Umstrittene Holocaust-Äußerung

Geschichtslektion für Gabriel

Außenminister Gabriel auf einer Pressekonferenz in Jerusalem
Außenminister Gabriel auf einer Pressekonferenz in Jerusalem © dpa
Norbert Frei im Gespräch mit Marietta Schwarz · 26.04.2017
"Sozialdemokraten waren wie Juden die ersten Opfer des Holocaustes", schrieb Außenminister Sigmar Gabriel in der Frankfurter Rundschau - für den Historiker Norbert Frei "eine peinliche Panne" und kein Einzelfall.
Im Zusammenhang mit seiner Israel-Reise hat Bundesaußenminister Sigmar Gabriel einen Gastbeitrag in der Frankfurter Rundschau veröffentlicht. Darin geht er auf die pro-israelische Einstellung der deutschen Sozialdemokraten ein und schreibt: "Sozialdemokraten waren wie Juden die ersten Opfer des Holocaustes. Die einen waren Opfer politischer Verfolgung, die anderen des Rassenwahns." Ein Satz, der für schwere Irritationen gesorgt hat - bezeichnet der Holocaust doch die Singularität der systematischen Vernichtung der europäischen Juden während des Nationalsozialismus.
"Das ist in der Tat eine peinliche Panne", sagt auch der Historiker Norber Frei von der Friedrich-Schiller-Universität. Allerdings geschehe es immer häufiger, "dass eine kurzgefasste Formulierung wie der Holocaust für den Nationalsozialismus, die ganze NS-Geschichte, das Dritte Reich, die Verfolgung auch der einzelnen Gruppen Verwendung findet". Die falsche Verwendung des Begriffs sei "beklagenswert, weil da natürlich Genauigkeit und Präzision verloren geht".

Der Begriff Holocaust entstand erst spät

Zwar gebe eine gemeinsame Erfahrung der Verfolgung von Sozialdemokraten, Juden und sozialdemokratischen Juden, insbesondere in der Anfangszeit des Nationalsozialismus, so Frei. "Dennoch ist das natürlich nicht der Holocaust." Dass es zu zunehmend zu einer Fehlverwendung des Wortes kommt, hängt nach Einschätzung des Historikers mit dem Abstand zu den Ereignissen zusammen. "Und es ist ganz sicher auch die Konjunktur und die Karriere, die der Begriff Holocaust gemacht hat."
Bis in die 1970er-Jahre hinein habe es "keine kräftige klare Formel" für den Völkermord an den europäischen Juden gegeben, so Frei. In den 50er- und 60er-Jahren sei gar noch nationalsozialistische Terminologie benutzt und von "Judenvernichtung" oder "Endlösung" gesprochen worden. Die Findung des Wortes Holocaust habe insofern eine große Veränderung gebracht: "Mit anderen Worten, die Sache wurde auch verallgemeinerungsfähig - und hat zugleich dazu geführt, dass die Kenntnis der genauen Geschichte auch ein bisschen überdeckt werden konnte mit diesem Schlagwort Holocaust."
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