategie 2030" nur noch ein Minus von 55 bis 62 Prozent an.
Dafür soll Deutschlands größtes Braunkohlekraftwerk Jänschwalde bei Cottbus ein paar Jahre länger am Netz bleiben: bis 2033. Jänschwalde aber pustet alljährlich 23 Millionen Tonnen Kohlendioxid in die Atmosphäre. Es produziert aber auch Strom für sechs Millionen Haushalte, auch in Berlin. Brandenburg sorge dafür, dass in der hippen Hauptstadt die Lichter nicht ausgehen – und müsse sich zum Dank als Klimasünder am den Pranger stellen lassen, ärgert sich Gerber.
"Wir können nicht einfach, bevor wir das sichere Ufer erreicht haben, das eigene Schiff versenken. Und es ist immer eine Frage der Abwägung zwischen der Versorgungssicherheit, der Preisstabilität und natürlich dem Klimaschutz."

Vorreiter bei erneuerbaren Energien

Das sichere Ufer wäre eine zuverlässige Versorgung mit erneuerbaren Energien. Da sei Brandenburg doch Vorreiter, wettert Linken-Chef und Finanzminister Christian Görke.
"Wir sind das Land mit der größten Verteilmasse Photovoltaik pro Einwohner. Wir sind das Land mit den meisten Windkraftanlagen in dieser Bundesrepublik. Wir haben den meisten Anteil an der Verstromung Biomasse. Wir sind das Land der Erneuerbaren. Und wir sind keine Schmutzfinken, wie Sie möglicherweise eben auch versucht haben zu behaupten."
Görke ist so wütend, weil sein Kollege Gerber von der SPD ihm mit der Abkehr von den Landes-Klimazielen den Bundestagswahlkampf erschwert hat – steht die Linke doch auf Bundesebene für eine progressive Energiepolitik. Görke fand sich zwischen Baum und Borke wieder. Aus dieser misslichen Lage versucht er sich nun zu befreien.
"Für uns ist Maßstab das, was wir im Koalitionsvertrag festgelegt haben. Wir haben das Ziel, zügig, planbar, aber auch sozial verträglich aus der Braunkohleverstromung hier in Brandenburg auszusteigen."

Gegen den Sachverständigenrat

Zügig heißt für den Vorsitzenden der Brandenburger Linken bis zum Jahr 2035. Doch am vergangenen Freitag hat der Sachverständigenrat für Umweltfragen der künftigen Bundesregierung vorgeschlagen, sofort nach Amtsantritt alle vor 1990 gebauten Braunkohlekraftwerke zu schließen. Wasser auf die Mühlen der Kohlegegner in Brandenburg. Auf die Mühlen von René Schuster von der Umweltgruppe Cottbus zum Beispiel.
"Der wesentlichste Schritt, um die Klimaziele zu erreichen, ist natürlich, das Kraftwerk Jänschwalde vor dem Jahr 2030 außer Betrieb zu nehmen. Es müsste sogar deutlich vor 2030 passieren, wenn es zu einem wirklichen Klimaschutz beitragen soll. Das ist eigentlich völlig absurd, davon genau jetzt abzurücken. Und wir gehen davon aus, dass man versucht, auf diese Weise eine Verhandlungsmasse zu schaffen, mit der man die Klimaschutzbestrebungen der Bundesregierung behindern kann oder Geld vom Steuerzahler raushandeln will für eine Abschaltung, die sowieso vorgesehen ist."

Kritik seitens der Umweltschützer

Bei diesem Ansinnen habe der Vattenfall-Nachfolger LEAG als Betreiber der Tagebaue und Kraftwerke in der Lausitz die willfährige Landesregierung vor seinen Karren gespannt, meint Schuster.
"Die LEAG hat in ihrem neuen Revierkonzept behauptet, sie würde das Kraftwerk bis nach 2030 betreiben. Sie hat das nicht einmal sinnvoll begründet. Aber die Landesregierung springt sofort über dieses Stöckchen und versucht, die Energiestrategie dazu passend zu machen."
Schuster ist nicht der einzige, der in diese Richtung denkt: Auch die energiepolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Landtag, Heide Schinowsky, wittert hinter der angepassten "Energiestrategie" aus dem Hause Gerber die Interessen der Kohleindustrie.
"Es kann nicht sein, dass die Politik ihre Klimaziele an der Wirtschaft ausrichtet. Wir haben ganz klar internationale Abkommen, Pariser Abkommen das letzte, wonach sich alle Staaten verpflichtet haben, ihren Ausstoß zu senken. Und Brandenburg muss da mitziehen."

Turbulente Zeiten in der Politik

Und tausende Arbeitsplätze aufs Spiel setzen? In Zeiten, in denen eine rechtspopulistische Protestpartei bei der Bundestagswahl in Brandenburg mit 20 Prozent zweitstärkste Kraft hinter der oppositionellen CDU wird? Und SPD und Linke sich mit 17 Prozent jeweils dahinter einsortieren müssen? Wirtschaftsminister Gerber scheut davor zurück. Schon das Abschalten von nur zwei der insgesamt sechs Blöcke von Jänschwalde im Jahr 2018 werde 800 Arbeitsplätze kosten.
"Eine weitere Stilllegung von weiteren Blöcken jetzt würde zu weiteren Arbeitsplatzverlusten führen in einer Region, die sich das nicht leisten kann, die nach wie vor eine hohe Arbeitslosenquote hat."
Von aktuell rund sieben Prozent. Das weiß auch Linken-Chef Christian Görke. Statt immer auf Brandenburg einzuhacken solle man sich doch mal die Klimapolitik schwarz-grün regierter Bundesländer anschauen, ätzt er.
"Baden-Württemberg: Erreichen die Klimaziele 2020 nicht einmal. 25 Prozent Reduktionsverminderung. Wir 40. Hessen: 30 und nicht 40. Sie bleiben alle darunter. Und ich erwarte hoffentlich auch ein bisschen Rückenwind von einer schwarz-grünen Liaison für ein gutes Klima in Deutschland."

Klimaforscher schütteln den Kopf

Im renommierten Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung beobachten die Wissenschaftler kopfschüttelnd diesen Streit und warnen: Der Planet hat keine Zeit mehr für dieses Kleinklein. Um die Erderwärmung auf zwei Grad zu begrenzen, müssen wir so schnell wie möglich aus der Braunkohleverstromung aussteigen.
Auch Brandenburg müsse sich nach mehr als 100 Jahren vom Bergbau verabschieden, fordert Umweltforscher Wolfgang Lucht, der dem Sachverständigenrat für Umweltfragen angehört.
"Und langfristig gesehen braucht eine nationale Wirtschaft solche Impulse. Wer immer nur an den alten Produktionsweisen und -verfahren festhält, der wird irgendwann feststellen, dass er in so einer Innovationssackgasse ist. Also dieser Durchbruch zu dem Leben im 21. Jahrhundert, das kann man in diesem Zug auch noch umsetzen."

Nachwuchsprobleme für den Tagebau

Junge Leute in der Lausitz scheinen das ähnlich zu sehen: Während in Potsdam und Berlin der Streit ums Klima tobt, wird in Cottbus gemunkelt, dass der Braunkohlebetreiber zum ersten Mal seit Jahrzehnten Schwierigkeiten habe, genug Auszubildende zu finden. In großen Anzeigen in den örtlichen Tageszeitungen werden sie gesucht: Junge Männer und Frauen, die ihre Zukunft auf den fossilen Energieträger setzen wollen.
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